Die „Mitte der Gesellschaft“: über eine Montagsdemo für Gauck

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Das Auftaktduell findet unter Bedingungen der Waffengleichheit statt und kennt einen klaren Sieger – den Obsthändler am Alexanderplatz. Sein Megaphon übertönt das der zweiten hauptstädtischen Montagsdemonstration für den rot-grünen Präsidentschaftskandidaten hörbar. 30 Menschen wollen „ein Zeichen setzen“, eines für Joachim Gauck. Doch die „Sympathiebezeugung für den Kandidaten aus der Mitte der Gesellschaft“ gerät zur Selbstbeschäftigung. Der Bürger an sich will vom „Bürger für Gauck“ nicht viel wissen. Irgendwann setzt sich das Häuflein auf dem Gehsteig in Bewegung um alsbald Unter den Linden in einem überdachten Bauzaun zu verschwinden. Das „Wir sind viele“-Schild vom ersten Marsch mit ausgeborgter Tradition ist auch wieder dabei. Man muss nur daran glauben. Oder darüber schreiben. „Gauck zu unterstützen ist schick“, behauptet das Magazin, mit dessen Titelzeile vom „besseren Präsidenten“ die „Bewegung“ erst begann.

Die Wirklichkeit der Straße hat den Hype um Gauck längst dementiert. Oder hatte wirklich jemand geglaubt, einige zehntausend Facebook-Unterstützer fänden ihre direkte Entsprechung in der Realwelt? Ein, zwei, viele Klicks – und schon strömen die Massen? Das scheint nicht einmal dann zu funktionieren, wenn die Internet-Unterstützung „aus der Mitte der Gesellschaft“ zum Teil von Leuten übernommen wird, die auf die eine oder andere Weise mit der Partei in Verbindung stehen, die aus der „Überparteilichkeit“ des Kandidaten Gauck politisches Kapital zu schlagen sucht.

Andererseits: Das Problem haben auch andere. Von der Zahl der im Internet täglich erscheinenden Unmutsbekundgungen über die Hartz-Gesetze wird die Handvoll Leute, die zur selben Zeit bei der Montagskundgebung gegen Sozialabbau auf der anderen Seite des Alexanderplatzes zusammengekommen ist, auch nicht größer. Doch der Vergleich mit der singenden Konkurrenz unter der Weltzeituhr wird nicht gern gehört. „Wir demonstrieren hier für etwas“, sagt ein Gauck-Unterstützer. „Gegen etwas zu sein ist viel leichter.“

Und während man noch darüber nachdenkt, ob die Gauck-Freunde zahlreicher wären, wenn sie gegen Christian Wulff auf die Straße gingen, hat die zweite Berliner Montagsdemo der „Bürger für Gauck“ ihr Ziel erreicht. Am Brandenburger Tor wird Vera Lengsfeld erwartet, das prominente Pfund, mit dem zu Wuchern es offenbar schwer fällt. Mit leichter Verspätung tippelt die CDU-Politikerin auf die „Abschlusskundgebung“ zu, bekommt das Megaphon überreicht und entschuldigt sich erst einmal. Sie habe derzeit so viel zu tun – als „Ein-Frau-Büro der Christdemokraten für Gauck“. So nennt sich Lengsfeld wirklich. Und behauptet dann, es sei das erste Mal, dass eine Bundesversammlung so sehr die Bürger bewegt. Der Rest ist kaum zu verstehen.

Die Flüstertüte, durch die Vera Lengsfeld zum Montagsdemonstratiönchen spricht, hat jetzt neue Konkurrenz bekommen: einen Gitarrenspieler mit Mini-Lautsprecher vor dem Adlon. Und wieder geht der Kampf um die Ohren zu Ungunsten der Gauck-Freunde aus.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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