Noch sind die politische Verhältnisse bei diesem Thema so überschaubar wie festgefahren: Eine große Mehrheit der Deutschen meint, dass sich die Bundeswehr „möglichst schnell“ aus Afghanistan zurückziehen soll. Das sieht eine mindestens ebenso große parlamentarische Mehrheit völlig anders. Nur die Linken fordern seit langem einen raschen Abzug der Truppen.
Angesichts der ziemlich einsamen Opposition der Partei von Oskar Lafontaine in dieser Frage konnten CDU und SPD den Krieg am Hindukusch bisher weitgehend aus dem Wahlkampf heraushalten. Schon die letzte Verlängerung des Mandats im vergangenen Herbst war nicht zuletzt deshalb um vierzehn Monate erfolgt, damit die nächste nicht im kommenden August in die Endphase des Rennens um die Wählergunst gerät.
Die Zuspitzung der Sicherheitslage, die Diskussion um Tapferkeitsorden, die Tötung von Zivilisten und eigene Verluste haben das Interesse der Öffentlichkeit zuletzt allerdings wieder stärker auf Afghanistan gelenkt. Das spornte das Reden darüber an: über den Kriegsbegriff, über Ausrüstungsprobleme und über Ehrenmäler. Eine Frage spart die Politik dabei aber so gut es eben geht aus: Wann und unter welchen Bedingungen soll die Bundeswehr einen Einsatz beenden, der nicht nur von notorischen Kritikern, sondern von Entwicklungsexperten, Hilfsorganisationen und Menschenrechtlern als verheerender Fehlschlag bezeichnet wird?
Ein Vorstoß der CSU – und der Tritt auf die Bremse
Wie gering die Bereitschaft ist, sich auf diese Frage im Wahlkampf einzulassen, zeigten gerade erst die Reaktionen auf einen Vorstoß aus der CSU. Der Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl hatte für eine Änderung der Prioritäten vom Militärischen zum Polizeilichen plädiert – und als Ziel einen baldigen Abzug innerhalb der nächsten Jahre genannt. Konkreter wurde der Sicherheitsexperte zwar nicht. In Zeiten, in denen die Demoskopen mit 69 Prozent die bisher höchste Zustimmung für einen schnellen Abzug ermittelten, standen die Christsozialen plötzlich aber als Anwalt der Mehrheit da. Es sei „richtig und grundvernünftig“, dass sich die Deutschen in großer Zahl für einen raschen Abzug aussprechen, antichambrierte auch Uhls Kollege Christian Ruck beim Wähler.
Es folgten umgehend Bremsbemühungen aus SPD und CDU. Der CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden erklärte, er „glaube nicht, dass jetzt die Zeit gekommen ist, um über einen Abzug unserer Soldaten zu sprechen“. Angela Merkels Mann fürs Militärische, Verteidigungsminister Franz Josef Jung, nannte eine möglichst weit gefasste Zeitspanne von „fünf bis zehn Jahren“, die der deutsche Einsatz auf jeden Fall noch dauern werde. Und auch der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sah sich in der Pflicht, gegen jede „kopflose Exit-Diskussion“ zu polemisieren.
SPD-Linke bleibt in der Deckung
Die Sozialdemokraten sind offenbar nicht in der Lage, sich zu einem Maß an Selbstkritik durchzuringen, nach dem eine Frage nicht schon deshalb tabuisiert werden muss, weil das eigene Spitzenpersonal jenen Zustand mit verursacht hat, den andere durch einen Abzug zu beenden hoffen. Selbst die SPD-Linke, die – wie etwa die Juso-Chefin Franziska Drohsel – eine kritische Position zum Afghanistankrieg einnimmt, bleibt in der Deckung. Dabei wäre es durchaus hilfreich, wenigsten das Wort zu erheben, wenn die alte SPD-Riege einmal wieder Argumente hervorkramt, von denen man gar nicht glaubte, dass sie noch ernsthaft im Angebot sind.
Gernot Erler zum Beispiel, der sozialdemokratische Staatsminister im Außenamt, warnte mit Rückblick auf die Anschläge vom 11. September 2001: „Wir können erst raus, wenn sicher ist, dass sich das nicht wiederholt.“ Verhindert der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan tatsächlich einen neuen Anschlag? Oder der frühere Verteidigungsminister Peter Struck, dessen Rede von der Verteidigung der deutschen Sicherheit am Hindukusch zum geflügelten Wort geworden ist. Der hat die Kanzlerin in der Zeit gerade dafür kritisiert, dass sie sich nicht ausreichend gegen die ablehnende Haltung der Bevölkerung zum Afghanistan-Einsatz stemmen würde. Struck dürfte bedauern, dass man sich nicht einfach ein neues Volk wählen kann.
Grünen-Anhänger am ehesten gegen einen Abzug
Bei den Grünen stemmt sich die Parteilinke zwar gegen die Befürworter des ISAF-Einsatzes und erinnert immer wieder an den Beschluss der Göttinger Delegiertenkonferenz, der einen verantwortungsvollen Rückzug aus Afghanistan vorsieht, wenn eine Überprüfung gegen die Fortsetzung des Bundeswehrmandats spricht. Auf dem Parteitag in Rostock will man das Thema Afghanistan als eigenständigen Tagesordnungspunkt durchsetzen und so eine breite Diskussion erzwingen. Doch das Delegiertentreffen findet erst Ende Oktober statt, also nach der Bundestagswahl. Hinzu kommt, dass sich gerade die Grünen-Anhänger noch am ehesten für einen Verbleib deutscher Soldaten am Hindukusch aussprechen – nach dem jüngsten Deutschlandtrend immerhin 43 Prozent, während es im Bundesdurchschnitt nur 27 Prozent sind.
Selbstverständlich sind mit einem Abzug der Soldaten nicht sogleich alle Probleme gelöst. Das behauptet aber auch kaum jemand. „Zahlreiche Afghanen haben die Friedens- und Menschenrechtsrhetorik des Westens für bare Münze genommen und sich im Konflikt mit überkommen geglaubten Strukturen für eine demokratische Zukunft engagiert“, sagt etwa Thomas Gebauer von Medico International und warnt davor, diese Menschen nun im Stich zu lassen. Für ein Ende der militärischen Logik ist er dennoch. Auch die Friedensbewegung nimmt die Debatte nicht auf die leichte Schulter. Weder die Befürworter eines schnellen Abzugs (wie etwa Peter Strutynski) noch jene, die für schrittweise Exit-Konzepte plädieren (wie etwa Andreas Buro), argumentieren „kopflos“ – wie es Steinmeier und andere suggerieren.
Die Diskussion darüber, wann und unter welchen Bedingungen die Bundeswehr aus Afghanistan abzieht und welche zivilen Strategien stattdessen greifen müssen, muss jetzt geführt werden. Wann sonst? Die Entscheidung über die Modalitäten eines Abzug und das, was danach kommen soll, wird der Bundestag sehr wahrscheinlich in der kommenden Legislatur fällen. Der Streit über die richtige Exit-Strategie gehört also genau hier hin: in den Wahlkampf.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.