Dreißig Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR, so sagt man im zuständigen Bundesinnenministerium, solle „der Fokus“ auf „gegenseitigem Austausch und Dialog liegen“. Wie dieser Dialog ablaufen könnte, darüber gibt ein Streit Auskunft, der sich darum dreht, ob Gregor Gysi am 9. Oktober zum Jahrestag der historischen Großdemo in Leipzig als Zeitzeuge auftreten solle oder nicht. Frühere DDR-Bürgerrechtler und -Bürgerrechtlerinnen haben sich in einem Offenen Brief dagegen ausgesprochen, andere sprangen dem Linkspolitiker unterstützend zur Seite. Und in der deutschen Disziplin „schiefe politische Vergleiche“ ward Gysi schon mal in einem Atemzug mit dem AfD-Rechtsaußen Alexander Gauland genannt.
Was man aus der Angelegenheit trotzdem lernen kann: Das politische Gedächtnis des Aufbruchs von 1989 ist auch drei Jahrzehnte danach ein geteiltes. In dem Vorwurf, Gysi hätte seinerzeit angeblich „auf der anderen Seite der Barrikade“ gestanden, liegt nicht nur eine etwas holzschnittartige Sicht auf die damalige politische Situation – es keimten ja längst auch in der SED oppositionelle Bestrebungen. Und nicht alle, die nun über den Auftritt des Linksparteipolitikers empört sind, hatten seinerzeit auch die gleichen Ziele. Beim Streit, der sich am Namen Gysi entzündet hat, geht es auch darum, was von dem bunten Bündel an Forderungen, Zielen, Ideen übrig geblieben ist, mit dem die friedliche Revolution in der DDR begann. Der „Zug der Deutschen Einheit“, von dem der frühere Bürgerrechtler und Grünen-Politiker Werner Schulz nun sagt, Gysi sei in diesen erst „von den anderen gedrängt“ worden, fuhr erst später los und es standen keineswegs alle von denen fröhlich winkend am Bahnsteig, die sich, teils schon lange, teils erst seit dem Spätsommer 1989 immer mutiger auf den Straßen für das Ende der autoritären Zumutungen der SED, für Demokratie und sozialökologische Alternativen starkgemacht hatten.
Der „gegenseitige Austausch und Dialog“, den das Bundesinnenministerium wünscht, geht von der Notwendigkeit ost-westlicher Gesprächsbereitschaft aus. Es ist das späte Eingeständnis des Westens, dass da eben nicht narbenfrei zusammengewachsen ist, was doch zusammengehören sollte. Im Streit um Gysis geplanten Leipziger Auftritt liegt aber noch ein weiteres Eingeständnis: dass es noch einen ganz anderen Diskussionsbedarf gibt, den unter Ostdeutschen über ihre Geschichte. Dabei muss man keineswegs zu einer gemeinsamen oder irgendwie einheitlichen Auffassung kommen, im Gegenteil. Aber gemeinsam darüber reden, das müsste man schon. Zum Beispiel in Leipzig.
Kommentare 6
nun, aus der (schul-) klasse der SED sind schon immer und früher
schüler ausgetreten und wurden als abgängige häretiker gemobbt
(und schlimmeres).
daß sich der widerstand gegen lehrer und lehre gegen ende
der herrschafts-auflösung geltend machte
und nicht mehr gedeckelt werden konnte:
war (leider) kein resultat einer auto-transformation/selbst-befreiung.
eher eine rand-erscheinung, beruhte auf einer "strafe des lebens".
den (in schul-pflicht) schlecht-belehrten begann zu dämmern,
daß das macht-gestützte erziehung-system:
gewalt-ertragende/-erzeugende narren produzieren sollte,
keine selbst-denker.
aus dieser (verd...-) späten einsicht läßt sich kein führungs-anspruch ableiten.
das nach-trabende klebt an den nach-folgern der SED-politik,
ex-genossen, die sich als progressives element geniessen.
Es ist schon eine komische debatte, die jene führen, die damals - als die SED bereits in heilloser auflösung begriffen war - schnell das grosse wort an sich rissen. Diejenigen, die wirklich "gemacht" haben, sind hingegen weitgehend untergetaucht und haben gar keine lust auf diese art geschichtsglitterei von nachhinein gesehen.
Die, die da jetzt um aufmerksamkeit buhlen, können getrost miteinander um die rolle der bedeutung streiten, das zeigt nur wie irrelevant sie für den wirklichen lauf der dinge waren - darüber, zum beispiel über die rolle von Kohl & Treuhand, soll am besten gar nichts mehr gesagt werden. Und damit das so bleibt, gibt es diese "gedenk"-inszenierungen als scheindebatten...
"Die Macht gehört nicht in die Hände eines einzelnen oder ein paar weniger oder eines Apparates oder einer Partei. Alle müssen teilhaben an dieser Macht. Und wer immer sie ausübt und wo immer, muß unterworfen sein der Kontrolle der Bürger, denn Macht korrumpiert. Und absolute Macht, das können wir heute noch sehen, korrumpiert absolut. Der Sozialismus - nicht der Stalinsche, der richtige -, den wir endlich erbauen wollen, zu unserem Nutzen und zum Nutzen ganz Deutschlands, dieser Sozialismus ist nicht denkbar ohne Demokratie. Demokratie aber, ein griechisches Wort, heißt Herrschaft des Volkes." (Stephan Heym)
Spaß mit ausgewählten Leuten im Publikum sind diese " "gedenk"-inszenierungen"! Und an Debattenkultur? - nur die eine Richtung! Nein - so wird das nicht`s.
Die Frage ob der letzte Vorsitzende der SED ein Revoluzzer war kann man überhaupt nur stellen, wenn man sich selbst das Hirn verschmutzt hat. Und selbst wenn man davon absieht ist sie ziemlich müßig. Die interessant ist eher, ob das stattfindet, was die Ossis "die zweite Wende" nennen, sprich, ob sie es schaffen, nach Sowjetdeutschland auch Anglodeutschland aus den Angeln zu heben und nach dem auf DDR auch der BRD den Rest zu geben. Die Chancen stehen ziemlich gut, zumal sich die Bundesrepublik sich in der Merkelzeit an dem infiziert hat, woran die DDR gestorben ist.
Richtig ist, dass das politische und ökonomische System der DDR am Ende war, zweifellos, aaaber ...
Die große Lüge begann eben schon damit, dass die DE nicht wiedervereinigt, sondern die Ossis beigetreten wurden - was zu den entsprechenden Feierlichkeiten heutzutage aber komischerweise nie ausgesprochen wird. Das passierte mit den Stimmen der Ost-CDU in der Volkskammer, nach massiver Wahleinmischung und endlosen Medienkampagnien aus dem Westen.
Und danach wurden in allen Ämtern und Behörden ausrangierte und abgehalfterte C-Wessis auf die Chefposten gesetzt. Von den kriminellen Machenschaften der Teurhand mal ganz abgesehen. Lohn- und Tarifunterschiede existieren heute noch immer ... na dann Dankeschön!
... ich vergaß: Was hat das nun mit Gysi zu tun? Eigentlich mag ich ihn persönlich, er ist eine Bereicherung in jeder Talkshow, legendär auch seine Reden im Bundestag. Leider geht seine Partei "Die Linke" brav den Weg aller deutschen Parteien, die (zunächst) mal am System kratzen wollten. "Die Linke " hat fertig, leider. Das sieht man z.B. am Durchwinken der neuen Poliziei- und "Anti-Terror" (besser: Anti-Bürger) - Gesetzte in den Ländern, in denen die Linken an der Regierung beteiligt sind. Oder daran, dass in dieser Partei der Antisemitismus-Wahn oder das Querfront-Geschwätz genau so umsich greifen, wie in allen anderen Parteien auch. Einstmals konsequent Anti-NATO, sobald jedoch die Fleichtöpfe winken, evtl. vielleicht doch ein kleines Bisschen NATO?