Das Sparpedal greift schon

Schuldenbremse Der Bundesrat hat dem umstrittenen Kredittabu den Weg in die Verfassung frei gemacht. Vorher müssen die Haushalte konsolidiert werden - die Zeit des Rotstifts bricht an

Es war ein letzter Versuch am Freitagmorgen, doch noch ein Vorhaben zu stoppen, das weithin auf Kritik stößt. Aber auch die Last-Minute-Forderung der IG BAU verhallte ungehört: Mit der erwarteten deutlichen Mehrheit stimmte nach der Föderalismuskommission und dem Bundestag nun auch die Länderkammer der für die Schuldenbremse nötigen Grundgesetz-Änderung zu. Nach mehr als zweijährigen Verhandlungen erhält damit ein Kredittabu Verfassungsrang, das nach Ansicht von Gewerkschaften, Professoren und Teilen der Opposition die öffentlichen Haushalte einschnürt, das Zukunftsinvestitionen und eine antizyklische Wirtschaftspolitik verhindert. Die Schuldenbremse, so stand es vor ein paar Tagen über einem Aufruf von über 60 Wissenschaftlern, gefährdet „die Zukunft unserer Kinder“.

So lange wird es nicht dauern, bis die Auswirkungen zu spüren sein werden. Bis 2016 auf Bundesebene und bis „spätestens 2020“ in den Ländern soll die Konsolidierung der Haushalte abgeschlossen sein. Dieses Ziel, drohte am Freitag der rheinland-pfälzischen Finanzminister Ingolf Deubel, sei erreichbar – aber nur „mit äußerster Anstrengung“. Ein beträchtlicher Teil der Steuereinnahmen müsse bis dahin der Schuldentilgung zugute kommen, weshalb für Wahlversprechen oder zusätzliche Ausgaben kein Spielraum mehr bleibe. Seine Rechnung hat der SPD-Mann auf der Basis des aktuellen Einnahmevolumens gemacht – in der nahen Zukunft wird das Staatssäckel nach den Schätzungen der Steuerexperten jedoch weit weniger gut gefüllt werden. Und so dürften Kürzungen in den öffentlichen Haushalten anstehen. Die Schuldenbremse erweist sich als Sparpedal noch bevor sie überhaupt wirken soll.

Damit dürfte schon früher eintreten, wovor die Kritiker der Verfassungsänderung seit Monaten wie Wanderprediger warnen: Durch die neue Regel steigt der Druck, gegebenenfalls entstehende Einnahmeausfälle durch Ausgabenkürzungen auszugleichen. Vor allem dort, wo die öffentliche Hand „freiwillige Leistungen“ bereitstellt, etwa in der Kultur; oder in den Arbeits- und Sozialetats. Zwar können die Länderparlamente und der Bundestag mit absoluter Mehrheit in bestimmten Krisenfällen das Verschuldungsverbot vorübergehend außer Kraft setzen. Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, bleibt jedoch unscharf – und wird sicher erst durch Gerichte entschieden.

Noch verhindern lässt sich die Schuldenbremse auf diesem juristischen Weg wahrscheinlich nicht. Schleswig-Holstein, das sich zusammen mit Berlin und Mecklenburg-Vorpommern am Freitag in der Länderkammer enthalten hat, prüft derzeit zwar eine Verfassungsklage, weil die Schuldenbremse nach Ansicht einiger Juristen einen unzulässigen Eingriff in die Haushaltsautonomie der Länder darstellt. Auch die Landtagsfraktion der Linkspartei behalten sich vor, diesen Weg zu gehen – der allerdings als wenig erfolgversprechend gilt. Und so bleibt allenfalls die Hoffnung auf die Macht des Faktischen: Das hinter der Schuldenbremse stehende Konzept, so heißt es im bereits angesprochenen Aufruf der Wissenschaftler, werde sonst nur noch in der Schweiz praktiziert – und wurde dort 2003 bei der ersten größeren Belastungsprobe de facto außer Kraft gesetzt.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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