Als Sascha Vogt im vorigen Jahr gefragt wurde, ob er Vorsitzender werden wolle, hat der Sozialdemokrat erst einmal zwei, drei Tage nachgedacht. An der Spitze der Jungsozialisten zu stehen, ist schließlich keine ganz einfache Aufgabe. Einerseits sind die Jusos seit Jahren klar links von der Mutterpartei verortet, gewissermaßen ein organisierter Konflikt mit der Politik der SPD-Führung. Andererseits wird den Jungsozialisten nachgesagt, bei aller sozialistischen Rhetorik doch nur eine Art Durchlauferhitzer zu sein, der wenig Einfluss in der SPD hat und, wenn überhaupt, ganz normale Parteikarrieren hervorbringt. Motto: Links unten anfangen, rechts oben rauskommen.
Vor dem Bundeskongress der Jusos am Wochenende in Lübeck wird Sascha Vogt wieder einmal zwei, drei Tage
i Tage über das Amt nachgedacht haben. Ob er etwas falsch gemacht hat. Oder jedenfalls nicht richtig. Die „Pragmatiker“ bei den Jungsozialisten haben mit Freddy Stiegler einen Herausforderer ins Rennen geschickt. Wohl eher eine symbolische Geste der Kritik, lanciert von jenem Flügel, der schon länger den Kurs der Organisation als zu links ablehnt und schon bei der Wahl im Sommer 2010 die Hoffnung hatte, „dass Vogt die Jusos öffnen wird“. Was immer das bedeutet.Nun ist vom Umsturzversuch die Rede, gar von einem Putsch. Vogt, der mit 17 im sauerländischen Hemer eine Juso-Gruppe gründete, weil die Junge Union für ihn nicht in Frage kam, es aber genug Gründe gab, sich politisch zu engagieren, weht der Wind aus dem eigenen Lager erstmals so offen ins Gesicht. Nicht, dass der studierte Politikwissenschaftler bisher nur mit Beifall bedacht worden wäre. Zur SPD-Linken zu gehören, ist nicht vergnügungssteuerpflichtig in diesem Land. Die gut 68 Prozent, mit denen Vogt 2010 erstmals zum Vorsitzenden gewählt wurde, entsprachen aber den üblichen Mehrheitsverhältnissen bei den Jungsozialisten – seine Vorgängerin Franziska Drohsel holte 2007 das beste Ergebnis seit 1969: mit 75 Prozent."Schande der Sozialdemokratie"Die strömungspolitisch motivierte Gegenkandidatur wird zeigen, wie viel die „Pragmatiker“ tatsächlich auf die Waage bringen. Landesverbände wie der niedersächsische sprechen von der „überraschenden Kandidatur eines uns völlig unbekannten Kandidaten“, die Jusos in Nordrhein-Westfalen, Vogts Heimatverband, hätten Widerpart Stiegler von der Delegiertenvorbesprechung ausgeladen, heißt es. Der Kandidat selbst meint, die Jusos träten „viel zu lange schon“ als „offizieller Arm des linken SPD-Flügels“ auf, statt Sprachrohr der jungen Generation zu sein. Er wolle Schluss machen mit „Abschottung und Selbstbeschäftigung“ Vogt hat auf die Kampfansage reagiert, wie man es von einem Vorsitzenden erwartet: „Wir sind ein demokratischer Verband“, wird der 31-Jährige zitiert. „Die Kandidatur zeigt nur, dass wir lebendig sind.“Viel hörte man von den Jusos zuletzt allerdings nicht. In der Debatte um Steuererhöhungen hat sich Vogt zu Wort gemeldet und gegen eine politische Vorfestlegung auf den Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück angekämpft. Als kooptiertes Vorstandsmitglied bei den Parteilinken hat der Lehrersohn aus Iserlohn gesagt, was zu sagen ist angesichts der Krise der SPD. Er hat mit Blick auf die Regierungsbilanz von einer „Schande der Sozialdemokratie“ gesprochen und mehr Offenheit gegenüber der Linkspartei gepredigt.Als Motor einer wirklichen Neupositionierung der SPD nach Rot-Grün und großer Koalition konnten die Jusos aber kaum reüssieren. Die „inhaltliche Triebfeder“ bewirkte umso weniger, je stärker die SPD-Spitze in der Opposition links blinken konnten, ohne den Erneuerungsprozess wirklich voranzutreiben. Der gerate „immer mehr in den Hintergrund“, wird im Leitantrag des Juso-Vorstandes beklagt, während „tatsächliche und scheinbare Wahlerfolge in den Vordergrund rücken“.Unter Vogt knüpfen die Jusos an den Begriff der „linken Volkspartei“ an. Er soll für das Bekenntnis stehen, „dass die SPD für große Teile der Gesellschaft kämpft und zwar für die Unter- und die Mittelschicht. Es reicht eben nicht, sich auf den Facharbeiter und eine Mitte der Gesellschaft zu stützen“. Drei größere Projekte sollen den Kern der Juso-Arbeit in den kommenden zwei Jahren bilden – eine neue Weltwirtschaftsordnung, mehr Teilhabe und Demokratie sowie mehr Möglichkeiten für alle. Der Bogen von der globalen politischen Ökonomie zur „wirklichen“, materiell fundierten Freiheit des Einzelnen, ist natürlich nicht neu, die politische Suchbewegung nach dem Anderen, Besseren noch immer nur begonnen.Immerhin: Was die Organisation angeht, kann Vogt, der in Münster AStA-Chef und Geschäftsführer im bundesweiten Aktionsbündnis gegen Studiengebühren war, auf Erfolge verweisen. Was bei den Jusos schon seit Jahren praktiziert wird – geringe Hürden für die Mitarbeit, flexiblere Strukturen, kampagnenbezogene Beteiligung von Sympathisanten –, war zum Teil Vorbild für jene Parteireform, die auf dem SPD-Parteitag im Dezember beschlossen werden soll. Dieses Modell sollen nun auch andere Arbeitsgemeinschaften der Partei übernehmen – in der Hoffnung, dass die Engagierten dann auch irgendwann in die SPD eintreten.„Die Öffnung der Partei funktioniert über Themen und Zielgruppenarbeit“, glaubt Vogt. Und über Bündnisse, die zur „Doppelstrategie“ der Jungsozialisten zählen: Einwirken auf die SPD von links, Anschluss an die Protestbewegung. Ob Occupy oder Azubis, Bildungsproteste oder Grundrechte – die Jusos haben unter Vogts Ägide auch dort Partner gefunden, wo Sozialdemokraten ihr schlechtester Ruf vorauseilt. „Bündnisse beruhen auf Vertrauen und Verlässlichkeit“, sagt Vogt. „Hier hat die SPD uns mit ihrer Politik das Leben oft schwer gemacht.“