„Drohgebärde der Finanzindustrie“: Attac-Büro durchsucht

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Die ersten Meldungen kamen mittags via Twitter: „Hausdurchsuchung im Attac-Bundesbüro in Frankfurt“, hieß es da. „Die Staatsanwaltschaft München sucht Gutachten des bayrischen Landtags zur BayernLB.“ Kurze Zeit später wurde auch eine Begründung bekannt. Dem Vorstand des Trägervereins der globalisierungskritischen Organisation wird vorgeworfen, mit der Veröffentlichung der Expertise auf der Attac-Homepage das Urheberrecht verletzt zu haben.

Der Vorwurf klingt nach Vorwand, jedenfalls sieht man das bei Attac so. „Es liegt nahe, in dieser Razzia eine Drohgebärde der Finanzindustrie und von Politikern, die sich ihrer Verantwortung nicht stellen wollen, zu sehen“, sagt Jutta Sundermann vom Koordinierungskreis und eine der Beschuldigten. Tatsächliche solle mit der Aktion verhindert werden, dass bestimmte Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. „Aber einschüchtern lassen wir uns nicht. Es war richtig, dieses Gutachten ins Netz zu stellen.“

Attac hatte das umfangreiche Papier Ende November veröffentlicht. Das sorgte damals zwar nicht für so große Aufmerksamkeit wie anderen Leaks – Zeit online zählte damals nur drei Berichte: "das war es schon". Auch die Androhung des Chefs der Parlamentarischen Kontrollkommission für die BayernLB, Ernst Weidenbusch, per Strafanzeige gegen Attac vorzugehen, stieß seinerzeit kaum auf Resonanz. Ursprünglich, hieß es, habe die Quelle das Material über Wikileaks an die Öffenltichkeit bringen wollen – doch das Portal mit Promiproblemen hatte sich ganz auf die Publikation von vertraulichen US-Dokumenten über große Medienkonzerne konzentriert. Die Aktion war bei Landtagsabgeordneten auf größere Sorgen gestoßen als bei der Bank selbst, die einen fürchteten noch mehr wirtschaftliche Schäden, die BayernLB reagierte eher gelassen, man überließ dem Landtag, eine Strafanzeige zu stellen – wegen Bruch des Urheberrechts.

Die Expertise, die Attac herausgebracht hatte, gilt als brisant, weil darin unter anderem die Frage der möglichen Haftbarkeit der Vorstände und Verwaltungsräte behandelt wird. Außerdem war seinerzeit im Untersuchungsausschuss des Landtags zwar aus dem Gutachten zitiert worden – das vollständige, rund 1.300 Seite starke Papier war aber nicht öffentlich gemacht worden. Bis Attac es tat.

Das Gutachten erhob schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen, Vorstände hätten „in schwerwiegender Weise schuldhaft ihre Überwachungspflicht“ verletzt, mit dem Aufbau der ABS-Investment-Portfolien habe der Vorstand seinen „Aufgaben- und Wirkungskreis überschritten“, und „infolge der Pflichtverletzungen sowohl des Vorstandes als auch des Verwaltungsrates ist der Bayern LB bereits ein Schaden entstanden“, konnte man da lesen. Die Landesbank hatte Milliarden beim Übernahmeversuch der österreichischen Hypo Group Alpe Adrai und 300 Millionen durch den Lehmann-Crash verloren; der Staat bewahrte das Kredithaus mit Riesensummen vor der Pleite.

"Die Zockerei der Banken hat Schäden in Milliardenhöhe angerichtet“, kritisiert auch Steffen Stierle, der ebenfalls im Koordinierungskreis sitzt und nun zu den Beschuldigten gehört. Obwohl Bürger „dafür zahlen mussten und müssen, wurden überall Informationsblockaden errichtet. Für eine demokratische Aufarbeitung und vor allem die Verhinderung künftiger Krisen ist aber Öffentlichkeit nötig.“ So sieht das auch Attac-Veteran Sven Giegold. „Unerträgliche K(l)assenjustiz“, twitterte der heutige Europaabgeordnete der Grünen. Während die Büros von Attac polizeilich durchsucht würden, blieben „fahrlässig gemanagte Banken verschont“.

Nachtrag: Gerade hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar auf der re:publica gefordert, dass die Enthüllung von vertraulichen Informationen aus Politik und Wirtschaft durch so genannte Whistleblower unter dem Schutz der Pressefreiheit stehen sollte – allerdings müssten für Plattformen wie Wikileaks dann auch die Sorgfaltspflichten der Medien gelten.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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