Die Herrschaft der Akten

Aufarbeitung Roland Jahn soll Marianne Birthler folgen. Die Frage, ob er ein "respektabler Kandidat" sei, verfehlt den springenden Punkt: Muss es überhaupt einen Nachfolger geben?

Es ist 19 Jahre her, dass der Bundestag die Einrichtung einer Behörde beschlossen hat, deren nominelle Aufgabe die Verwaltung der Stasiakten und Unterstützung bei der Aufarbeitung der DDR sein sollte. In Wahrheit war sie seither vor allem dies: politisches In­strument, historiografischer Streitfall, Spielball der Parteien.

Davon war freilich nur am Rande die Rede, als im Herbst der Jubiläumszug zur deutschen Einheit durchs Land rollte. Und schon gar nicht bei jener parlamentarischen Feier, die sich dem Umgang mit der Mielke-Hinterlassenschaft im Besonderen widmete. Behördenchefin Marianne Birthler sprach da von einer „deutsch-deutschen Erfolgsgeschichte“.

Nun hat sich die schwarz-gelbe Koalition nicht nur auf die Verlängerung der Stasi-Überprüfungen im öffentlichen Dienst um weitere acht Jahre bis 2019 verständigt. Es macht auch die Nachricht die Runde, der 1983 aus der DDR ausgewiesene Roland Jahn sei ausgesucht, diese „Erfolgsgeschichte“ noch im dritten Jahrzehnt nach der Wende fort­zusetzen. Der Mann hat eine beeindruckende Biografie, über seine Kritik an den Verhältnissen in der DDR, die er einmal mit einem Zwitter aus Hitler- und Stalinbart verkleidet vortrug, lässt sich streiten. Er wäre der erste Bundesbeauftragte, der den Herbst 1989 aus der Perspektive des Westens erlebt hat – ein kleiner Paradigmenwechsel.

Bundestagsvize Wolfgang Thierse hat sich nun beklagt, das Verfahren sei nicht in Ordnung, weil die Abstimmung mit der SPD fehle. Außerdem habe man mit David Gill einen eigenen Wunschnachfolger und halte das Nachfolge-Rennen für keineswegs gelaufen. Doch die parteipolitisch motivierte Konkurrenz lenkt von Wichtigerem ab. Auch ist die Frage, ob Jahn ein „respektabler Kandidat“ ist, den – wie die Welt erschrocken feststellte – vielleicht ja „selbst die Linkspartei“ für einen „guten Birthler-Nachfolger“ halten könnte, falsch gestellt. Sie geht davon aus, dass es weniger oder besser geeignete Bewerber gibt; Anwärter, die auf der politischen Bühne mehr oder minder gut vermittelbar sind. Ob aber und von wem eine Ulrike Poppe vorgezogen worden wäre, die in Brandenburg die Stasiunterlagen-Behörde leitet, oder dass ein Günther Nooke nicht das Plazet der Kanzlerin gefunden hat – all das verfehlt den eigentlich springenden Punkt: Muss es für Birthler überhaupt einen Nachfolger geben?

Die bisherigen Bundesbeauftragten haben gern mit dem Bedarf argumentiert. Und 6,5 Millionen Anträge in 19 Jahren sind ohne Zweifel eine beachtliche Zahl. Aber was ist damit über die Wirkung der Behörde ausgesagt? Die Institution hat vieles über die Staatssicherheit ans Licht gebracht. Sie hat aber auch die Wirklichkeit der DDR hinter dem papierenen Erbe ihres paranoiden Geheimdienstes verschwinden lassen. Die von ihr befeuerte Logik des pauschalisierten IM-Verdachts hat das rechtsstaatliche Gebälk angefressen. Ihre Urteile waren oft zweifelhaft beurkundet, ihre moralisch aufgeladenen Ver­dikte gelten wider jede Vernunft ewig. Sie degradierte sich zur Lieferantin ausgewählter Medien. Gerechte Aufarbeitung?

„Die Stasi-Unterlagen-Behörde“, hat vor wenigen Tagen ein sehr emotionaler Egon Bahr kritisiert, „hat dazu beigetragen, die innere Einheit durch Versöhnung zu verfehlen.“ Und es gibt weitere Gründe, warum eine Normalisierung des Aktenumgangs, also die Abgabe ans Bundesarchiv schon vor 2019, ein Fortschritt wäre.

Der Widerstand dagegen ist groß. Und vielleicht braucht es gerade einen Roland Jahn, der manchem als unversöhnlicher Gegner der DDR gilt, um Mehrheiten für einen solchen, schnellstmöglichen Schritt der behördlichen Selbstabschaffung zusammenzubringen. Sein Motto, heißt es, sei stets gewesen, dass man sich die Freiheit nehmen muss. Wer nimmt sich die Freiheit, die Herrschaft der Akten zu beenden?

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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