„Akzeptanzprobleme“: Die SPD sieben Jahre nach Schröders Agenda-Rede

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Mut zur Veränderung“, davon hatte Gerhard Schröder am 14. März 2003 im Bundestag gesprochen. Es sollte eine berühmte Regierungserklärung werden, es war der Startschuss für die Agenda 2010. „Mut zur Veränderung“ bräuchte die SPD jetzt wieder, sich zu verabschieden von einer Politik, die weder den Menschen noch der Partei etwas wirklich Zählbares brachte. Doch die Sozialdemokraten kommen beim oft zitierten Neuanfang allenfalls zentimeterweise voran.

Am Montag hat das SPD-Präsidium einen Beschluss gefasst, der schon im Vorfeld für einige Beachtung gesorgt hatte: Wie weit werden die Sozialdemokraten gehen? Dass arbeitsmarktpolitische Überlegungen der SPD unmittelbar die Frage hervorrufen, ob die Partei und wenn ja wie deutlich von der Agenda 2010 abrücke, zeigt, wie sehr die Sozialdemokraten im Bann der Schröderschen Reform stehen. Umgekehrt merkt man es an der ausweichenden Sprache des nun vorgestellten Präsidiums-Beschlusses: Nicht ein Mal kommt in dem Papier die berühmte „Agenda“ vor, das Signalwort „Hartz“ gerade an einer einzigen Stelle.

Es ist nicht so, dass die SPD zur Selbstkritik weniger fähig wäre als andere Parteien. Bei den Sozialdemokraten fällt es nur etwas deutlicher ins Gewicht. Wer immer noch von „Akzeptanzproblemen“ der Beschäftigten und Hilfeempfänger redet, muss sich vorwerfen lassen, offenbar weiterhin an das Gute in der Reform zu glauben - statt an das Gute im Menschen. Zuallererst ist vom „Verdienst sozialdemokratischer Arbeitsmarktreformen“ die Rede, auf der zweiten Seite erst will die „SPD sich selbst nicht schonen“. Genau das tut sie aber, indem bei ihr der Arbeitsmarkt stets wie von Geisterhand „unfair geworden“ ist oder „unter Druck“ gerät. Es gerät dabei nicht nur die eigene Regierungsverantwortung für den nun beklagten Zustand aus dem Blick. Wer so argumentiert, wie die SPD es mitunter tut, fürchtet auch die Möglichkeiten politischen Eingriffs selbst. Wenn Politik die Agenda 2010 schaffen konnte, warum soll dann Politik nicht auch eine alternative Agenda auf den Weg bringen können? Schröder hat vom „Mut zur Veränderung“ gesprochen. Wo ist der von Sigmar Gabriel?

Die Sozialdemokraten müssten „Fehler erkennen und auch Korrekturen vorschlagen“, heißt es in dem Papier. Das tut die Partei, jedenfalls in Grenzen: Das Arbeitslosengeld I soll bis zu 24 Monate gezahlt, Leiharbeit eingeschränkt werden und das Vermögen von Hartz-IV-Empfängern nicht mehr geprüft werden. Außerdem spricht sich die SPD für einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro aus, sie will 200.000 zusätzliche Stellen für Langzeiterwerbslose schaffen – für drei Milliarden Euro. Die Annahme solcher Arbeit sei „selbstverständlich freiwillig“, so Gabriel. Allerdings sollen die bereits vorhandenen Sanktionsschrauben weiter gelten. Interessant ist, dass über die nahe liegende Anhebung der Regelsätze des Arbeitslosengeldes II kein Wort verloren wird, obwohl das Karlsruher Urteil noch gut in Erinnerung ist. Lediglich eine weitere Absenkung wird abgelehnt. Vielleicht will man die Forderung nach Aufstockung der Armutspauschale zunächst noch der nordrhein-westfälischen Spitzenkandidatin Hannelore Kraft für den Wahlkampf überlassen.

Die Kritiker haben Recht: Mit ihrem Katalog springt die SPD zu kurz, es ist das Dokument einer zerrissenen Partei. Einer Sozialdemokratie, die einerseits enttäuschte Wähler und Mitglieder zurückholen – und andererseits die Erfinder der Agenda nicht brüskieren will; die einerseits ihre Bündnisoptionen nach links verbessern – und sich andererseits die Chance auf Kooperation mit der Union nicht verbauen möchte; die ihre politischen Forderungen einerseits „von der Arbeit her entwickeln“ – und andererseits trotz fehlender Stellen Nicht-Arbeiten weiter bestrafen will.

Das Konzept soll nun an der Basis diskutiert und im September auf einem Parteitag beschlossen werden. Damals, als „Agenda 2010“ noch für eine Politik der Zukunft stand, stimmte ein Sonderparteitag mit über 80 Prozent für den Leitantrag des SPD-Vorstandes zu den Arbeitsmarktreform. Es wäre an den Delegierten der Gegenwart, einen „Mut zur Veränderung“ an den Tag zu legen, der aus ein paar kleinen Korrekturen erst das macht, was die SPD sich insgeheim wünscht: einen Neuanfang.

Mehr zum Thema:

Gerhard Schröders Agenda-Rede vom 14. März 2003 - hier
Die Krise der SPD, Buchkapitel aus: Lafontaines Linke - hier
Fairness auf dem Arbeitsmarkt: SPD-Beschluss vom 15. März 2010 – hier
Weg zur Linkspartei: Erklärung der FDP – hier
Hilfloser Zickzackkurs: Erklärung der CDU – hier
Zu kurz gesprungen: Erklärung der Linkspartei – hier

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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