2019 kommen sie nicht in Frieden

AfD Abermals werden die Ideen der mutigen DDR-Bürgerrechtler vereinnahmt. Diesmal von rechts
Ausgabe 32/2019
1989 skandierten die Menschen auf den Straßen der DDR: „Keine Gewalt!“ Heute brüllt der rechtsradikale Wahl­kämpfer auf ostdeutschen Marktplät­zen: „Die Jagdsaison ist eröffnet!“
1989 skandierten die Menschen auf den Straßen der DDR: „Keine Gewalt!“ Heute brüllt der rechtsradikale Wahl­kämpfer auf ostdeutschen Marktplät­zen: „Die Jagdsaison ist eröffnet!“

Foto: Ulrich Hässler/Imago Images

„Vollende die Wende“, „Werde Bürgerrechtler“: Die rechtsradikale AfD müht sich mit aller Macht, den Aufbruch in der DDR für sich zu reklamieren. Die Landtagswahlen im Osten als Wiederholung, als später Vollzug von 1989?

Schon hört man erste Forderungen, die Bürgerrechtler müssten dieser Vereinnahmung (abermals: Es wäre nicht das erste Mal) widersprechen. Da beansprucht eine Partei den damaligen Mut des tausendfaches Schritts auf die Straße, der es heute um Angstmache geht. Es sind Ausgrenzer, die sich in die Tradition von Öffnern stellen. Da reden Reaktionäre, die mit revolutionärer Symbolik spielen. Wenn diese Leute nun zur „friedlichen Revolution mit dem Stimmzettel“ aufrufen, ist aber nicht nur die Tradition des Aufbruchs berührt, sondern auch der Selbstanspruch der „alten Bundesrepublik“, der ja jener der neuen wurde. Um die Anmaßung der AfD zurückzuweisen, bedarf es keiner DDR-Dissidenten-Biografie.

Der Sozialwissenschaftler Helmut Fehr hat unlängst auf noch einen Punkt der unbedingten Unterscheidung hingewiesen: die politische Sprache. Es sei „die größte Besonderheit der Protestkulturen von 1989“, dass diese durch den rhetorischen Abbau von Feindbildern, durch eine Diktion des Dialogs, durch eine an Toleranz und Kompromiss orientierte Ausdrucksform geprägt gewesen sei. „Ehrlichkeit und Offenheit, moralische Maßstäbe“ – damals gerichtet gegen die Restbollwerke autoritärer Herrschaft.

Und heute? Da machen die Vorboten der nächsten Diktatur Front gegen alles Mögliche, jenseits aller Moral, kompromisslos und auf Lügen gebaut. Das geht schon damit los, dass die, die sich da mit Anleihen an 1989 als neue Führerchen in Szene bringen, so tun, als wären sie damals höchstselbst mit auf der Straße dabei gewesen: „Dafür haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht“, tönen Westdeutsche auf rechter Ostmission wie Björn Höcke in Thüringen oder Andreas Kalbitz in Brandenburg. Und niemand widerspricht.

1989 skandierten die Menschen auf den Straßen der DDR: „Keine Gewalt!“ Heute brüllt der rechtsradikale Wahlkämpfer auf ostdeutschen Marktplätzen: „Die Jagdsaison ist eröffnet!“ Die Claqueure der AfD hetzen im Internet, schlagen bei ihren Aufmärschen zu und rufen nach Mord. Es macht sich hier das Geräusch der „rohen Bürgerlichkeit“ bemerkbar, wie Wilhelm Heitmeyer das genannt hat: „Sie findet ihren Ausdruck in einem Jargon der Verachtung gegenüber schwachen Gruppen und der rigorosen Verteidigung bzw. Einforderung eigener Etabliertenvorrechte im Duktus der Überlegenheit.“

Fehr hat die Sprache der Herbst-Revolutionäre nun in einer Debatte wieder in Erinnerung gerufen, in der es darum geht, welchen Charakter der Aufbruch hatte. Gestritten wird darüber, ob die Bürgerbewegten es waren, die die Schleusen der demokratischen Selbstermächtigung öffneten, oder der Druck der Ausreisenden oder die Politik Michail Gorbatschows, oder, oder, oder.

Dass diese Diskussion heute immer noch läuft, verweist auf einen prekären Punkt der Erinnerungskultur. Was da im alten Osten 1989 geschah, wurde im erweiterten Westen vor allem als Vollendung national-bürgerlicher Motive bewahrt: Einheit, D-Mark, Wirtschaftsunion. Als ob die Leute im Wendeherbst auf die Straße gegangen wären, damit alsbald Helmut Kohl sie in blühenden Landschaften regiere.

An den Rand gedrängt wurden so viele der damaligen Ziele: antifaschistische Grundsätze, Solidarität, ökologische Erneuerung, Erweiterung der Demokratie. Auch viele Linke haben sich aus dieser Tradition in den vergangenen 30 Jahren zu wenig gemacht. Die AfD ist in verwaiste Räume auf dem Traditionsfeld „1989“ einmarschiert. Es wird nicht leicht sein, sie von dort wieder wegzubekommen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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