20 Prozent! Wenn sich Geschichte wiederholen würde, müsste Franz Müntefering in spätestens elf Tagen zurücktreten. So wie seinerzeit Kurt Beck, der letzte Parteivorsitzende, in dessen Amtszeit ein solches Umfrageergebnis fiel – und der anderthalb Wochen nach der bis heute letzten 20-Prozent-Meldung durch eine Hintertür verschwand. Selbstverständlich wiederholt sich die Geschichte nicht, sie kehrt als Farce zurück: Ein 20-Prozent-Müntefering empfiehlt der Kanzlerin, schon einmal die Koffer zu packen.
20 Prozent! Noch ein Pünktchen Abzug und die Zahl, die den Zustand der SPD beschreiben soll, beginnt mit einer 1. Das wäre dann die Liga von Guido Westerwelle, der vor noch gar nicht langer Zeit stolz seine 18 Prozent vorzeigte. Oder die von Oskar Lafontaine, dem wandelnden schlechten Gewissen aller guten Sozialdemokraten. Schon wird öffentlich die Frage diskutiert, ob angesichts der Schwäche der SPD die Teilnahme ihres Kandidaten am Kanzler-Duell überhaupt noch zu rechtfertigen ist. Auf solche Fundamente baut der beste Wahlkämpfer keine Aufholjagd – und ein Steinmeier erst recht nicht.
20 Prozent! Eher geht es weiter abwärts: Wenn die Leute überall lesen, dass dem Kanzlerkandidaten der SPD ein „Waterloo“ droht, dass die Partei die „Dienstwagen-Quittung“ bekommt, dass ein „Wahldebakel“ in Aussicht steht – dann wird sich das mit ziemlicher Sicherheit in den folgenden Umfragen abermals niederschlagen. Die Demoskopie ist ja nicht nur eine Wissenschaft, die die Wirklichkeit abbildet – sondern auch eine, die sie formt. Die Stimmung, die ermittelt wird, führt zu Schlagzeilen, die Stimmung machen.
20 Prozent! Man kann es ja auch mal anders herum betrachten: Immerhin noch 20 Prozent! Es ist ja doch irgendwie erstaunlich, dass diese SPD nach elf Jahren an der Regierung und mit dieser Bilanz überhaupt noch auf Zustimmung stößt. Eine Partei, die die Hände wringt, wenn man ihr den Anteil am allgemeinen Schlamassel vorhält, die – was allerdings keine sozialdemokratische Spezialität ist – allenfalls zu Nullkommadreiprozent Selbstkritik fähig ist, wo es doch ganz einfach wäre zu sagen: "Hartz war Mist, die Leute sind ärmer, prekärer und arbeitsloser als zuvor. Wir machen das anders, wenn ihr uns lasst."
20 Prozent! Hat der mit solchen Zahlen befleckte Kandidat eigentlich noch Freunde? Vielleicht noch zwei: den Vorwärts und den TNS-Emnid-Chef. Das SPD-Parteiblatt schreibt unverdrossen gegen „die Umfragegurus“ an, die „im Verein mit einer meinungsmächtigen Journaille“ die Sozialdemokraten in den Keller wünschen. Da ist sogar was dran. Anders als an der Vorwärts-Überschrift: „Die SPD trotzt den Umfragen.“ Der andere Freund des Kanzlerkandidaten heißt Klaus-Peter Schöppner, ist Demoskop und sagt Sätze wie diesen: „Sonntagsfrage geht nicht! Werft sie einfach auf den Müll.“ Das Symbol eines ganzen Berufsstands sei für vieles gut, nur für eines nicht: für eine Prognose zukünftiger Wahlergebnisse.
Die Sozialdemokraten werden das gern glauben. Mindestens 20 Prozent von ihnen.
Kommentare 21
Ich halte Umfragewerte ohnehin für gemachte Stimmungspolitik - in der Urlaubszeit wird es komplett zur Farce. Wer ist denn wohl zu hause geblieben?
Trotz aller Kritik an der ?PD, die Suche nach der schlecht möglichsten Zahl an Zustimmung wird die Zustimmung auch nicht steigern, selbst wenn die ?PD in eine andere Richtung laufen würde.
Wie so oft glaube ich, dass die besprochenen Personen klüger sind, als man im ersten Moment meint. Sie haben genau das, was sie wollen. Genauer gesagt: Die jetzige Führungsriege der SPD will nicht mehr als 20%. Damit hat sie die Gelegenheit in die Opposition zu gehen. Dort will sie dann die Linke schlucken und sich regenerieren.
Alle anderen Varianten zur Erklärung des momentanen Zustandes der SPD liefen darauf hinaus die zuständigen Leute für unfähige Volltrottel zu halten, die nicht wissen, was sie tun.
Selbstkritik? Niemals!
War alles mindestens alternativloser Sachzwang, eher noch passgenau richtig, beinahe genial. Und die Ulla hat da am wenigsten mit zu tun; mal ernsthaft.
Für den Rest in Opposition, mindestens bis 2013:
"Für uns, die wir noch hoffen" - Gerulf Pannach
Was folgt, ist eine Vereinigung der Spd mit der Linken, per Handschlag besiegelt und dieser wird gleich ins Parteiemblem aufgenommen...Nach der Wahl dann Lach- und Sachzwang-Geschichten aus der Opposition heraus... Ein Aufbau glühender Links-Politiker-Landsmannschaften wird einige Jahrzehnte benötigen, bis dahin nötigen uns die Konservativen ein bitteres Feld nach dem anderen ab.
Gute Nacht Deutschland. Weckt mich 2020...
Hallo Friedland,
der Wecker ist gestellt. Die Lach- und Sachzwang-Geschichten aus der Opposition kannst du dir ja anschließend als Aufzeichnung zu Gemüte führen ;)
Mittlerweile müsste ja die Sonntagsfrage lauten:
"Wenn nächsten Sonntag die SPD an Ihre Tür klopfen würde, würden Sie aufmachen?"
Friedland,
wenn man den Gehalt der momentanen SPD in Rechnung stellt könnte dann die Frage hinter der Tür nicht lauten: "Wolle mer se reinlasse"?
Genau, nur nicht reinlassen, was sollen denn die Nachbarn denken? "Also wirklich. So liebe Leut', aber dann die SPD ins Haus lassen, nein, das hätte's früher..., also, Sie verstehen, man muss doch auch mal zulassen können...also, von mir kriegen die nichts, da könnt ja jeder kommen...Nee, wir geben nichts...auf diese SPD."
Ach so. Dann hat man Kurt Beck in die Provinz zurück geschickt, weil man ab Ende 2009 auf gar keinen Fall mehr weiter Murcks machen kann? Warum hat man dann Münte zurück geholt und Steinmeier aufs Podest gehoben? Das hätte Kurt Beck auch ganz alleine hin bekommen...
Volltrottel sind sie nicht, aber die Verwalter des schröderschen Erbes, welche sich von diesen Positionen nicht trennen können, ohne ihre Macht - die zum einem nicht unbedeutendem Teil auf der Zustimmung aus Wirtschaftskreisen und weiten Teilen der Medien für diesen auf angebliche Sachzwänge fixierten politischen Selbstmord beruht - einzubüßen. Damit hängt man nun zwischen Baum und Borke. Dieser Weg ist so oder so an sein Ende gelangt und selbst zaghafte Versuche, sich doch neu zu orientieren werden diesem Personal ohnehin nicht mehr abgekauft.
Die einzige Perspektive für die derzeitige Führungsspitze der SPD, um ihr eigenes politisches Überleben zu sichern, ist die große Koalition, aber für diese Wahlkampf zu machen, gleicht dem Versuch, ein Wrack als Luxusliner zu verkaufen (allenfalls über das Internet... ;) ). Ein bewusster Weg in eine oppositionelle Umarmung mit der Linken ist für die derzeit tonangebenden individuellen Akteure innerhalb der SPD keine Option.
Wobei man, so man diese Partei immer noch auf die eine oder andere Weise für unverzichtbar hält, nur hoffen kann, dass das absehbare Wahldebakel tatsächlich eine derartige Selbstbefreiung zur Folge hätte. Ganz sicher könnte man sich bei einer Partei, die nach dem Verkauf ihrer Seele so offensichtlich die Fähigkeit zur Selbstbehauptung verloren hat, dessen wohl selbst unter solchen Umständen nicht sein.
„20 Prozent!“, so heißt die Überschrift. Sind es wirklich 20 Prozent? Jede Umfrage blendet die Nichtwähler aus. Und das verfälscht das Ergebnis. Würde die Wahlbeteiligung, die sich bei den Umfragen zwangsläufig ergeben, veröffentlicht, wüssten wir Genaueres.
Gehe ich, um ein Beispiel zu konstruieren, von einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent aus, hätte die SPD nicht diese hohe Zustimmungsrate. Sie käme, wenn mich meine rechnerischen Fähigkeiten nicht im Stich gelassen haben, auf 14 Prozent Zustimmung aller Wahlberechtigten.
Klar, die Wahlbeteiligung kann den Politikern schnuppe bleiben, solange sie nicht befürchten müssen, dass diese gerade ihre eigene Partei benachteiligen könnte. Auch wenn nur fünf Prozent der Bundesbürger zu Wahl schritten, die Anzahl der Sitze im Bundestag bliebe erhalten. Und die SPD wäre, den Umfragen nach, immer noch bei 20 Prozent.
Soll man noch darauf hinweisen, dass die Umfrage von Forsa stammt, die mit ihren Ergebnissen für die SPD in den meisten Fällen mehrere Prozente unter den Werten anderer Meinungsforschungsinstitute liegen?
Jedesmal, wenn Forsa wieder so einen Extremwert ermittelt, schwappt eine Welle an "Huch!-Nur-Noch-20%"-Artikeln durchs Land und man macht einen auf ganz besonders dramatische Sensation.
Wie abgestumpft muss man als Journalist eigentlich sein?
Ich dachte immer, Güllner Co. wären die Haus- und Hofdemoskopen der Schröder-Clique. Eine generelle negative Einstellung gegenüber der SPD (obwohl man sich natürlich fragen kann, ob das Ergebnis nicht das selbe ist) wäre etwas neues.
Hallo misterL,
diese These konsequent weiter gedacht hat man Kurt Beck in die Provinz zurückgeschickt, weil er sich linken, vormaligen SPD Standpunkten angenähert hat. Das widersprach dem Kurs der SPD-Rechten primär die Linke "vernichten" zu wollen. Münte und Steinmeier sind nur die logische Konsequenz. Entweder man schafft mit ihnen einen weiter-so-Kurs der Schröder Ära oder man wandert in die Opposition.
Hallo Daniel B.,
es geht wohl weniger darum, in eine oppositionelle Umarmung mit der Linken zu gehen, wenn dann nur, um sie totzudrücken :)
Widerspruch Streifzug.
Das Entweder/Oder als Option hat die ?PD von Münte Co. nicht. Sie kann am Ende nur in der Opposition landen, weil sich der eigene Anhang schwerlich mobilisieren läßt für eine farblose Regierungsarbeit gegen sich selber.
Es handelt sich bitte schön immer noch nur um Forsa. Die antipathi und der Negativbias der umfrageergebnisse der spd sollte bekannt sein. wenn man auf der verlinkten seite (www.wahlrecht.de/umfragen/index.htm) die zeitreihen der anderen institute anschaut, sieht man, dass sich immer noch nichts entscheidendes geändert hat. seit monaten kratzt schwarz-gelb an 50%, und was rot-grün fehlt, ergibt sich aus wenige prozentpunkte starken schwankungen bei der Linken. Die schallmauer von 20% ist m.E. nohc nicht erreicht. Der unterstellte sich weiter fortsetzende abwärtstrend der spd scheint m.E. eher eine schon lange anhaltende talsohle zu sein, obwohl ich nicht ausschliessen möchte, dass es mit der spd nicht noch weiter bergab gehen kann. Ich sehe hier nur eher eine überbewertung eines umfragefehlers.
Die Zahlen sprechen doch für sich, siehe unten.
ad Forsa SPD siehe z.B. www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Forsa-SPD;art122,2501847 oder auch www.sueddeutsche.de/politik/889/447624/text/
Wenn nach Umfrage 20% der Wählenden schon sehr dumm sind, wie dumm sind dann die restlichen der Wählenden? - Ich gehe natürlich auch wählen, aber eben nicht bei den allgemeinen Dummen, schon gar bei nicht diesen 20%. Ich will meine absolute aufgeklärte Minderheit sein.
Die heutige SPD-Spitze und Rechte will keinen anti-neoliberalen Kurs. Ypsilanti hätte die Macht in Hessen erreichen können, wenn die rechte SPD sich nicht gesagt hätte : besser nicht regieren als nicht neoliberal regieren. Wo wir wieder bei der Bundestagswah wären. Die SPD will doch nur so stark werden, dass sie als Co-Partner der CDU durchgeht und neoliberal mitregieren kann. Wenn sie Oppositionspartei werden wollte, könnte sie ja halblinke Position (eventuell sogar anti-neoliberale) vertreten, und zumindest einen geheuchelten Neuanfang anbieten.
Das neue meines Erachtens ist, dass die SPD lieber aufs Regieren verzichtet, als anti-neoliberale Politik aufzugeben.