Freitag: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, in die Linkspartei einzutreten?
Nadja Hirsch:
(lacht) Nein. Das kommt überhaupt nicht infrage. Wie kommen Sie darauf?
Oskar Lafontaine sagt, die Linke sei die einzige Partei, die heute noch die Forderungen des Freiburger FDP-Programms von 1971 vertritt.
Jeder Text lässt Spielraum für Interpretationen. Aber wenn ich die
Eine der Thesen zielte auf die Reform des Kapitalismus.
Das hat aber nichts mit der Linken zu tun. Wer die soziale Marktwirtschaft durch die Krise bringen will, muss den ungezügelten Kapitalismus zähmen, ohne dabei in Staatsgläubigkeit zu verfallen.
Ihr Generalsekretär Christian Lindner sagt, die "Freiburger Thesen" seien zwar Legende, aber in Teilen auch Geschichte.
Das mag für einige Passagen stimmen. Aber es ist doch ein ur-liberales Ziel, ordnungspolitische Maßnahmen zu ergreifen, um der Wirtschaft einen fairen Wettbewerb und den Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Wer das will, muss auch sagen, welche Schritte der Regulierung er für richtig hält.
Zum Beispiel eine Finanztransaktionssteuer. Aber die FDP ist dagegen.
Ich persönlich halte eine solche Steuer für einen richtigen Schritt.
Karl-Hermann Flach, der 1971 Generalsekretär der FDP war, veröffentlichte damals eine Streitschrift unter dem Titel Noch eine Chance für die Liberalen. Warum sollte man der FDP heute noch eine Chance geben?
Es hat in der FDP immer Politiker gegeben, die sich zu einem ganzheitlichen Liberalismus bekannt haben, denken Sie an den Freiburger Kreis und den neu gegründeten
Zunächst hat er Ihnen damit aber einen historischen Wahlerfolg beschert.
Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, was seither passiert ist. Insbesondere nach den Wahlen in Berlin, wo die FDP nur noch 1,8 Prozent erreichte, sind viele in unserer Partei aufgewacht. Die meisten Liberalen haben begriffen, dass es auf dem bisherigen Weg nicht weitergehen kann.
Auf welchem sonst?
Die FDP muss ihre Politik wieder auf das Fundament eines echten Liberalismus gründen, der Freiheits- und Teilhaberechte gleichermaßen berücksichtig und der sich den neuen Fragen zuwendet, die eine Gesellschaft stellt – denken Sie an das Internet und das neue Bedürfnis nach demokratischer Beteiligung. Die FDP der Freiburger Thesen war eine Partei, die für soziale Verantwortung und Chancengleichheit, für Bildungsgerechtigkeit und Mitbestimmung stand. Und sie war die erste Partei, die das Thema Umweltschutz programmatisch aufgegriffen hat.
Trotzdem haben sich die Grünen gegründet. Und die können Öko besser.
Nein, können die nicht. Vielleicht hat die FDP ökologische Themen in der Vergangenheit vernachlässigt, weshalb den Grünen die Konkurrenz fehlte. Unser liberaler Ansatz unterscheidet sich deutlich, etwa in der Frage der Landwirtschaft: Den Grünen geht es nicht um Wahlfreiheit für den Verbraucher. Als Liberale treten wir für einen fairen Wettbewerb zwischen ökologischer und herkömmlicher Landwirtschaft ein. Und wir wollen den Bürgern die Möglichkeit verschaffen, sich frei zu entscheiden.
Wahlfreiheit ist so lange ein leeres Versprechen, wie sich die Leute die Entscheidung für eine Alternative gar nicht leisten können: zum Beispiel teure Bioprodukte.
Wenn es einen fairen Wettbewerb gibt und die Nachfrage weiter kontinuierlich steigt, sinken auch die Preise für ökologische Lebensmittel. Ziel kann aber nicht sein, Bioprodukte immer billiger zu machen, denn das gefährdet vor allem mittelständische Hersteller. Die FDP muss sich auch die Frage stellen, wie es gelingen kann, dass mehr Menschen sich grünes Einkaufen leisten können.
Die FDP polemisiert gegen höhere Hartz-Regelsätze und lehnt einen Mindestlohn ab.
Erstens: Wir Liberale haben in der Regierung bereits mehrere Branchenmindestlöhne ermöglicht. Man muss von seiner Arbeit leben können, das war immer auch ein liberaler Gedanke. Zweitens: Die FDP muss sich bei diesem Thema tatsächlich neu orientieren. Ein für Liberale zentrales Argument gegen Lohnuntergrenzen, nämlich die Gefährdung von Arbeitsplätzen, erscheint im Lichte neuer Untersuchungen überholt. Ich sehe keine Notwendigkeit mehr, krampfhaft weiter an der Anti-Mindestlohn-Pose festzuhalten – unter der Bedingung: Der Staat hält sich heraus, und der Mindestlohn bleibt Sache der Tarifpartner.
Ihr Vorsitzender Philipp Rösler hat von „mitfühlendem Liberalismus“ gesprochen, von „sozialer Sensibilität“. Dass die FDP dazu fähig wäre, glaubt ihr offenbar kaum jemand – die Partei steckt im Umfragekeller fest.
Das Problem der FDP ist, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, Liberalismus und soziale Gerechtigkeit seien unvereinbar. Das ignoriert unsere programmatische Tradition: Die „Lebenschance“ für jeden ist unser Ziel, unabhängig von Geschlecht, familiärer Herkunft oder Nationalität. Freiheit gibt es nicht ohne Verantwortung auch der Stärkeren für die Schwächeren.
Die könnten dieser Verantwortung durch das Zahlen von Vermögens- und höheren Erbschaftssteuern nachkommen. Das sind nicht gerade FDP-Forderungen.
Und es ist ja auch nicht der einzige Weg. Damit der Staat das Notwendige leisten kann, ist Umverteilung durch Steuerpolitik nötig, keine Frage. Darüber hinaus müssen wir aber auch die Möglichkeiten des freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements fördern. Ein ganzheitlicher Liberalismus lehnt einen Moloch Steuerstaat genauso ab, wie er verhindern wird, dass ein Gemeinwesen vollständig auf die Gutmütigkeit von Reichen angewiesen ist.
Sie machen sich für eine linksliberale Wende in der FDP stark. Wenn von Neuausrichtung der Partei die Rede ist, kommt einem aber eher der Name des Euro-Rebellen Frank Schäffler in den Sinn.
Das ist so, und ich sehe darin auch ein großes Problem. Der Mitgliederentscheid über den Rettungsmechanismus ESM führt die FDP an eine Weggabelung, an der sich mitentscheidet, wohin die Partei in Zukunft gehen wird.
Machen Sie sich Sorgen, dass die FDP ihren Platz im Parteiensystem auf rechtspopulistischem Terrain sucht?
Ich nehme entsprechende Sorgen sehr ernst. Derzeit sehe ich noch eine Mehrheit in der FDP, die einen solchen Weg strikt ablehnt – weil es kein liberaler Pfad wäre. Eine liberale Partei kann nicht nationalistisch und antieuropäisch orientiert sein, sie darf nicht mit den Ressentiments der Bürger spielen.
Ihr Vorsitzender Rösler hat einmal erklärt, mit 45 Jahren aus der Politik ausscheiden zu wollen. Wie lange bleiben Sie der FDP noch erhalten?
(lacht) Ich mache Politik, um etwas zu verändern – in der Gesellschaft und auch in der FDP. Dafür gibt es keine zeitliche Begrenzung, höchstens eine politische: Wenn man merkt, dass man nichts mehr verändern kann. Ich bin seit 13 Jahren in der FDP. Mein Verständnis eines ganzheitlichen Liberalismus hatte in dieser Zeit einen schweren Stand in der Partei. Aber die Herausforderung, dass sich das ändert, und die Chance, dass das auch gelingen kann, sind in Zeiten des Umbruchs so groß wie nie.
Nadja Hirsch, geboren 1978, hat Psychologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Die Münchnerin sitzt für die Liberalen im Europaparlament und hat vor einigen Monaten den Dahrendorfkreis in der FDP mitgegründet (Foto: Andreas Gebert/ DPA)
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