Seit ein paar Wochen kommt der Stoff, aus dem die politischen Träume sind, auch sonntags. Emnid veröffentlicht seine regelmäßigen Wahlumfragen jetzt immer am Ende der Woche, da ist die Konkurrenz um Aufmerksamkeit nicht so groß. Genau die ist auch das Problem der SPD, doch eine Partei kann sich nicht auf einen anderen Tag verlegen, um dem Mitbewerber zu entkommen. Und so müssen die Sozialdemokraten mit ansehen, wie die Grünen ihnen selbst noch im Scheitern die Show stehlen. Die Schlagzeilen zum Platzen der Koalition in Hamburg machten jedenfalls nicht die Sozialdemokraten.
Ein paar Tage zuvor war es Frank-Walter Steinmeier so ergangen. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag hatte in der Haushaltswoche die Debatte über den Kanzleretat er
;etat eröffnet, traditionell ein großer Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierung. Nun gilt der Brakelsieker rhetorisch ohnehin nicht als einer der Großen. Aber dass seine Rede derart durchfallen würde, war auch nicht zu erwarten. Angela Merkel ließ Steinmeiers Angriffe lächelnd abtropfen und redete fortan nur noch über die Grünen. Und die Presse machte es der Kanzlerin nach.Für einen Politiker, der sich gern als Oppositionsführer sieht, wäre das unter normalen Umständen eine schwere Schlappe. Innerparteiliche Konkurrenten würden Zweifel streuen, die Medien sich begierig auf den Taumelnden stürzen. Bei Steinmeier ist das anders. Da kann die SPD noch so sehr in Umfragen hinter dem eigenen Anspruch herdümpeln, da kann die Diskussion noch so stark von anderen Parteien bestimmt werden, da kann die Öffentlichkeit den Sozialdemokraten noch so sehr ihre Regierungsvergangenheit verübeln – das Image des Ex-Außenministers nimmt keinen Schaden.TraumpaarungenNun kann man sagen, Politik ist kein Schönheitswettbewerb und bisher entscheidet der Gala-Bild-Spiegel-Konsens, in dem Verteidigungsministerehen zu Traumpaarungen werden, auch noch nicht ganz allein über Karrieren. Als Schwungmasse politischer Auseinandersetzungen wirken solche medialen Bilder aber durchaus. Steinmeier, der als Referent für Medienpolitik seine Karriere begann, hat im Herbst seiner Frau eine Niere gespendet. Der SPD-Mann selbst hat das unlängst in einen Zusammenhang mit Umfragen zu seiner Person gestellt. Er sei „realistisch genug, um zu wissen, dass die aktuellen Werte auch mit Entscheidungen in meinem Privatleben zu tun haben“.Als Person beliebt, die Partei im Umfragetal – diese Mischung macht Steinmeier einerseits zu einem Scheinriesen, der für nett befunden wird, aber politisch ohne Gewicht ist. „Der Zeitgeist weht im Moment nun einmal grün“, hat der 54-Jährige versucht, den Umfragen ein wenig von ihrer Wirkung zu nehmen. Die SPD hat jetzt sogar schon hinter den Grünen gelegen, den beherrschenden Debatten laufen die Sozialdemokraten hinterher. Als Person beliebt, die Partei im Umfragetal – diese Mischung bringt Steinmeier andererseits aber in Vorteil beim Kampf um den Kurs der SPD.Bei eben jener Haushaltsrede Steinmeiers hatte Sigmar Gabriel weit hinten im Plenum gesessen. Angela Merkel frotzelte, der SPD-Chef habe sich bei den Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden wohl „lieber ganz nach hinten gesetzt, damit man sein Gesicht nicht sieht“. Die Anspielung entbehrt nicht der Grundlage, auch wenn Gabriel versucht hat, die Sitzordnung später herunterzuspielen. Seit der Neuaufstellung der SPD-Spitze nach dem Bundestagswahldebakel vom Herbst 2009 war zwar viel von „Mannschaftsspiel“ die Rede, hinter den Kulissen wurde aber heftig gerungen, auch zwischen Gabriel, der nie als besonders „beliebt“ galt, und Steinmeier.Attacke auf GabrielWenn der eine nun den anderen einen „tatkräftigen Parteivorsitzenden“ nennt, denkt man unwillkürlich an verklausulierte Botschaften in Arbeitszeugnissen, in denen sich hinter einem „redlich bemüht“ vernichtende Urteile verbergen können. Noch vor seiner Wahl zum Parteivorsitzenden hatte Gabriel vom „katastrophalen Zustand“ der SPD gesprochen und angekündigt, „wir werden lange brauchen, uns davon zu erholen“. Zu lange offenbar für den konservativen Flügel, dem Gabriel selbst nicht entfernt und dem Steinmeier nahe steht. Ein jüngst in Umlauf gebrachtes Papier, in dem von einer „schweren Identitätskrise“ die Rede ist und kritisiert wird, dass die SPD immer noch „keine schlüssige Antwort“ auf die Frage gefunden habe, „wofür sie steht“, musste als Attacke gegen den Parteivorsitzenden verstanden werden.Von der wird Steinmeier zu profitieren wissen. Die Abrechnung mit der Überschrift Mut zur Sozialdemokratie steht in den Punkten, in denen Fraktionschef und Parteivorsitzender unterschiedlicher Auffassung sind, auf Seiten des Schröder-Manager. Gabriel soll über die Veröffentlichung sauer gewesen sein und musste die Flucht nach vorn antreten. Seine nachgereichte Freude darüber, „dass die Debatte beginnt über die zukünftige Ausrichtung der SPD“, dementierte zugleich alles, was in der Sozialdemokratie seit dem Herbst 2009 durchaus schon an Aufarbeitung stattgefunden hat. Der linke Flügel zürnte – und Steinmeier schwieg.Die Frankfurter Allgemeine hat dem Seeheimer Kreis zugerufen, den „Mut zu klaren Entscheidungen“, den das Papier von der SPD-Spitze fordert, erst einmal selbst zu zeigen. Mit „schlüssigen Antworten“ warten die sechs vom niedersächsischen Abgeordneten Garrelt Duin aufgeschriebenen Seiten tatsächlich nicht auf. Aber welche „Identität“ der Sozialdemokratie verordnet werden soll, wird deutlich. Ob Steinmeier begriffen hat, dass es sich dabei um den Kurs handelt, der die SPD erst „dahin gebracht hat, wo sie heute steht“, wie man auf dem linken Flügel warnt?