Man kann den Unterschied zwischen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auch an Rosen erkennen: In dem einen Land verteilt Ministerpräsident Kurt Beck lächelnd Blumen in Fußgängerzonen und darf sich seiner Sache sicher sein. In dem anderen Land steht Ministerpräsident Stefan Mappus vor der Öffentlichkeit wie vor Gericht – er könne keine „großen Fehler“ erkennen, versuchte sich der CDU-Mann am Freitag zu verteidigen. Es sei halt „ein sehr komplexes Jahr“ gewesen. Eines, das Baden-Württemberg seit Monaten im Fokus der bundespolitischen Aufmerksamkeit stehen lässt. Was man vom SPD-regierten Rheinland-Pfalz nun nicht gerade sagen kann.
Weil Kurt Beck weniger Fehler gemacht hat? Natürlich gibt es andere Gründe, Becks Bilanz ließe sich ebenso kritisieren wie jene von Mappus. In „Rheinland-Filz“ hat es genügend Immobilien-Affären, versenkte Fördermillionen und Justizskandale gegeben. Ein Sturz von „König Kurt“ bei der Wahl stand aber nie wirklich in Aussicht, und ebenso wenig gab es die Gelegenheit, mit der Wahl Größeres zu verbinden als einen wenig spektakulären Wechsel der Regierungsfarben von Rot zu Rot-Grün.
In Stuttgart ist das anderes: Stürzt Mappus, geht eine Epoche zu Ende. Und wenn dabei auch noch ein Grüner, so konservativ er sein mag, die Nachfolgerschaft anführt, mag man darin gern auch den Beginn einer neuen erkennen. Außerdem verdichtet sich in Baden-Württemberg das bundespolitische Bild wie lange nicht mehr bei einer Landtagswahl: der Atomkonflikt und die Möglichkeit, die Bundesregierung landespolitisch abzustrafen, haben eine Qualität, die manchen bereits den Vergleich mit Gerhard Schröders nordrhein-westfälischem Mai von 2005 anstellen ließ.
Hohe emotionale Betroffenheit
Ob Wahlergebnis und Wahlausgang sich den Vorhersagen fügen? Auf der einen Seite nimmt rot-grüne Siegeshoffnung breiten Raum ein, auf der anderen wird auf eine Weise über andere Koalitionsvarianten gesprochen, aus der sich die Unsicherheit ablesen lässt. Auch die der Beobachter, weshalb es bei der einen Nachrichtenagentur heute heißt, der „SPD-Landeschef schließt Schwarz-Rot nicht 100prozentig aus“, während die andere meldet, „Mappus-Herausforderer Schmid eigentlich gegen Schwarz-Rot“ und die dritte titelt: "SPD und Grüne schließen Koalition mit Mappus aus". Richtig ist zumindest, dass mit dem Blick auf die Umfragen Türen offen gehalten werden. Und dafür, dass Überraschungen nicht ausgeschlossen sind, kann man zwei Argumente anbringen.
Das eine hängt mit den inzwischen auch im Südwesten nur noch losen Parteibindungen zusammen, die „schon unter normalen politischen Rahmenbedingungen auch kurzfristig noch deutliche Schwankungen in der Wählergunst möglich“ machen, wie es die Demoskopen von der Forschungsgruppe Wahlen formulieren. Nur eben, dass derzeit keine normalen Bedingungen herrschen und die Experten unter anderem wegen der „sehr hohen emotionalen Betroffenheit in Deutschland über die Atom-Katastrophe in Japan“ von einer „noch höheren Volatilität als sonst“ ausgehen. Ob und welchen Effekt da Rainer Brüderles „Protokollfehler“ hat, lässt sich nicht leicht sagen. Es mag ein schwarz-gelbes Spektrum geben, welches sich davon sogar noch mobilisieren lässt.
Stefan Mappus jedenfalls wird darauf hoffen, mehr aber noch auf das Wahlrecht in Baden-Württemberg. Zwar lagen zuletzt SPD und Grüne leicht in Führung, in den Umfragen war der Abstand zu CDU und FDP aber nie besonders groß. Und da kommt das Wahlrecht ins Spiel: In Baden-Württemberg haben die Bürger nur eine Stimme, mit der wird Direktkandidat und Partei zugleich gewählt – 70 Sitze im Landtag sind für die Wahlkreisvertreter bestimmt, der Rest wird nach dem prozentualen Anteil auf die Listenkandidaten verteilt. Die CDU ist in den Wahlkreisen besonders stark, 2006 holte die Union 69 der Direktmandate – nach dem prozentualen Ergebnis hätten ihr nur 58 Sitze im Landtag zugestanden.
Das Phänomen der Überhangmandate kennt man auch aus anderen Ländern und von der Bundestagswahl. Die anderen Parteien erhalten zwar so genannte Ausgleichsmandate, in Baden-Württemberg führen komplizierte Regeln aber dazu, dass unter dem Strich die Partei begünstigt ist, die das Direktmandat gewonnen hat: das dürfte in der Regel trotzdem die CDU sein.
Die Grünen haben sich vom Friedrichshafener Professor Joachim Behnke einmal ausrechnen lassen, zu welchen Verzerrungen das führen könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es „zu einer ungerechtfertigten Mehrheit von Schwarz-Gelb“ kommt, obwohl CDU und FDP weniger Stimmen als Rot-Grün haben, ist zwar nicht besonders groß. Und Behnke hat in seine Simulation auch nicht den möglichen Einzug der Linkspartei in den Landtag einbezogen. Tritt aber ein, was möglich ist, sieht der Politikwissenschaftler „eine Art von demokratietheoretischem GAU“ kommen und prognostiziert „schwerwiegende Folgen für die empfundene Legitimität einer Regierung“.
Zwar wären in einem solchen Fall Klagen wahrscheinlich und auch eine Neuwahl, wie man am Beispiel von Schleswig-Holstein sehen kann, wo ein ähnlich gelagerter Fall zu einem Urteil führte, wegen dem am Donnerstag ein neues Wahlrecht verabschiedet wurde (was aber sogleich auf Kritik stieß) und bis Herbst 2012 auch der Landtag neu bestimmt werden muss. Ob die Chancen für einen Regierungswechsel in Stuttgart aber zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal so groß wären, kann niemand sagen.
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