Der Wunderglauben hat eine neue Heimat – die SPD. Wann immer führende Sozialdemokraten auf die Lücke zwischen Regierungsanspruch und Umfragewerten angesprochen werden, schalten sie auf Zweckoptimismus. „Es ist fast alles möglich“, behauptet Franz Müntefering. Und Frank-Walter Steinmeier erklärt, er lasse sich von den Zahlen der Demoskopen „nicht irremachen“.
Was soll der Spitzenkandidat auch sagen. Die SPD steht in der Wählergunst heute auf dem Niveau, für das Kurt Beck vor einem knappen Jahr fortgejagt wurde. Nun konnte man schon damals wissen, dass der Niedergang der Partei weniger mit den Unzulänglichkeiten eines Pfälzers zu tun hat, als vielmehr mit dem Kurs der SPD in den Jahren zuvor. Was sich heute in Umfragen niederschlägt, ist das Echo einer Politik, die vom aktuellen Führungstrio mit ins Werk gesetzt und stets verteidigt wurde. „Wir stehen zu dieser Politik“, betont Steinmeier immer wieder. Bei der Wahl am 27. September stellt sich die Agenda-SPD zur Abstimmung. Womöglich zum letzten Mal.
Hoffen auf den Schlussspurt
Von einem „Last-Minute-Swing“ ist die Rede und von einer Schlussphase mit „vielen Überraschungen“, für die die SPD eigens vier Millionen Euro aus ihrem Wahlkampfetat reserviert hat. Die Sozialdemokraten setzen darauf, dass die Menschen vergesslich sind und die Union ihren Fehler von 2005 wiederholt, als sie sich allzu sicher wähnte. In der CDU weiß man um die Gefahr. Die Wahl, sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Günter Oettinger, sei „noch längst nicht gewonnen“.
So zielgeradenstark, wie sich die SPD redet, ist die Partei freilich nicht. Das trifft zuallererst auf die Troika an der Spitze zu – nicht der erste sozialdemokratische Dreier, der nicht recht funktionieren will. Wer würde beim Vorsitzenden heute noch den „Münte-Effekt“ preisen? Der frühere Kampagnen-Magier scheint seiner Zauberkraft beraubt. Zuletzt zeigten sich die Genossen eher irritiert von ihrem Chef. Finanzminister Peer Steinbrück wiederum torpediert immer wieder die mühsam hergestellte Geschlossenheit der SPD mit forschen Äußerungen – wie zuletzt mit seiner Kritik an der Rentengarantie. Und schließlich muss die Partei in schwieriger Lage mit einem Spitzenkandidaten auskommen, der von den Wahlkampfqualitäten seines Vorgängers Schröder weit entfernt ist.
Messlatte für Steinmeier
Wofür wird es reichen? Die Messlatte für Steinmeier liegt bei einem SPD-Ergebnis von etwa 30 Prozent. Damit würden es die Sozialdemokraten aller Voraussicht nach schaffen, wenigstens ihr inoffizielles Wahlziel zu erreichen – die Fortsetzung der großen Koalition. Steinmeier könnte Vizekanzler bleiben und später von Müntefering auch den Parteivorsitz übernehmen. Möglich ist das durchaus. Bleibt die SPD allerdings klar hinter den 28,8 Prozent von 1953 zurück, hätte die dem Schröderschen Erbe verpflichtete Troika ausgedient.
Wie schnell sich dann die Neuaufstellung der SPD vollzieht, lässt sich nicht vorhersagen. Einige Medien prophezeien für den Fall einer schweren Wahlniederlage von Steinmeier und Co. bereits einen insolventen Haufen, der politisch nach links rücken würde. Solche Invektiven zielen vor allem auf den Sprung von Andrea Nahles und Klaus Wowereit in die allererste SPD-Reihe. Einer aktuellen Umfrage zufolge würde ein Aufstieg von Berlins Regierendem Bürgermeister dabei am ehesten auf Wohlwollen bei den Wählern stoßen. Andere Kandidaten wie Umweltminister Gabriel oder sein Kollege vom Arbeitsressort Olaf Scholz liegen ebenso zurück wie die Parteivize. Wowereits Problem: In Berlin befindet sich sein Stern gerade im Sinkflug. Außerdem macht Beliebtheit allein noch keinen SPD-Vorsitzenden. Nahles hat mit ihrem Netzwerk innerhalb der Partei zweifellos bessere Chancen im Apparat.
Es fehlt ein "Projekt"
Man kann darüber streiten, ob Wowereit und Nahles für einen Neuanfang geeignet sind – schließlich waren sie in den vergangenen Jahren nicht aus der Welt. Etwas anderes ist aber nicht im Angebot, die Jüngeren werden warten müssen. Es gibt zudem ein von den Personen wegführendes Problem: Es fehlt ein „Projekt“, etwas, das aus einem bloßen Generations- einen Kurswechsel machen könnte. Etwas, das stark genug ist, die erwartbaren Attacken der Parteirechten zu kontern und das zugleich die so unterschiedlichen Erwartungen der enttäuschten Basis befriedigt. Nur der Hinweis auf das Hamburger Programm reicht da nicht aus.
Ein von Nahles gestarteter Versuch unter der Überschrift „Die gute Gesellschaft“ konnte die Lücke keinesfalls füllen und verschwand rasch wieder aus der Öffentlichkeit. Ein vergleichbarer programmatischer Vorstoß von Wowereit ist nicht in Erinnerung – als Protagonist einer Koalition mit der Linkspartei steht der Mann für die machtpolitische Öffnung der SPD, aber kaum für mehr. So gibt es für die Zeit nach der Schröder-SPD zwar ein paar Namen und Varianten, aber kein Drehbuch zum Bruch. Sicher: Ein Wahlkampfjahr bietet denkbar schlechte Möglichkeiten, sich – auch über die Partei hinaus – über ein solches zu verständigen. Umgekehrt gilt aber auch, dass meist nach Wahlkämpfen jene Türen aufgestoßen werden, hinter denen ein Neuanfang liegt. Wie hatte es Franz Müntefering gesagt? „Es ist fast alles möglich.“ Basta mit Basta
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