Ein Angetrunkener in der Untergrundbahn bemüht sich, ein Stück geformtes Weißblech zwischen die Haltegriffe der Sitzschalen zu pressen, so dass dieses verkehrsgünstig klemmen bleibe, was ihm wiederholt misslingt. Dann zerknüllt er die bereits verbeulte Stanzform endgültig und wirft sie mit einem Grunzen unter den Sitz. Seit es auf Hosen Pfand gibt, tragen Karola und ich wieder Schlag. Karola, so heißt meine Anziehpuppe, die mir im Mannheim (Kurpfalz) der zwanziger Jahre zum Geburtstag geschenkt wurde. Wir haben die Zeit überlebt; sie beim BdM und ich in der vormilitärischen Ausbildung.
Dass überall im Stadtbild weggeworfene Hosen die Umwelt verschmutzen ist eine seit längerem ärgerliche Tendenz, wie wenn Weizenbier im Glas nicht aufschäumt oder der Burgunder zu schnell am Gaumen verfliegt. Warum werfen die Menschen permanent Hosen weg und nicht Plisseeröcke oder Abendkleider? Von Negligés, Bustiers und Strapsen gar nicht zu reden!
Es ist eine Schweinerei und ich frage mich, was die fröhlichen Biertrinker im Chicken-Center an der Matthiasstraße darüber denken. Ich mache mich auf den Weg, wohl wissend, dass wir fast alle auf die (mitunter seltene) Kulanz des Budenbesitzers angewiesen sind, der zuerst unsere Hosen mustert. Mit einer Schultheiß-Hose zum Beispiel lässt man dich am Chicken-Center Mensch sein, natürlich nur, wenn du die Hose auch dort gekauft hast. Dann wird dir der Pfand nur dann nicht berechnet, wenn du dich vor der Bude einige Stunden des Tages verlustierst. An Tankstellen sind Diesel-Hosen gern gesehen, im Rentnercafé gelten Miss-Sixty-Hosen als angesagt.
Warum werfen die Menschen Hosen weg, frage ich mich weiter und sehe dabei, wie die Verkäuferinnen meines Nimmdirwasdubrauchst Kiezmarktes leicht angegammeltes Obst und Gemüse in der dafür vorgesehenen Tonne versenken und dies auf einer eigens dafür vorgedruckten Packliste protokollieren. Heute waren es einige Köpfe Weißkohl, drei Zucchinis, acht Kiwifrüchte, zwei ausgebeulte Ananas, weiterhin bräunliche Bananen und verbogenene Lauch- oder Porreestangen; gestern zwei Schälchen weiß angelaufene Erdbeeren, eine verwaiste Papaya, drei elternlose Mango usw. Alles wird auf entsprechenden Listen vermerkt, die dann von der stellvertretenden Zweigstellenleiterin an die Zentrale in Gütersloh gefaxt werden mit dem Kreuz im Zusatz-Vermerkfeld "Pönale". Das heutzutage kaum jemand das Wort Pönale mehr kennt, verstört mich und lässt mir die Schamesröte ins Gesicht schießen. Eine ältere Dame hat sich an der Kasse eines, in penetrantem gelb und rot tapezierten, Hosen- und WarendestäglichenBedarfs-Geschäfts eine geschlagene Viertelstunde angestellt, um ein Kleidungsstück, das sie, wie sie sagt, vor dem Geschäft gefunden hat, abzugeben. Die Annahme wird ihr mit der Begründung, dass sie fremde Bekleidung nichts anginge, verweigert. Auf die schroffe Äußerung des Kassierers: "Wühlen Sie immer in fremder Wäsche rum" - antwortet die Dame mit verständlicher Entrüstung und verlangt sofort den Firmeninhaber, der jedoch kein Telefon habe, wie ihr versichert wird und zur Zeit auf den Azoren Urlaub mache oder zumindest den Venushügeln, irgendetwas Exotisches jedenfalls. Was tun sie diese Leute, die am Chicken-Center, nicht von den Hosen lassen können? Ach, wie war das mit Fassonschnitt selig und jedem Tierchen sein ... Warum kann der Mensch nicht in Einklang leben mit den Sträuchern und Bodendeckern? Warum nicht wieder auf Bäumen; das sparte die Hosen, na ja und anderes, Zivilrecht, Einbauküche und Sozialhilfe zum Beispiel, noch besser das Kohlengeld und lauter weitere Animositäten.
Lass es uns noch mal mit der Natur versuchen, rauscht es durch mein Mittelohr. Gegen die Natur habe ich nichts, doch im Frühjahr und Sommer wünsche ich mir absolute Baumfreiheit, wenn Gräser- und Blütenpollen fliegen und mir fast Augen und Nase platzen. Wie schön ist dann eine ganz und gar zubetonierte Gegend; dann stören mich auch die paar zerrissenen oder verbeulten, abgetragenen, völlig zerschlissenen, zerranzten Hosen am Straßenrand wenig. Aber Karola weint, wenn ich so rede; sie ist hundertprozentig ökologisch abbaubar und trägt seit der Führerehe Strickunterwäsche! Ich stehe für mich allein auf dem Schlesischen Bahnhof und höre eine Stimme, raunend aus dem Lautsprecher: "Hallo Sie da, auf dem Bahnsteig ist das Atmen verboten, das kostet 15 Euro Strafe." Jetzt fällt mir "Pönale" plötzlich wieder ein. Gestern habe ich geträumt, es gibt wieder Spucknäpfe in öffentlichen Gebäuden. Dann bräuchte diese Stadt nicht mehr den Rotz hochzuziehen und der Schleim würde sich lösen; das wäre doch, was? Wenn zwei sich küssen, ist das der nächste Weltkrieg? Wie "lange Männer" hängen die Designer-Fahnen noch immer an einigen Fenstern. Ich geh besser aufs Amt und kipp ein paar Hosen um, dann stinkt der ganze Flur so richtig, so richtig gut. Komm Alfred lass uns die Sonnenuntergänge auf Parkbänken feiern mit Spatzen und Sperlingen; immer ein frisches im Anschlag, die schönsten Blumen und wir!
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