Arbeitsmarkt und Unterbeschäftigung: neue Zahlen, neue Studien

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Die offiziell registrierte Erwerbslosigkeit ist weiter zurückgegangen. Die Bundesagentur für Arbeit führt die Entwicklung auf die „Frühjahrsbelebung“ und die „wirtschaftliche Erholung“ zurück. In Zahlen: Im Juni waren 3,153 Millionen Menschen arbeitslos, das sind 88.000 weniger als im Mai und 257.000 weniger als im Vorjahr. „Im Vergleich mit der Zeit vor der Wirtschaftskrise haben Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zwar zugenommen, der Anstieg ist aber erheblich geringer als angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erwartet wurde“, heißt es in Nürnberg.

Die Ost-West-Unterschiede reproduzieren sich auf etwas niedrigerem Niveau: In den neuen Ländern beträgt die Erwerbslosenquote 11,6 Prozent, in den alten Ländern 6,5 Prozent. Blickt man auf vom Strukturwandel besonders betroffenen Regionen in Ost und West, fällt der Abstand allerdings kaum noch ins Gewicht: In Brandenburg ist die Erwerbslosigkeit mancherorts ein geringeres Problem als in weiten Teilen des Ruhrgebiets.

Kurzarbeit

Der gegenüber den Befürchtungen vergleichsweise geringe Stand der offiziellen Erwerbslosigkeit wird unter anderem auf die Kurzarbeit zurückgeführt. Die aktuellsten Daten liegen für den April vor: in dem Monat bezogen 613.000 Beschäftigte Kurzarbeitergeld, berichtet die Bundesagentur. Das sind rund 250.000 weniger als zu Jahresbeginn. Im Juni haben die Unternehmen für bis zu 27.000 Beschäftigte neu Kurzarbeitergeld beantragt. Schwerpunkte sind der Maschinenbau, die Autoindustrie und deren Zulieferer sowie Transportunternehmen. Zugleich zieht die Suche nach Arbeitskräften gerade in der Auto-Branche stärker als erwartet an – allerdings fällt die Zahl der hinzugekommenen öffentlich ausgeschrieben Stellen kaum ins Gewicht: ein Plus von 2210.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hatte bereits vor einigen Monaten eine Studie vorgelegt, nach der durch Kurzarbeit 2009 über eine Millionen Job gerettet worden seien. Dabei sank die Arbeitszeit eines Beschäftigten durch Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit im Schnitt um 3,2 Prozent. „Dieser Rückgang entspricht rechnerisch rund 1,2 Millionen Jobs, die gesichert wurden“, so seinerzeit die Arbeitsmarktforscher Eugen Spitznagel und Susanne Wanger.

Unterbeschäftigung

Die offizielle Nürnberger Statistik gibt kein realistisches Bild – diese Kritik wird seit Jahren erhoben. So auch diesmal: Die Linkspartei etwa hat nachgerechnet, dass im Juni 4,332 Millionen Menschen „wirklich“ erwerbslos sind. Eingerechnet sind hier auch diejenigen, „die in Minijobs oder arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen geparkt sind“. Auf die tatsächliche Unterbeschäftigung weist Ulrike Herrmann in der Tageszeitung hin: 8,6 Millionen Menschen zwischen 15 und 74 Jahren würde gern überhaupt oder jedenfalls mehr arbeiten als derzeit. Die Zahlen liefert das Statistische Bundesamt: Neben den offiziell registrierten 3,2 Millionen Erwerbslosen kommen noch 1,2 Millionen Menschen „in stiller Reserve“ und 4,2 Millionen Unterbeschäftigte hinzu.

Zur Stillen Reserve gehören jene, die zwar Arbeit suchen, jedoch im Moment kurzfristig dafür nicht zur Verfügung stehen – etwa weil sie Kinder betreuen oder erkrankt sind – bzw. solche, die aus verschiedenen Gründen – etwa weil sie sich als chancenlos betrachten – keine Arbeit suchen, aber grundsätzlich gerne arbeiten würden und auch verfügbar sind. Als „Unterbeschäftigte“ gelten zum Beispiel Teilzeitkräfte, die gern ihre Stundenzahl erhöhen würden, oder Vollbeschäftigte, die den Wunsch nach mehr Arbeit äußern, um zusätzliches Geld zu verdienen. Eine offene Frage bleibt, wie viele Nicht-Beschäftigte gar nicht arbeiten wollen – und aus welchen Gründen. Zum Beispiel, weil sie der Meinung sind, ihre Bestimmung sei es, Kinder zu hüten oder dergleichen.

Teilzeitjobs

Diese Zahlen ur Unterbeschäftigung sind nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie den Rang Deutschlands im europäischen Vergleich relativieren: Betrachtet man nur die Erwerbslosenquoten, lag die Bundesrepublik zuletzt auf Platz 12, bezieht man sich hingegen auf die Quoten des ungenutzten Arbeitskräftepotenzials, liegt Deutschland auf Platz 20. Sondern vor allem deshalb, weil „der unerfüllte Wunsch nach Arbeit oder Mehrarbeit mitunter starke Einbußen in der Lebensqualität“ hervorruft, wie es die Bundesstatistiker ausdrücken. Und weil sich auf dem Arbeitsmarkt eine schleichende Entwicklung abspielt: Die Vollzeitbeschäftigung geht (inzwischen etwas langsamer) zurück (minus 60.000 gegenüber Juni 2009), die Teilzeitbeschäftigung wächst (und zwar deutlich stärker: um 180.000 gegenüber dem Vorjahreszeitraum).

Leiharbeit

Zum Schluss noch der Hinweis auf eine Studie des IAB zur Leiharbeit. Die Frankfurter Allgemeine schreibt, die Zahlen zeigten, dass die Branche „Chance für Arbeitslose“ bietet. Die Süddeutsche titelt hingegen: „Leiharbeiter finden kaum reguläre Jobs“. Und tatsächlich: „Nur sieben Prozent der vormals Arbeitslosen“ schaffen es, so das IAB, „im Zweijahreszeitraum nach der Leiharbeit überwiegend beschäftigt zu bleiben und dabei die Leiharbeit komplett hinter sich zu lassen.“ Die Autoren betten ihre Ergebnisse zugleich in die Debatte um Reformen am Arbeitsmarkt ein. Seit Anfang der neunziger Jahre sei die Arbeitnehmerüberlassung „nach und nach stark dereguliert“ worden, zuletzt im Zuge der Hartz-Gesetze. „Dieses Reformelement gehört zu den umstrittensten Elementen des Gesamtpakets. Mit der Reform war auch die Hoffnung verbunden, Arbeitslosen durch Leiharbeit eine Brücke in Beschäftigung jenseits der Zeitarbeitsbranche zu bauen.“ Das IAB will allenfalls von einem „schmalen Steg“ sprechen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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