Als Christian Wulff am Donnerstagabend vor die Kameras trat, erlebte das Publikum einen Politiker, der sich als schon im Amt betrachtet. Vom niedersächsischen Ministerpräsidenten selbst gab es in den wenigen Minuten dieser seltsamen Präsentation nur einen einzigen Hinweis darauf, dass die Wahl des nächsten Bundespräsidenten eigentlich noch bevorsteht. Konjunktive kannte Wulff nur im persönlichen Rückblick.
Nun kann man sagen: Die schwarz-gelbe Mehrheit ist sicher, ein gemeinsames Oppositionslager nicht in Sicht. Warum so tun als ob? Weil es der „Respekt vor dem Amt“ gebietet? Das wäre angesichts des Verlaufs der vergangenen Tage nun aber auch wirklich zu überraschend gewesen. Erst türmt ein Bundespräsident aus kaum nachvollziehbaren Gründen, daraufhin lässt sich die Vorsitzende der CDU von ihren Koalitionspartnern freie Hand bei der Suche nach einem Nachfolgekandidaten geben, parteitaktische Gründe lassen die Wahl schließlich auf einen Parteifreund fallen, am Ende tritt die Kanzlerin vor die Medien, drei Funktionäre im Schlepptau – und da steht es dann also, das neue „Staatsoberhaupt“. Und bedankt sich artig.
Wer ist dieser Mann, dem im Fall der erfolgreichen Wahl als Ein-Personen-Verfassungsorgan die Aufgabe zufallen soll, die Bundesrepublik zu repräsentieren? Er wäre vor allem der Kandidat einer krassen „Minderheit“: Die CDU ist im Herbst 2009 von gerade einmal 22,3 Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden. Nun hat deren engste Führungsspitze "den Präsidenten" ausgewürfelt – wer dabei gegen wen intrigierte, ist Nebensache. Wenn Christian Wulff als Bewerber für etwas steht, dann für einen Parteienstaat, in der Apparate die Macht – oder das, was sie dafür halten – usurpieren und die von demokratischer Repräsentation weit entfernt sind.
SPD und Grüne haben das Auswahlverfahren von Schwarz-Gelb zwar ebenfalls kritisiert, sich aber genauso verhalten. Der Unterschied zwischen dem „parteipolitischen“ Bewerber Christian Wulff und dem „gesellschaftspolitischen“ Kandidaten Joachim Gauck ist ja nur einer des Marketings. Ausbaldowert wurde auch der frühere Stasi-Unterlagen-Beauftragte im allerkleinsten Kreis. Und auch dabei spielte alles Mögliche eine Rolle, nur nicht der viel beschworene „überparteiliche Geist“.
Hebel gegen die Linkspartei
Gauck ist wohl kaum wegen seiner Beliebtheit oder irgendwelcher erkennbarer Eigenschaften nominiert worden, die ihn zu einem „guten Bundespräsidenten“ machen könnten. Sondern weil er geeignet ist, ein paar Fruststimmen im schwarz-gelben Lager zu gewinnen, die sich dann bestens öffentlich ausschlachten lassen (Stichwort: Merkels „Führungsschwäche“). Und, wichtiger noch, weil er als Hebel gegen die Linkspartei einsetzbar ist.
Rot-Grün will eine andere Botschaft von einem Zählkandidaten – nur keine rot-rot-grüne. Deshalb wurde mit Gauck jemand aufgestellt, von dem man annehmen konnte, dass er in der Linkspartei noch weniger vermittelbar ist, als damals Gesine Schwan. Soviel zum Einfluss jener in SPD und Grünen, denen es um eine echte bündnispolitische Perspektive für 2013 geht. Nun kann man lange darüber streiten, ob nicht die Linkspartei den erinnerungspolitischen Dauerknoten einfach dadurch zerschlagen könnte, dass sie der Nominierung des Ex-Bürgerrechtlers einfach zustimmt. Aber ehe man noch mit dieser Debatte fertig ist, wird die Linke wohl einen eigenen Kandidaten präsentiert haben.
Nach einem Auswahlverfahren im allerengsten Kreis, das - so darf man vermuten - auch nicht viel besser ausfällt, als bei CDU, SPD und Co. Aber darf man denn eine solche Personalie, immerhin geht es um Bundespräsidenten-Kandidaten, wirklich den Launen des Souveräns überlassen? Ist die 30-Tage-Frist nicht viel zu knapp für basisdemokratische Folklore? Müssen bei den Kandidaten für das Staatsoberhaupt etwa auch Regeln gelten, wie sie bei der Aufstellung von Bewerbern für den Bundestag gelten?
Wenn man die Teilhabe-Lücke schließen will, an deren einem Rand die Wahlverweigerung wächst und am anderen die Macht verselbstständigter Parteiapparate, müsste man wohl darüber nachdenken. Wenn.
Kommentare 19
Bei all dieser Show der demokratischen Parteien und der tatsächlichen Bedeutung dieses Amtes für die Bevölkerung stellt sich doch eher die Frage: Wozu braucht dieses Land eigentlich dieses Amt?
Die beschlossenen Gesetze in Kraft setzen per Unterschrift - ein rein formaler Akt, den kann auch ein anderer unabhängiger Notar übernehmen. Der Bundestagspräsident?
Ihre Verfassungstreue prüfen: Das tut ja zunehmend das Verfassungsgericht selber.
Politische Krisen mit Neuwahlproklomationen regeln: Passiert eh selten.
Begnadigungsakte aussprechen: Das bleibt dann wohl übrig.
Also was soll diese Aufregung?
"Falls wirklich noch jemand geglaubt haben sollte, der Bundespräsident sei Repräsentant der Republik…"
Das sind vermutlich dieselben, die immer noch daran glauben, dass die von ihnen gewählten Politiker nach der Wahl die Interessen ihrer Wähler vertreten!
Ich wäre übrigens, im Sinne größtmöglicher Transparenz, für Ackermann als Präsident. Nach dem Sparkassenpräsidenten der Chef der Bankster himself, das hätte doch was. Zur Not muss man ihn eben einbürgern, geht ja mit Fußballerspielern auch!
Wulff – ein Konservativer mit freundlichem Lächeln
www.nachdenkseiten.de/?p=5796
Was spricht für Gauck: Etwas weniger abhängig vom BK-Amt. Im übrigen hat er sich als Hohepriester bei der politischen und intellektuellen Generalzertrümmerung im Osten als stets zuverlässiger Chef des nach ihm benannten Munitionierungsbetriebes bleibende Verdienste erworben. Der Herr sei mit Euch!
Gauck ist rückwärtsgewandt und konservativ und in Talkshows gerne bereit die DDR als Regime zu bezeichnen. Die heutige soziale Schieflage und den Abbau von Bürgerrechten (von CDU und SPD eingeführte Vorratsdatenspeicherung, biometrische Ausweise, Kameraüberwachung von Strassen und öffentl. Plätzen) hat der ehemalige Bürgerrechtler Gauck bis jetzt noch nocht kritisiert.
Wie mußte ich heute vernehmen?
Nach seinem Geburtstag - 70 - wurde Joachim Gauck befragt,ob er noch für eine Aufgabe, ein Amt in der Republik zur Verfügung stehe, er es anstrebe.
Worauf er dann sinngemäß antwortete, dass es ein Armutszeugnis für dieses Land wäre, wenn dieses auf einen Siebzigjährigen zurückgreifen müsse.
Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. Eitelkeit siegt oder Pflichtgefühl obsiegt!
Nachdenklich sollte aber auch die Tatsache stimmen, dieser jetzt so hochgejubelte Joachim Gauck war die zweite Wahl. Erst als die Wunschkandidatin Käßmann absagte, verfiel man auf diesen genialen (so glaubt zumindest Rot/Grün) Schachzug.
Zum parteipolitischen Mißbrauch der Bundespräsidentenwahl/der Bundesversammlung gegen die Partei "Die Linke" möchte ich hier gar nicht eingehen, nur soviel.
Es wäre schon ein Treppenwitz der Geschichte, wenn die Stimmen der Linken, mit denen niemand rechnet, die politische Absicht von Rot/Grün durchkreuzen würde, sie zu isolieren, und den Kandidaten Joachim Gauck überraschend ins Amt des Bundespräsidenten hieven würden.
Die Gesichter möchte ich sehen, die Überschriften lesen:
"Joachim Gauck mit den Stimmen der Linken zum Bundespräsidenten gewählt!"
Nicht uninteressant dürfte dann auch die Stellungnahme von Gauck sein.
"Die Gesichter möchte ich sehen, die Überschriften lesen:
"Joachim Gauck mit den Stimmen der Linken zum Bundespräsidenten gewählt!"
Die SPD würde sich dann wohl für die Nominierung von Gauck bei der Boulevardpresse entschuldigen und versprechen beim nächsten Mal Hans-Olaf Henkel vorzuschlagen, um wirklich sicherzugehen das die Linken dagegen stimmen werden.
ekelhaft, unsäglich, was hier so geschriebenwird!! Der Freitag, typisch Reitag???
oh Mann, ich muss kotzen, wenn ich das alles hier lese!!
Die Skizzierung der Kandidaturen und Kandidaten ist wohl richtig.
Da Gauck es nicht werden wird und werden soll, ist mit Wulf eine Figur der ganz alten Bundesrepublik West am Start, die jedoch modern gescheitelt ist. Irgendwie hat er auch etwas vom Promistil eines Guttenberg, freilich ungebürtig verkrampft. Aber das paßt ja gut ins zu besetzende Amt.
Was ist Ihr Problem? Wenn Sie wissen warum Ihnen übel ist, sagen Sie es... -wenn nicht, gehen Sie besser zum Arzt!
>>Die heutige soziale Schieflage und den Abbau von Bürgerrechten (von CDU und SPD eingeführte Vorratsdatenspeicherung, biometrische Ausweise, Kameraüberwachung von Strassen und öffentl. Plätzen) hat der ehemalige Bürgerrechtler Gauck bis jetzt noch nocht kritisiert.
Momentan geht das natürlich nicht. Aber wenn die BRD von der Schweiz übernommen wird, die BASF für 1 sfr an Nestlé verkloppt wurde und er das Verfassungsschutzarchiv verwaltet: Dann wird ers wohl wagen...
...oder Mick oder Muck Flick ocder irgendjemand von Opel oder von Bismarck. Für irgendwas müssen die doch auch mal gut sein, wenn sie schon sonst nichts können...
Respeckt! Respecktieren können einer anderen Meinung
würde nicht nur ihnen sondern vielen gut zur Gesicht stehen
also das ist aber auch nicht die feine Art,17.06.!!!
Wie dem auch sei:
Als einst ein italienischer Kollege zu mir sagte: "Dein Präsident" antwortete ich: "Meiner ist das nicht, denn ich hab ihn nicht gewählt"
Das gilt auch heute noch...
"Gauck ist wohl kaum wegen seiner Beliebtheit oder irgendwelcher erkennbarer Eigenschaften nominiert worden, die ihn zu einem „guten Bundespräsidenten“ machen könnten."
Das sehe ich anders. Er wäre mal wieder ein Bundespräsident, der einer Diktatur widerstanden hat, im Gegensatz z.B. zu Heuss, der im März 1933 dem "Ermächtigungsgesetz" zugestimmt hat.
Nun könnte man sich darauf zurückziehen und meinen, nicht jeder Unsinn muss auch noch unterstütz werden. Aber hier geht es um die Demokratie und deren Spielregeln.
Wie weit sich das öffentlich, rechtliche Fernsehen davon entfernt hat, lässt sich folgender Meldung entnehmen:
"Immerhin, den ARD-Journalisten Thomas Baumann und Ulrich Deppendorf bleibt die Namensfrage erspart. Bei den beiden Sondersendungen „Farbe bekennen“ diese Woche im Ersten steht Luc Jochimsen, anders als Christian Wulff und Joachim Gauck, nicht im Studio. „Wir laden zu ,Farbe bekennen’ nur jene Kandidaten ein“, sagt ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, „die in der Bundesversammlung eine realistische Chance haben, gewählt zu werden.“
Diese dreiste Begründung sollte man sich schon auf der Zunge zergehen lassen!
Und was noch viel schlimmer ist, niemand regt sich auf!
"
Neuwahl des Bundespräsidenten: Zu den Kandidaten Wulff und Gauck
Eine Stellungnahme der Linkspartei zu den beiden Kandidaten.
Quelle: Die Linke [PDF - 20KB]
www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/100610_linke_zu_den_kandidaten_gauck_und_wulff.pdf