Der letzte Tagesordnungspunkt

Thüringen Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und Linken ist eine Frage schwer umstritten: Wer trägt die Schuld?

Astrid Rothe-Beinlich wurde kurz vor Mitternacht per SMS informiert: Mit dem knappen Halbsatz „haben uns jetzt für die CDU entschieden“, so erinnert sich die Thüringer Landesvorsitzende der Grünen, habe SPD-Verhandlungsführer Christoph Matschie vor einer Woche das Scheitern der Sondierungsgespräche erklärt. Die Entscheidung des Landesvorstand der Sozialdemokraten kam überraschend, waren die verfügbaren Signale zuvor doch allgemein als Anzeichen für Rot-Rot-Grün gedeutet worden.

Inzwischen haben nicht nur die schwarz-roten Koalitionsverhandlungen begonnen. In der Thüringer SPD ist ein heftiger Streit entbrannt, am Samstag treffen sich die Gegner der „großen“ Koalition zu einer Basisversammlung. Ideen zu einem Sonderparteitag bzw. einem Mitgliederentscheid machen die Runde. Unterschiedliche Auffassungen zu den Möglichkeiten und Knackpunkten einer rot-rot-grünen Koalition spielen dabei ebenso eine Rolle wie die bundespolitische Trendwende nach dem Wahldesaster der Sozialdemokraten sowie alte Flügelkonflikte innerhalb der Thüringer SPD.

Ins Zentrum der bisweilen heftigen Diskussion sind unterschiedliche Bewertungen der „Schuldfrage“ gerückt: Während Matschie in einem Brief an die Basis die Verantwortung der Linkspartei zuweist, die in der entscheidenden Ministerpräsidentenfrage unbeweglich geblieben sei, hat ihm sein innerparteilicher Konkurrent Richard Dewes vorgeworfen, allein aus Posteninteresse zur CDU gewechselt zu sein. Der Matschie-Kritiker und Erfurter Bürgermeister Andreas Bausewein sagte, der Vorstand der Thüringer SPD würde nicht mehr „den Willen der Partei“ repräsentieren.

Bei den Grünen herrschte Ernüchterung. Die Bundesvorsitzende Claudia Roth sprach nach dem Aus der Gespräche von einem „Glaubwürdigkeitsverlust für die SPD“. Statt den „Politikwechsel voranzutreiben, kuschelt die SPD lieber mit der CDU. Sie hat die Bundestagswahl abgewartet und sich dann blitzschnell Pöstchen in Thüringen gesichert.“ Allerdings lassen sich auch Differenzen innerhalb der Grünen im Freistaat vernehmen. Die Unterhändler seien sich demnach nicht einig gewesen, die Ablehnung einer Zusammenarbeit mit SPD und Linken weit größer als es nach außen hin schien. Nach Information des Freien Wortes habe der Landesvorstand intern den raschen Eintritt in Koalitionsverhandlungen sogar abgelehnt.

Die Linkspartei zeigte sich nach dem Aus der Gespräche am meisten enttäuscht – hatte sie sich als stärkste der drei Parteien doch offenbar am weitesten bewegt. "Mein Eindruck ist im Nachhinein, dass die Verhandlungen nie gewollt waren – und zwar durch die SPD", sagte Spitzenkandidat Bodo Ramelow, der sogar auf das üblicherweise der stärksten Fraktion einer Koalition zustehende Ministerpräsidentenamt verzichtet hätte. In einer Reihe von Papieren wird die Verantwortung für das Scheitern der Sondierung der SPD zugewiesen. Inhaltlich sei man in der überwiegenden Zahl der Sachfragen bereits auf dem Weg der Einigung gewesen, heißt es in einer Auflistung.

Aufschlussreich ist ein Protokoll der letzten Sondierungsrunde am 30. September. Demnach wurde „um zwölf Uhr (…) die Diskussion zu inhaltlichen Themen abgebrochen und, wie besprochen, zum letzten Tagesordnungspunkt übergegangen“ – der Ministerpräsidentenfrage.

Nach diesem Papier haben Linke und Grüne sich immer wieder grundsätzlich bereit erklärt, einen Sozialdemokraten zum Regierungschef zu wählen. Die Verhandlungsgruppe der Linkspartei habe das Mandat gehabt, über Personen auch mit SPD-Parteibuch zu reden. Linke und Grüne wollten ihre Zusage aber von der konkreten Person abhängig machen. Auf diese hätte man sich „unmittelbar bzw. in den kommenden Tagen“ einigen können. Matschie habe jedoch keinen Namen ins Spiel gebracht, sondern wörtlich gefordert: „Seid Ihr bereit, jetzt zu unterschreiben, dass wir die Koalition führen und Ihr einen SPD‐MP wählt, den wir aussuchen?“

In der darauffolgenden Nacht entschied der Landesvorstand der SPD mit 18 zu 6 Stimmen, Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufzunehmen. In Matschies Brief an die Mitglieder heißt es, die Linke habe „in den Verhandlungen nicht zugestimmt, dass die SPD den MP stellt“.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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