Der strahlende Herr Westerwelle

Türöffner Die Aufregung um die Entourage des Außenministers geht am Kernproblem vorbei – nämlich der Praxis der politischen Förderung fragwürdiger Exporte

Als die Reise des deutschen Außenministers schon fast zu Ende war, zwängte Guido Westerwelle seine Gesichtszüge in ein strahlendes Lachen, blickte kämpferisch in die Kameras und sprach von einem „großen Erfolg“.

Der FDP-Chef kannte selbstverständlich auch die Wahrheit. Sein „Familienausflug“ hat nicht nur in Deutschland hohe Wellen geschlagen. Der Vorwurf der Günstlingswirtschaft steht im Raum, immer neue Enthüllungen folgten und sogar der Rücktritt Westerwelles wurde gefordert. Die Berichterstattung lenkte alle Aufmerksamkeit auf die „liberale Vetternwirtschaft“.

Es ist keine FDP-Spezialität, Firmenvertreter ins Schlepptau zu nehmen. SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte bei seinen Reisen oft Vertreter der Energiewirtschaft mit an Bord. Als Ministerpräsident Roland Koch vor ein paar Tagen von einer Asienreise zurückkehrte, erklärte er, die hessische Wirtschaft habe „gezielt Kontakte“ knüpfen können. CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer zeigte sich unlängst „entschlossen, die außenwirtschaftlichen Chancen Deutschlands im Verkehrs- und Logistikbereich aktiv zu unterstützen“. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Deutsche Waffengeschäfte laufen gut

Nun also der FDP-Chef. Es werde „ein Kernanliegen meiner Außenpolitik sein, Türen für deutsche Unternehmer zu öffnen“, hat Westerwelle auf seiner Reise erklärt. Die Wirtschaft wolle er „mit dem gesamten Instrumentarium unterstützen“. In Deutschland sind einer Studie der Forschungsstelle für Transnationales Wirtschaftsrecht der Universität Halle-Wittenberg zufolge rund 300 verschiedene staatliche und private Institutionen damit beschäftigt, den Außenhandel voranzubringen. Der Bund hat in den vergangenen Jahren einige davon fusioniert – nicht zuletzt auf Drängen der Unternehmen. Die hatten immer wieder die Ineffizienz dieser speziellen Wirtschaftsförderung beklagt.

Das sieht man im Ausland ein wenig anders. Deutschland ist gerade bei den EU-Partnerländern wegen des hohen Handelsüberschusses in die Kritik geraten. Neben dieser eher wettbewerbspolitischen Frage gibt es weitere – eine öffentliche Debatte über Kriterien und Ziele der staatlichen Hilfen für die Exportwirtschaft findet jedoch zu selten statt. Es ist schließlich ein Unterschied, ob ein genossenschaftliches Unternehmen im Ausland Maschinen für den ökologischen Landbau verkauft – oder ob hiesige Produkte für Pestizid-Fabriken in anderen Staaten gedacht sind. Ein weiteres Beispiel: Deutschland ist einer der Weltmarktführer bei Rüstungsgütern und hat in den vergangenen Jahren beim Waffenverkauf stark zugelegt – die Opposition fordert nun schärfere Bestimmungen und mehr Mitsprache der Parlamente. Warum nicht auch bei anderen Exporten? Oder doch wenigsten bei der Frage, wie die Reisedelegationen zusammengesetzt sind, bei denen sich Wirtschaftsvertreter von Politikern Türen öffnen lassen.

Eine schriftlich fixierte Regelung, wer dabei sein darf, gibt es offenbar weder im Auswärtigen Amt noch in anderen Ministerien. In der Regel treffen die Fachabteilungen nach Rücksprache mit Wirtschaftsverbänden und Botschaften eine Vorauswahl, die letzte Entscheidung über die meist zwischen 10 und 15 Personen umfassende Liste liegt beim jeweiligen Kabinettsmitglied. Nur selten wird überhaupt bekannt, welches Unternehmen die Reisen deutscher Politprominenz nutzt, um im Ausland seine Marktchancen zu verbessern. Der Bund der Steuerzahler und die Antikorruptionsorganisation Transparency International fordern jetzt genaue Regeln und die Offenlegung der Kriterien, wer warum mitreisen darf.

200 Milliarden Euro winken

Im Fall von Westerwelles Lateinamerika-Reise stand zweifellos der Wirtschaftspartner Brasilien im Fokus. Das Handelsvolumen mit Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf über 15 Milliarden Euro annähernd verdoppelt. Deutschland gehört zu den Hauptlieferanten Brasiliens, ist der wichtigste Wirtschaftspartner des südamerikanischen Giganten innerhalb der EU, und die deutsche Industrie rechnet sich gute Chancen aus, dies weiter auszubauen.

„Brasilien wird in den nächsten Jahren über 200 Milliarden Euro in die eigene Infrastruktur investieren, große Teile hiervon in Vorbereitung auf die sportlichen Groß­ereignisse“, hieß es bereits vor einiger Zeit beim Bundesverband der Deutschen Industrie – es geht um die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016. Das verspricht enorme Umsätze. Der BDI hatte 2009 eigens ein Brazil Board gegründet, dem unter anderem Spitzenvertreter von Siemens, ThyssenKrupp und dem Rüstungskonzern EADS angehören.

Noch während der mit allerlei Lobbyismus-Enthüllungen begleiteten jüngsten Westerwelle-Reise war Verärgerung in der Delegation laut geworden. EADS-Vorstand Stefan Zoller, der beim BDI für die deutsch-brasilianischen Beziehungen zuständig ist und Westerwelle vor der Reise erfolgreich gebeten hatte, das gesamte Brazil Board des BDI mitzunehmen, sagte: „Es kann doch nicht sein, dass wir eine Woche durch Südamerika fahren und hochkarätige Gespräche führen, ohne dass über die substantiellen Ergebnisse berichtet wird.“

Eines dieser Ergebnisse betrifft die Risikotechnologie Atomkraft. Westerwelle hat in Rio deutsche Unterstützung beim Ausbau der Kernenergie angeboten. „Aus ökologischen wie ökonomischen Gründen“, sagte der Außenminister Anfang der Woche, werde man „auch den Export von nuklearen Energietechnologien vorantreiben“. Dazu könnte gegebenenfalls auch gehören, deutete der FDP-Politiker an, solche Ausfuhren staatlich mit Hermes-Bürgschaften abzusichern. Genau das hatte der deutsch-französische Konzern Areva/Siemens kürzlich bei der Bundesregierung beantragt. Es geht um den Weiterbau des brasilianischen Meilers Angra 3 – ein äußerst umstrittenes Vorhaben. Nicht nur, weil sich Brasilien weigert, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen. Sondern auch, weil es in dem Land keine unabhängige Atomaufsicht gibt.

„Höchst strittige Projekte“

Nichtregierungsorganisationen beklagen seit langem, dass „höchst strittige Projekte“ mit Hermesbürgschaften von der Regierung abgesichert werden. Die deutsche Industrie sieht das anders. Immer wieder wird darauf verwiesen, wie sehr der Außenhandel heimische Arbeitsplätzen sichern hilft. „Die klare politische Flankierung“ unternehmerischer Strategien durch den Außenminister hat jetzt der Chef des Lateinamerika Vereins der deutschen Wirtschaft, Bodo Liesenfeld als „das richtige Signal zum richtigen Zeitpunkt“ gelobt. Und auch die FDP rechtfertigte die Reisepraxis ihres Vorsitzenden mit dem Hinweis, es sei nicht nur üblich, sondern geradezu wünschenswert, wenn sich die Politik für die Wirtschaft ins Zeug lege. Man konnte das sogar im Wahlprogramm der Liberalen lesen, die den Staat sonst gern als „bevormundende Bürokratie“ hinstellen: „Eine strategisch angelegte Außenwirtschaftsförderung muss in enger Kooperation mit deutschen Unternehmen im Ausland wieder stärkeres Gewicht erhalten.“

Auf dem Gipfel der Wahlkampf-lastigen Debatte um seine Entourage hat Westerwelle versucht, den Spieß umzudrehen, indem er den Urheber der Kritik im „linken Zeitgeist“ dingfest machte. Gäbe es einen solchen, hätte es während der Lateinamerika-Reise eine öffentliche Diskussion über die sozialen und ökologischen Folgen des deutschen Exports gegeben. Und nicht nur eine Aufregung über irgendwelche Duz-Freunde eines FDP-Politikers, der sein Amt verfehlt hat.

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