Klaus Wiesehügel und Siegfried Müller haben viel gemeinsam. Eigentlich. Sie sind gleich alt, sie haben das Mitgliedsbuch derselben Gewerkschaft, beide kennen Deutschlands größten Baukonzern aus der Mitarbeiterperspektive. Und weder der eine noch der andere möchte, dass Hochtief ähnliches widerfährt wie dem einstigen spanischen Branchenprimus Dragados.
Bei dem war vor einigen Jahren der Konkurrent ACS zunächst als Minderheitsaktionär eingestiegen, hatte in kurzer Frist das Unternehmen ganz kontrolliert, es dann filetiert und die besten Teile verkauft – viele Entlassungen folgten. ACS wird von Florentino Pérez geführt, dem Präsidenten von Real Madrid. Fußballverein und Konzern sind verschuldet, Hochtief ist profitabel.
Nun hat ACS, schon heute größter Hochtief-Aktionär, seine Beteiligung über die 30-Prozent-Marke gedrückt und damit eine wichtige Schwelle zur Macht im Unternehmen überschritten. Die Belegschaft fürchtet um ihre Jobs, der Vorstand um seine Zukunft, die Politik wollte oder konnte nichts gegen vermeintliche Schwächen im deutschen Übernahmerecht tun – und Klaus Wiesehügel und Siegfried Müller fanden keine gemeinsame Strategie im ACS-Übernahmekampf.
Zum offenen Konflikt zwischen dem Vorsitzenden der Baugewerkschaft und dem Chef des Konzernbetriebsrates hat eine Vereinbarung geführt, welche die IG Bau kurz vor Weihnachten mit ACS abgeschlossen hat – gegen den Willen Müllers. „Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle der Belegschaft“ sei „nicht mehr möglich“, befand der darauf und forderte den Rücktritt von Wiesehügel aus dem Hochtief-Aufsichtsrat. Die Gewerkschaft, die darauf pocht, immer mit offenen Karten gespielt zu haben, wunderte sich nicht nur über die „emotionale Reaktion“ Müllers, sondern auch darüber, dass der seine Entscheidungen offenbar dem Konzernvorstand überlasse. Der Betriebsrat hatte zuvor auf die Frage, ob es nicht sinnvoller sei, angesichts der doch sehr wahrscheinlichen ACS-Übernahme das Beste für die Mitarbeiter herauszuschlagen, geantwortet, „das sollte der Vorstand entscheiden“. Und eine ordentliche Abstimmung über das Angebot der Gewerkschaft, mit ACS zu verhandeln, sagt der IG-Bau-Chef, habe es im Betriebsrat auch nicht gegeben.
Vertrauen und Strategie
Es geht in diesem Streit zwischen zwei Männern, die normalerweise kaum zum öffentlichen Poltern neigen, nicht nur um Vertrauen und die richtige Strategie gegen eine feindliche Übernahme. Sondern auch um die Rollen, die eine Gewerkschaft und ein Betriebsrat in einem Konzern wie Hochtief spielen wollen.
Müller gilt als ruhiger Mann. Der Fremdsprachenkorrespondent arbeitet seit fast 30 Jahren bei Hochtief und ist über zehn Jahre in der Mitarbeitervertretung. Die hat bisher kaum Schlagzeilen gemacht. „Wir waren immer ein leiser Betriebsrat“, sagt der 57-Jährige. Einer, wie es eine Zeitung formulierte, der die Zeit hatte, sich um die Betriebssportgruppe zu kümmern, „der Zerstreuung organisierte“.
Auch Wiesehügel kommt von Hochtief, er hat dort Betonbauer gelernt und machte später in der Gewerkschaft Karriere, die damals noch IG Bau-Steine-Erden hieß. Er gilt als ebenso kämpferisch wie uneitel, baute die Gewerkschaft in den neuen Ländern wieder auf und organisierte 2002 den ersten Bauarbeiterstreik seit Jahrzehnten. 1998 ging Wiesehügel für die SPD in den Bundestag, er gehörte zu den wenigen, die Gerhard Schröder öffentlich widersprachen. Und auch vor den Problemen in der IG Bau ist er nicht zurückgescheut.
Der Bau ist kein einfacher Acker für Gewerkschaften, er ist besonders konjunkturanfällig, Billigkonkurrenz und Schwarzarbeit setzen den Kernbelegschaften zu. Außerdem hat die Internationalisierung die Bedingungen verändert und die Konzentration verstärkt. Hochtief ist ein Beispiel dafür: Der Konzern hat einen Auslandsanteil von über 85 Prozent, die Bauleistung war 2008 mit etwa 21,6 Milliarden Euro doppelt so hoch wie die des deutschen Branchenzweiten Bilfinger Berger. Trotz Krise steigerte Hochtief im vergangenen Jahr seinen Gewinn um fast ein Viertel auf gut 195 Millionen Euro. Und nun kommt ACS.
Missverständnisse ausräumen
Eine Aktienmehrheit bei Hochtief ist das erklärte Ziel des Pérez-Konzerns, der aber schon jetzt wichtige Zügel im Unternehmen in die Hand bekommen hat. Wiesehügel meint, die Beschäftigten könnten der Zukunft dank der Vereinbarung trotzdem „etwas sorgenfreier entgegensehen“. Hochtief solle eigenständig und Essen Hauptsitz bleiben. ACS hat zugesagt, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zu respektieren – und seine Aktionärsmacht auch schon vor Erreichen der 50-Prozent-Schwelle in diesem Geiste einzusetzen. Müller hält dagegen, das Papier verspreche den Beschäftigten mehr, als es halten könne.
Ob es für die Hochtief-Mitarbeiter wirklich ein Nachteil ist, dass die Gewerkschaft ihr Mandat als Tarifpartner nutzte, um überhaupt zu einer Vereinbarung zu kommen, wird sich zeigen. Dass Müller dem IG-Bau-Chef aus Frust darüber unterstellte, beim ACS-Deal selbst einen Vorstandsposten im Blick gehabt zu haben, belastet die Stimmung im Konzern zusätzlich. Da werde „ein Schuldiger gesucht für die Wut, die man hat, darüber, dass man übernommen wird“, erklärt sich Wiesehügel die Konfrontation. Müller hat mit seinem Austritt aus der IG Bau gedroht und verweist darauf, dass verärgerte Kollegen bei Hochtief diesen Schritt bereits vollzogen hätten.
Der IG-Bau-Vorsitzende hat inzwischen angekündigt, „so schnell wie möglich“ die Betriebsräte von Hochtief zusammenzubringen, und hofft, „dass anschließend alle Missverständnisse ausgeräumt sein werden“. Man wird sehen, ob dann auch Betriebsrat Siegfried Müller wieder Gemeinsamkeiten mit Klaus Wiesehügel entdeckt.
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