Die Geduld des Gelobten

Gewerkschaften Michael Sommer will für die kleinen Leute streiten. Der Posten als DGB-Vorsitzender hilft ihm dabei nicht

Manches Schulterklopfen sollte man sich als Chef eines gewerkschaftlichen Dachverbandes verbitten. Zum Beispiel wenn die Kanzlerin der schwarz-gelben Regierung vor dem „Parlament der Arbeit“ eine Rede hält, darin die zurzeit wichtigste Kampagnen-Forderung des DGB – den gesetzlichen Mindestlohn – abserviert, weiterhin erklärt, in Sachen Finanzmarktregulierung leider, leider nichts machen zu können und dann plötzlich meint, es sei nun an der Zeit, Michael Sommer „ausdrücklich zu loben“. Da hätte man es gern gesehen, wenn der 58-Jährige einmal aus der Rolle fällt. Eine Rolle, die ihn zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet, zu Kooperationsbereitschaft und zahnlosen Verantwortungsgesten. Er tat es nicht.

Als Michael Sommer im vergangenen Jahr ankündigte, nach zwei Amtszeiten abermals für den Posten des DGB-Chefs zu kandidieren, begründete der einstige Postgewerkschafter das so: „Ich trete noch einmal an, weil ich weiter für die kleinen Leute streiten möchte.“ Seine Wahl beim DGB-Bundeskongress ging an diesem Montag wie erwartet über die Bühne. In den 94,1 Prozent für Sommer spiegelt sich aber nicht in erster Linie der verbreitete Dank der Gewerkschaften für die abgelaufene Amtsperiode. Das Ergebnis lässt sich auch nicht als Vorschuss auf kämpferische Zeiten verstehen. Eher schon als vergiftetes Lob: Weil du so schwach bist, lassen wir dich stark aussehen.

Denn was ist der DGB denn noch? Eine Hülle von Gnaden starker Einzelgewerkschaften. Ein politisches Verbindungsbüro mit Strukturproblemen. Ein Scheinriese. Ihm vorzustehen ist keine vergnügliche Angelegenheit – und auch nicht eine mit besonders großer Aussicht auf politische Erfolge. Sommer muss sparen, die Organisation in der Fläche zurückbauen und die divergierenden Interessen von IG Metall, Verdi und Co. unter ein Dach bringen. Der Vorsitzende des Dachverbandes muss sich mit Leuten in den eigenen Reihen herumschlagen, die meinen, er habe eine dritte Amtszeit gar nicht verdient und sich mit seiner Ankündigung, dass diese die letzte sein wird, auch noch zur lahmen Ente gemacht. Und wie man „für die kleinen Leute streiten“ will, wenn Konsensorientierung und „Sozialpartnerschaft“ den Rhythmus vorgeben, hat auch noch niemand hinreichend erklärt. Es gibt Interessenlagen, die stehen so in Widerspruch zu einander, das darüber auch kein Bündnis für Arbeit hinweghilft. Dann muss man kämpfen.

Michael Sommer hat am Sonntag, Angela Merkel saß vor ihm unter den Zuhörern beim DGB-Bundeskongress, der Bundesregierung in Sachen Finanzmarktregulierung gedroht. Wieder einmal. „Bei allem Verantwortungsbewusstsein: Unsere Geduld gegenüber Geiz und Gier ist am Ende.“ Das Problem ist – die Geldbranche und ihre Kanzlerin haben nichts zu fürchten. Mehr als eine bundesweite Großdemonstration und diese oder jene Kampagne hat der DGB nicht im Arsenal. Und selbst das könnte in Zukunft kleiner ausfallen: Den Solidaritäts- und Aktionsfonds soll der ohnehin schon klamme Dachverband künftig selbst finanzieren. Das ist günstiger für die Einzelgewerkschaften. Für das gesellschaftspolitische Mandat ihres Dachverbandes ist es das nicht.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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