Dieser Sigmar Gabriel ist ein guter Redner. Und noch besser beherrscht der Mann die Koketterie. Als die Delegierten beim Berliner Parteitag nach der Rede ihres Vorsitzenden am Montag nicht aufhören wollten zu klatschen, ging der noch einmal ans Mikrofon und warnte, weitere Ovationen würden nur den Beginn des Parteiabends, einer Art sozialdemokratischen Delegiertenparty, verzögern. Natürlich wurde der Beifall so noch ein bisschen länger.
Kurz darauf wurde Gabriel mit 91,6 Prozent für weitere zwei Jahre zum SPD-Chef gewählt. Das Ergebnis liegt zwar ein paar Prozentpunkte unter dem seiner erstmaligen Wahl. Aber auch hier hatte der Niedersachse zuvor schon etwaige Erwartungen wegkokettiert: „94 Prozent kriegt man in der SPD nur, wenn man zum ersten Mal k
sten Mal kandidiert und wenn man zum letzten Mal kandidieren will. Dazwischen sind die Ergebnisse ein bisschen anders.“Nach seiner Wiederwahl hat sich Gabriel über ein „so hohes Maß an Zuspruch“ gefreut und auf einen konflikt- aber erfolgreichen Kurs der Erneuerung verwiesen. Zwei Jahre nach Dresden fühlt sich die SPD wieder stark, sie verweist zur Begründung auf Wahlen, bei denen sie zwar nicht viel dazugewonnen hat, aber die Schwäche der anderen ausnutzen konnte. Der Vorsitzende hat die schwarz-gelbe Koalition als „Bande von Halbstarken“ verlacht. In Wahrheit fällt das Urteil auf die SPD zurück.Rot-Grün 2013 im BlickAuf Landesebene haben die Sozialdemokraten teils drastisch verloren, im Bundestrend kommen sie bisweilen kaum über den historischen Tiefststand von 2009 hinaus. Die gerade beschlossene Organisationsreform gilt den Genossen als Meilenstein, obwohl sie hinter den ursprünglichen Plänen zurück bleibt. Und man erfährt, dass mit dem Berliner Parteitag die „programmatische Neuausrichtung in allen wichtigen Bereichen“ bereits abgeschlossen werden soll, obgleich viele Fragen entweder umstritten oder noch offen sind. Der SPD hat die Bundestagswahl 2013 im Blick und die Fortsetzung von Diskussionen etwa über die Steuerpolitik oder die Renten wird in der Partei als nicht gerade mobilisierungsförderlich betrachtet. Fehler der Vergangenheit zugeben, aber nicht zu viel daraus lernen, könnte man das Motto umschreiben. Die Sozialdemokraten wollen ein bisschen mehr steuerliche Umverteilung, aber aus Angst vor den Wählern nicht zuviel. Sie wollen den Übergang in den Ruhestand verbessern, aber nicht die Absenkung des Rentenniveaus rückgängig machen. Sie wollen keine „marktkonforme Demokratie“ wie Angela Merkel, aber wie der „gebändigte Kapitalismus“ wirklich demokratischer werden soll, dazu fällt den Sozialdemokraten auch nur das Schlagwort von der „sozialen Marktwirtschaft“ ein. Schwarz-Gelb wird einerseits für das schlechte Euro-Krisenmanagement getadelt, andererseits stimmt die SPD – vor staatspolitischer Verantwortung fast berstend – im Bundestag doch zu.Wahlergebnisse der engeren SPD-Spitze:Sigmar Gabriel: 91,6 Prozent (2009: 94,2)Hannelore Kraft: 97,2 Prozent (2009: 90,2)Klaus Wowereit: 87,9 Prozent (2009: 89,6)Olaf Scholz: 84,9 Prozent (2009: 85,7)Manuela Schwesig: 82,9 Prozent (2009: 87,8)Aydan Özoguz: 86,8 Prozent (2009: nicht angetreten)Andrea Nahles: 73,2 Prozent (2009: 69,6)Die SPD will links sein, sie will in der Mitte stehen und nun auch noch die Reste des politischen Liberalismus aufnehmen. Sie verlangt „sozialen Patriotismus“ beim Umverteilen und verspricht Maß gegenüber der Wirtschaft. Sie lobt die Schuldenbremse und verspricht Konjunkturprogramme. Es ist der Versuch, beim Anlauf auf den Regierungswechsel 2013 nicht noch jemanden zu verschrecken. Gabriel hat das auf dem Berliner Parteitag in große Worte gefasst, er hat von der Deutungshoheit der SPD und ihrem Führungsanspruch gesprochen, von einer dreifachen Mehrheit – der sozialen, der wirtschaftlichen und der kulturellen.Mit Visionen zur SPD statt zum Arzt? Wozu?2013 will man mit den Grünen regieren, „damit es hier keine Zweifel gibt“. Den Rest, so hofft die Partei, werde dann schon die normale Pendelkraft richten. Hier ein bisschen anbauen, dort ein wenig wegnehmen. Aber eigentlich bleibt alles, wie es ist. Denn viel Änderung ist ja auch gar nicht möglich. Auch das gehört neuerdings zum sozialdemokratischen Credo, Gabriel hat es in das Wort von der „neuen Ehrlichkeit“ gefasst: Man werde vor der Wahl weniger versprechen als jemals zuvor, aber das dann auch halten. Das ist kein Signal der Stärke und transportiert nicht die Lust auf jene Visionen, von denen Helmut Schmidt meinte, man solle damit zum Arzt gehen, und von denen Gabriel nun sagt, wer sie habe, müsse zu den Sozialdemokraten finden. Wozu, wenn diese mit den Visionen – die angesichts der Herausforderungen weit eher der Vernunft gehorchen als ein gedrosselter Pragmatismus à la „Maß und Mitte“ – ja doch nichts anfangen will?Sicher: Die SPD steht besser da als 2009. Das ist aber auch keine Kunst, denn die Konkurrenz ist schlechter geworden. Die Grünen sind vom Sockel ihres zwischenzeitlichen Hypes gestoßen; die Linkspartei findet keine Antwort gegen ihre Bedeutungslosigkeit, die Liberalen gehen auf ihren Untergang zu, die Partei der Kanzlerin wird allenfalls von deren Amtsbonus oben gehalten und nun werden auch noch die Piraten sozialpolitisch. Der Applaus für Gabriel war der für einen Halbstarken.