Dresden, erster Akt 2011: nach dem Protest ist vor der Blockade

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Wenn man die Verhinderung von Nazi-Demos zum alleinigen Kriterium des Erfolgs von Antifa-Protesten machen würde, müsste man den 13. Februar 2011 eigentlich als kleine Niederlage betrachten. Schließlich konnten jede Menge Rechtsradikale – nach penibler Polizeizählung 1.291, nach dem Eindruck vieler eher mehr – mit Fackeln durch die Stadt ziehen. Das ist zweifellos Mist, viel entscheidender aber ist etwas anderes:

Im Jahr nach der großen Blockade von 2010 haben es Tausende abermals versucht, den Nazimarsch zu stoppen – trotz Verboten der Stadt, trotz der seit einem Jahr laufenden Verfahren gegen Blockierer und trotz eines richterlichen Hinweises, nach dem das Versammlungsrecht auf für Nazis gilt. Hunderte Menschen, jüngere Antifa und ältere Dresdner, schafften es immer wieder, dem Aufmarsch so nahe zu kommen, dass die Polizei schließlich dessen Route verkürzte. Daran änderten auch das “Trennungsprinzip“, weiträumige Absperrungen, blockierte Studentenwohnheime, Rasterrausschmisse von irgendwie „alternativ Aussehenden“ aus der Straßenbahn und massive Polizeipräsenz wenig. Der geschichtspolitische Rundgang „Täterspuren“ konnte zwar wegen des Verbots nicht stattfinden, aber 300 kamen dennoch zu einer Aktion in der Sperrzone.

Als exemplarisch für diesen „Geist von Dresden“ kann man die Bemerkung von Jenas SPD-Bürgermeister Albrecht Schröter nehmen, der an dieser Trotzdem-Kundgebung teilnahm: Er fühle „sich eins mit dem Grundgesetz und nimmt dafür auch eine Ordnungswidrigkeit in Kauf“. Es handelt sich um jene Haltung, die der Datenschützer Thilo Weichert vor ein paar Wochen auf einer Diskussionsveranstaltung über die rechtspolitische Dimension der Blockade von 2010 so beschrieb: Ein Rechtsbruch sei zwar nicht legal, könne aber legitim sein. Mit anderen Worten: Ein echtes, für alle geltendes Demonstrationsrecht bedarf nicht bloß der bürokratischen Anerkennung und polizeilichen Durchsetzung, sondern eben auch seiner praktischen Verteidigung aus der Gesellschaft heraus, also im Falle der Nazis den auch “ungehorsamen” Protest gegen die erklärten Feinde demokratischer Rechte.

Blamiert sind dagegen die Verwaltung der Stadt und jene CDU-Politiker, die sich mit ihrem gebremsten Staatsantifaschismus hinter einer Menschenkette und dem immer wieder gesagten Satz verbarrikadieren, nach dem nur friedliche und erlaubte Proteste gegen den Naziaufmarsch auch „gute Proteste“ seien. Abgesehen davon, dass man auch Unerlaubtes friedlich tun kann, wie Tausende im vergangenen gezeigt haben, geraten solche Äußerungen vor der Realität, vor der sie ausgesprochen werden, zur Farce. Unter die Teilnehmer der offiziellen Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof hatten sich am Sonntag rund 100 Nazis gemischt, darunter NPD-Landtagsabgeordnete. Wer wie Bundesinnenminister Thomas de Maiziere nach der Menschenkette von einem „Sieg für diese Bewegung und ein starkes Votum für die Demokratie“ spricht, muss sich fragen lassen, wie er sich – ganz persönlich – auf dem Friedhof verhalten hat, als die Möglichkeit, mehr noch: die Gelegenheit bestand, ein wirklich „starkes Votum“ zu hinterlassen.

Überhaupt: die CDU. Der Dresdner Stadtverband hatte im Vorfeld jede Form des Widerstandes gegen die Nazis, die über die Menschenkette hinausgeht, als „Demonstrationstourismus“ diffamiert – und damit nicht etwa die Autonome Antifa gemeint, sondern die Berliner SPD. Gegen eine geschichtspolitische Veranstaltung der städtischen Grünen führte die Union ins Feld, dass die „Diskussion über Trauer und Gedenken an die Opfer des Bombenangriffs“ von 1945 „nicht in eine Parteiveranstaltung“ gehörte. Kritik an der Dresdner „Gedenkkultur“, die lange Zeit in einem beispiellosen und bundesweit kritisierten Nichtstun gegen Naziaufmärsche bestand, wird als Besserwisssertum abgewehrt, allein die Menschenkette zur Fortführung einer bewahrenswerten Tradition überhöht.

Dieser „bürgerliche Protest“, wie er schon seit längerem in Abgrenzung zu den Aktionen von Antifa-Bündnissen, linken Politikern aus verschiedenen Parteien, Künstlern, Dresdnern, Gewerkschaftern genannt wird, hat sich längst als Vorstellung im Kopf von Leuten entpuppt, bei denen man immer vermuten muss, ihre Haltung zum geschichtspolitischen Streitthema „Dresden“ könnte von jener der Nazis nicht sehr weit entfernt sein. Die wahren „Bürger“ sind am Sonntag nach der Menschenkette in die „verbotene Zone“ gegangen, um dort trotzdem gegen die Nazis zu protestieren. Oder sie haben in der Menschenkette versucht, die politische Prominenz in Diskussionen zu verwickeln, in der einem Lothar de Maiziere auf das Argument hin, die Polizei schütze in Dresden die Nazis nicht „nur vor Extremisten, sondern eben auch vor den Bürgern der Stadt“, nur der Abbruch blieb.

Gedenken allein reicht nicht“, stand am Sonntag auf einem Transparent, das Dresdner Schauspieler zur Menschenkette mitbrachten, um es dort jenen Politikern vorzuhalten, die vom Gegenteil überzeugt sind. Im Ensemble sei viel darüber diskutiert worden, wird Intendant Wilfried Schulz im Neuen Deutschland zitiert, „ob es sinnvoll ist, sich in die Kette einzureihen, wenn die sich den Rechten nicht wirklich entgegen stellt“. Doch so ganz hilflos, wie Schulz angesichts der „Hilflosigkeit der Stadt“ ist, muss man ja nicht sein. „Die Kriminalisierung linker Demonstranten ist tödlich“, sagt der Berliner Schriftsteller Ingo Schulze im Spiegel – und hält es für unvermeidlich, den Nazi-Aufmarsch durch Blockaden zu verhindern. „Symbolpolitik genügt nicht. Wir müssen handeln.“

Tausende haben das an diesem 13. Februar getan. Am kommenden Sonntag werden nochmals und womöglich weit mehr Rechtsradikale in Dresden erwartet. Dann wird es abermals nicht erlaubt sein, sich denen in den Weg zu setzen, oder in „Spuckweite“, wie es am Sonntag ein Redner auf einer Kundgebung formulierte, gegen die Nazis zu protestieren. Tausende werden sich zum Glück nicht daran halten.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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