„Vollende die Wende“, „Werde Bürgerrechtler“: Die rechtsradikale AfD müht sich mit aller Macht, den Aufbruch in der DDR für sich zu reklamieren. Die Landtagswahlen im Osten als Wiederholung, als später Vollzug von 1989?
Schon hört man erste Forderungen, die Bürgerrechtler müssten dieser Vereinnahmung (abermals: Es wäre nicht das erste Mal) widersprechen. Da beansprucht eine Partei den damaligen Mut des tausendfaches Schritts auf die Straße, der es heute um Angstmache geht. Es sind Ausgrenzer, die sich in die Tradition von Öffnern stellen. Da reden Reaktionäre, die mit revolutionärer Symbolik spielen. Wenn diese Leute nun zur „friedlichen Revolution mit dem Stimmzettel“ aufrufen, ist aber nicht nur die Tradition des Aufbruchs berührt, sondern auch der Selbstanspruch der „alten Bundesrepublik“, der ja jener der neuen wurde. Um die Anmaßung der AfD zurückzuweisen, bedarf es keiner DDR-Dissidenten-Biografie.
Der Sozialwissenschaftler Helmut Fehr hat unlängst auf noch einen Punkt der unbedingten Unterscheidung hingewiesen: die politische Sprache. Es sei „die größte Besonderheit der Protestkulturen von 1989“, dass diese durch den rhetorischen Abbau von Feindbildern, durch eine Diktion des Dialogs, durch eine an Toleranz und Kompromiss orientierte Ausdrucksform geprägt gewesen sei. „Ehrlichkeit und Offenheit, moralische Maßstäbe“ – damals gerichtet gegen die Restbollwerke autoritärer Herrschaft.
Und heute? Da machen die Vorboten der nächsten Diktatur Front gegen alles Mögliche, jenseits aller Moral, kompromisslos und auf Lügen gebaut. Das geht schon damit los, dass die, die sich da mit Anleihen an 1989 als neue Führerchen in Szene bringen, so tun, als wären sie damals höchstselbst mit auf der Straße dabei gewesen: „Dafür haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht“, tönen Westdeutsche auf rechter Ostmission wie Björn Höcke in Thüringen oder Andreas Kalbitz in Brandenburg. Und niemand widerspricht.
1989 skandierten die Menschen auf den Straßen der DDR: „Keine Gewalt!“ Heute brüllt der rechtsradikale Wahlkämpfer auf ostdeutschen Marktplätzen: „Die Jagdsaison ist eröffnet!“ Die Claqueure der AfD hetzen im Internet, schlagen bei ihren Aufmärschen zu und rufen nach Mord. Es macht sich hier das Geräusch der „rohen Bürgerlichkeit“ bemerkbar, wie Wilhelm Heitmeyer das genannt hat: „Sie findet ihren Ausdruck in einem Jargon der Verachtung gegenüber schwachen Gruppen und der rigorosen Verteidigung bzw. Einforderung eigener Etabliertenvorrechte im Duktus der Überlegenheit.“
Fehr hat die Sprache der Herbst-Revolutionäre nun in einer Debatte wieder in Erinnerung gerufen, in der es darum geht, welchen Charakter der Aufbruch hatte. Gestritten wird darüber, ob die Bürgerbewegten es waren, die die Schleusen der demokratischen Selbstermächtigung öffneten, oder der Druck der Ausreisenden oder die Politik Michail Gorbatschows, oder, oder, oder.
Dass diese Diskussion heute immer noch läuft, verweist auf einen prekären Punkt der Erinnerungskultur. Was da im alten Osten 1989 geschah, wurde im erweiterten Westen vor allem als Vollendung national-bürgerlicher Motive bewahrt: Einheit, D-Mark, Wirtschaftsunion. Als ob die Leute im Wendeherbst auf die Straße gegangen wären, damit alsbald Helmut Kohl sie in blühenden Landschaften regiere.
An den Rand gedrängt wurden so viele der damaligen Ziele: antifaschistische Grundsätze, Solidarität, ökologische Erneuerung, Erweiterung der Demokratie. Auch viele Linke haben sich aus dieser Tradition in den vergangenen 30 Jahren zu wenig gemacht. Die AfD ist in verwaiste Räume auf dem Traditionsfeld „1989“ einmarschiert. Es wird nicht leicht sein, sie von dort wieder wegzubekommen.
Kommentare 3
1990 stand AfD noch für „Allianz für Deutschland“
Zitat: „Was da im alten Osten 1989 geschah, wurde im erweiterten Westen vor allem als Vollendung national-bürgerlicher Motive bewahrt: Einheit, D-Mark, Wirtschaftsunion. Als ob die Leute im Wendeherbst auf die Straße gegangen wären, damit alsbald Helmut Kohl sie in blühenden Landschaften regiere.“
Wenn auch nicht „die“ Leute, aber der größere Teil von ihnen, vor allem in Süd-Ost-Sachsen zu lokalisieren, sehr wohl schon.
In der „Zeit“ meinte Jens Jessen vor zwei Jahren, es sei „Kennzeichen jeder Revolution, daß sie die Strukturen der gestürzten Welt spiegelbildlich wiederholt.“ Dies müßte dann natürlich auch die Herbst-Revolution 1989 gelten und wäre ein Erklärungsmuster für das deutsch-nationale Grummeln in den Nachfolgeländern der DDR, man habe nicht die alte UdSSR abgeschüttelt, um sich in der „EUdSSR“ wiederzufinden. Das ist zwar hanebüchener Unsinn, aber nur Ausdruck eines ähnlichen „spiegelbildlichen“ Ohnmachtsempfinden gegenüber der Macht, wie man sie mit den Straßenprotesten der Feierabendrevolution im Herbst 1989 gerade loswerden wollte. Insofern ähneln die südost-sächsischen AfD-Wähler den jubelnden Massen im Dezember 1989 vor der Semper-Oper, die unter dem Meer schwarz-rot-goldener Lochfahnen dem Kanzler zuriefen: „Helmut! Nimm uns an die Hand und führe uns in‘s Wirtschaftswunderland!“ An EU-Fahnen kann sich da niemand erinnern. Die damaligen Schlachtrufe „Wir sind das Volk“ und mehr noch „Wir sind ein Volk“ im Lichte der späteren Entwicklung nicht post festum als „populistisch“ und „nationalistisch“ zu lesen, fällt schwer. Insofern hat sich „der Osten“ nicht geändert, nur glaubten damals die Neo-Völkischen unter den Protestierenden ihre Sache in der damaligen AfD, der „Allianz für Deutschland“ (nicht für Europa!) gut aufgehoben. Allmählich muß es Ihnen gedämmert haben, daß das alles doch wohl nicht so gemeint war. Den meisten von ihnen ist es zwar wirklich, wie von Kohl versprochen, besser ergangen, aber sie wollen nur nicht den damaligen paternalistischen Hätschelstatus mit den Neuankömmlingen teilen.
Man kann also Björn Höcke als gelerntem Wessi nicht übel nehmen, dass er annahm, wo schon immer AfD drauf stand, muss auch AfD drin sein?
Eigentlich klingt für mich als Wessi einleuchtend, dass die Ossis 1990 glaubten, Deutschland beigetreten zu sein, und jetzt aber vergräzt sind, weil sie merken, dass sie sich stattdessen in der multikulturellen EU und NATO wieder finden. Nur verstehe ich dann nicht, warum die ganzen anderen "antifaschistischen" Völker, die 1990 dem Zugriff der UdSSR entkamen, genau diesen Beitritt für ihre eigenen Länder so herbeigesehnt haben und großenteils immer noch bejubeln.
Was ich auch nicht verstehe: Wer "antifaschistisch" ist, einfach weil er in der DDR aufwuchs, ist zugleich eher völkisch-rassistisch mit Sehnsucht nach verflossener deutscher Nazi-Größe?
Ihre Einlassung über den Anteil junger Ossis in den bewaffneten Organen Deutschlands finde ich bedenkenswert. Sie hätten noch den Spitzensport nennen können. Erinnert ein bisschen an die Afro-Amerikaner in den USA. Deren Anteil an den Streitkräften und Spitzensportlern ist auch überproportional zu ihrem Bevölkerungsanteil.
Danke für Ihre ungeschminkte Analyse.
<<...MfS, keine Basis für eine gesicherte Existenz der antifaschistischen DDR existierte, ergibt sich auch aus seiner ''gewaltfreien'' Auflösung! Ja, selbst aus der Erwartung, in ihren Reihen, Teil des westdeutschen Staats- und Kapitalsicherungssystems zu werden. >>
Scheint ein beliebtes Verhaltensmuster zu sein. Nach der Niederlage in WK II fanden ja auch viele Angehörige der Wehrmacht, der Justiz, der Organisation Gehlen und der Polizei wieder ein Auskommen in der BRD.
Fazit: Wess Brot ich ess, des Lied ich sing. Alles andere kann man getrost unter Propaganda oder Märchen für Erwachsene einsortieren.