Ächzt, Ökonomen

Geldkreislauf Für US-Polit-Popstar Alexandria Ocasio-Cortez ist sie die Wirtschaftstheorie der Linken schlechthin: Die Modern Monetary Theory erregt die Gemüter
Ausgabe 17/2019
Print lebt! Jedenfalls was das Gelddrucken angeht, liegen die besten Zeiten noch vor uns
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Foto: Paul J. Richards/AFP/Getty Images

Derzeit geht ein Gespenst um, zwar nicht in Europa, aber durch die großen Zeitungen: die Modern Monetary Theory (MMT). Da werden die großen Meinungskaliber aufgefahren. Ein „Todeskult“ (Christian Ortner) sei die zur MMT abgekürzte geldtheoretische und makroökonomische Denkschule, die das „Schlaraffenland“ verspreche (FAZ), kurz: eine Theorie, „zu schön, um wahr zu sein“. Dies, und der Umstand, dass der derzeitige Popstar der US-Demokraten, Alexandria Ocasio-Cortez, die MMT unterstützt, verschafft ihr gerade große Aufmerksamkeit.

Dabei lässt sich die MMT nicht auf ein paar Sätze reduzieren. Im Kern geht der Ansatz auf die schon mehr als 100 Jahre alte „Staatliche Theorie des Geldes“ von Georg Friedrich Knapp und auf Gedanken von Joseph Schumpeter sowie John Maynard Keynes zurück. Staaten mit eigener Währung können über ihre Zentralbanken fast unbegrenzt Geld „schöpfen“ und damit eigene Ausgaben bestreiten. Die Zentralbank müsse nur dafür sorgen, dass die Zinsen niedriger als die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bleiben. Steuern seien nicht als Finanzierungsinstrument zu sehen, sondern als Hebel, um die Inflation zu begrenzen, indem ein Teil des ausgegebenen Geldes bei Bedarf wieder eingesammelt wird. Der Staat kann zudem als „Employer of Last Resort“ faktisch die Erwerbslosigkeit über eine öffentliche Job-Garantie beenden. Gesellschaftlich nützliche Aufgaben wird es immer geben und in den Augen der MMT fehlt auch nie das Geld, diese zu finanzieren.

MMT-Vertreter wie Stephanie Kelton pochen darauf, dass die Theorie vor allem Zusammenhänge beschreibe – politisch sei der Ansatz offen. Man könne auf diese Weise ebenso „Kriege finanzieren“, so Kelton. Entscheidend ist, dass die MMT der interessengeleiteten Behauptung widerspricht, Staaten könnten sich irgendetwas nicht mehr leisten, weil kein Geld da sei.

Vollbeschäftigung als Ziel

Die Heftigkeit, mit der gegen die Theorie und ihre Vertreter argumentiert wird, entspricht dabei spiegelbildlich der moralischen Aufladung aller Vorgänge, die hierzulande mit der Aufnahme von Staatsschulden verbunden sind: Nicht über unsere Verhältnisse leben, an kommende Generationen denken und so fort.

Der MMT kommt hier sozusagen eine ideologiekritische Rolle zu. Diese Funktion erfüllt sie, auch ohne dass man ihr in allen Einzelheiten folgen muss. Der Ansatz, so hat es der in Brüssel für die Gewerkschaften tätige Ökonom Oliver Picek formuliert, räumt vor allem mit dem „Mythos alter Geldtheorien“ auf, „dass der Staat zuerst Steuern einnehmen oder Geld von Privaten leihen muss, bevor er es ausgeben kann“.

Die kreislauftheoretische Beschreibung des Prozesses der Geldschöpfung und der Staatsfinanzierung wird übrigens auch von MMT-Kritikern als „grundsätzlich richtig“ angesehen. „Kontrovers wird es“, legen die Ökonomen Hanno Beck und Aloys Prinz den Finger in die Wunde, wenn Anhänger der MMT „daraus politische Schlussfolgerungen“ ziehen.

Damit ist man dem Kern der Debatte ein Stück näher. Der im Interesse eines „schwachen Staates“ erhobene Zeigefinger der Schwarze-Null-Dogmatiker gründet ja weniger auf der Überzeugungskraft von Theorien der Austerität. Es geht unter dem Strich vielmehr um Interessen. Steigt die Staatsquote, sinkt der privatkapitalistischen Anteil an der Wertschöpfung. Zudem ist die MMT auf Vollbeschäftigung orientiert. Ist die aber erreicht, ließe sie die Kräfteverhältnisse zugunsten der Ware Arbeitskraft, und zu Lasten der Kapitalseite ausschlagen.

Abgesehen davon wird die Modern Monetary Theory derzeit vor allem im linken Spektrum als Fundament für einen „Green New Deal“ und andere sozial-ökologisch orientierte Umbauprogramme der Wirtschaft herangezogen. In fast keiner Kritik der MMT fehlt der Hinweis darauf, dass sich mit Bernie Sanders und Ocasio-Cortez weit links stehende US-Demokraten für den Ansatz erwärmen. „Die Theorie ist auf gutem Weg, die Wirtschaftstheorie der Linken schlechthin zu werden“, hieß es gerade in der Süddeutschen, als Warnung gemeint.

Und so geht es in der öffentlichen Diskussion um die Modern Monetary Theory meist gar nicht um ökonomische Fragen, sondern um politische Möglichkeiten. Der Streit findet nach den Regeln der medialen Bühne statt, auf der er ausgetragen wird – moralische Aufladung und Zuspitzung führten zu Schlagzeilen wie „Schulden machen ohne Reue“. Als ob die politische Ökonomie eine Frage des Gewissens sei.

Dass die MMT auch von als links geltenden Ökonomen wie Paul Krugman kritisiert wird, hat manchem die journalistische Gegnerschaft zu dem Ansatz wohl erleichtert. Doch auch das bleibt nicht ohne Zurückweisung.

Peter Bofinger, lange Zeit die linke Gegenstimme unter den „Wirtschaftsweisen“, hat es „überraschend“ genannt, „dass führende Ökonomen so aggressiv auf dieses Konzept“ reagieren. Er verweist auf die sehr hohen Defizite etwa in Japan oder den USA, die diesen Staaten „offensichtlich nichts ausgemacht haben“. Eine Kombination aus expansiver Fiskalpolitik und expansiver Geldpolitik sei „ein sehr mächtiges Instrument“, das bei Bedarf eingesetzt „und gleichzeitig mit großer Sorgfalt behandelt werden sollte“. Es komme schlicht auf die Dosis an, so Bofinger.

Als Universalschlüssel zur Lösung aller möglichen Probleme wollen deren Vertreter die MMT ohnehin nicht verstanden wissen. Der Ökonom Dirk Ehnts hat schon vor Jahren erklärt, die MMT werde „nicht zu einer besseren Welt“ führen und „uns das Denken nicht abnehmen“. Die Theorie könne aber „indirekt zur Lösung unserer Probleme beitragen, indem sie die Qualität der Analyse erhöht und Möglichkeiten aufzeigt, eine bessere Welt zu schaffen“.

Da klingt dann wieder das politische Gestaltungsmotiv durch. Das soll keine Kritik sein: Die Aufmerksamkeit, die die MMT erfährt, hat auch damit zu tun, dass derzeit nach neuen Antworten auf ökonomische Probleme gesucht wird. Der Aufschwung, den die MMT erfährt, ist also auch Ausdruck eines Denkumschwunges in Zeiten, in denen kritischer als zuvor über die Schuldenbremse und positiver über eine stärkere Rolle des Staates bei der Steuerung der Volkswirtschaft diskutiert wird.

Oder, wie es der inzwischen verstorbene linke MMT-Kritiker Heiner Ganßmann einmal formuliert hat: Trotz ihrer Schwächen trage die MMT dazu bei, „die theoretischen Grundlagen der Austeritätspolitk zu demolieren“.

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