Manchmal kommen noch Nachrichten, die gefallen dem Bundesgeschäftsführer der Linken. Dass der WDR einen Radiospot der Partei wegen der „akustischen Darbietung des Geschlechtsverkehrs“ nicht zur Mittagszeit ausstrahlen will, hat Dietmar Bartsch amüsiert. Aufmerksam wurde man auf das Gestöhne schließlich erst so richtig durch die zugeknöpfte Reaktion des Senders. Der wollte „ein entwicklungsbeeinträchtigendes Angebot“ erkannt haben. Der Wahlkampfleiter bedankte sich: Bei einer Ausstrahlung im Abendprogramm erreiche man sowieso viel mehr Hörer.
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Der linke Kitt wird brüchig: Zum Partei-Ausstieg von Wechselberg und Kaufmann
Häufiger muss Bartsch dieser Tage weniger amüsante Meldungen zur Kenntnis nehmen.
Ausstieg von Wechselberg und KaufmannHäufiger muss Bartsch dieser Tage weniger amüsante Meldungen zur Kenntnis nehmen. Gleich zwei Parlamentarier verließen in der vergangenen Woche die Linkspartei. Dem Austritt des Berliner Haushaltspolitikers Carl Wechselberg folgte der Wechsel von Sylvia-Yvonne Kaufmann zur SPD. Bartsch spricht von einem „unglaubwürdigen Schritt“ – die Europaabgeordnete habe „noch vor wenigen Wochen auf dem Europa-Parteitag für die Partei, die sie jetzt verlassen hat, engagiert um einen Listenplatz gekämpft“. Auch bei Wechselberg fragten sich viele, welche Motive dem Rücktritt wirklich zugrunde liegen würden. Soll auch heißen: Die Generalkritik am Kurs der Partei hält mancher für vorgeschoben.Kaufmann und Wechselberg hatten ihre Entscheidung mit harscher Kritik an „Sektierertum“ und „Fundamentalopposition“ der Partei begründet – Topoi, die in der Öffentlichkeit nun alles andere übertönen und mit jeder medialen Wiederholung den Eindruck eines Kampfes zweier Linien bestärken: Realos gegen Radikalos, die von Oskar dem Schrecklichen gefördert würden, um die Pragmatiker klein zu halten.In Wahrheit ist die Welt der Linkspartei ein bisschen komplizierter. Die Austritte von Kaufmann und Wechselberg fanden vor dem Hintergrund der Neufassung des Wahlprogramms statt. Auf Druck aus den eigenen Reihen war der Entwurf vor einigen Tagen verschärft worden. Mancher hat daraus den Schluss gezogen, die Linke sei auf dem Weg der Radikalisierung. Andererseits haben sowohl Sarah Wagenknecht von der Antikapitalistischen Linken als auch das Forum demokratischer Sozialismus den neuen Entwurf als Kompromiss gelobt. Es ist nicht der erste und wird nicht der letzte bleiben.Radikalisierung oder Realitätsverweigerung?Zwei Jahre nach der Fusion tritt die neue Partei erstmals zu einer Bundestagswahl an. Unterschiedliche Herkunft und verschiedene politische Traditionen sind noch längst nicht in einem langfristigen programmatischen Konsens gezähmt. Es gehe mal wieder, sagt Linken-Chef Lothar Bisky, „um die Richtung, die die Partei einschlagen soll“.Die Fusion von PDS und Wahlalternative geschah, obwohl nicht lange her, noch in einem anderen Rahmen. In den Programmatischen Eckpunkten von 2007 taucht das Wort Verstaatlichung gar nicht auf, es ist inzwischen zur Regierungsvokabel einer großen Koalition geworden. Seinerzeit hatte die Linke verschämt von Überlegungen zur Überführung einiger Wirtschaftszweige in öffentliche Eigentumsformen gesprochen. Nun fordert die Linke in ihrem Wahlprogramm offensiv die Vergesellschaftung privater Banken sowie der Strom- und Gasnetze – es handele sich um das „Gebot der Stunde“.Man kann das Radikalisierung nennen. Aber wäre es nicht viel eher eine Realitätsverweigerung, auf die gravierenden Veränderungen nicht zu reagieren, unter denen die Linke Politik macht? Michael Schlecht, Gewerkschafter im Vorstand und Chefvolkswirt von Verdi, sagt, das Wahlprogramm „ist kein radikaler, sondern ein realistischer Entwurf angesichts der aktuellen Krisenverhältnisse“. Auch der alte Streit ums Mitregieren muss jetzt etwas weiter links im Koordinatensystem geführt werden. Berlins Landeschef Klaus Lederer sieht in den Diskussionen der nächsten Zeit die Frage im Mittelpunkt, ob man, „ausgehend von den grundsätzlichen Forderungen des Wahlprogramms, in der Lage und bereit ist, in Kompromisse und Gemeinsamkeiten mit anderen zu gehen“. Im Herbst auf Bundesebene wird sich diese Frage nicht stellen. Wen immer man in der Linksparteiführung fragt: Eine Koalition mit SPD und Grünen wird abgelehnt.Die Krise zwingt zur NeujustierungDas Problem dabei ist ein doppeltes: Wenn es erstens, wie immer behauptet wird, schon ausgemachte Sache ist, dass die Rechnung der Krise nach den Wahlen den Lohnabhängigen und Transferbeziehern präsentiert wird, dann muss die Linkspartei gut begründen können, warum sie nicht offensiv für eine rot-grün-rote Anti-Krisen-Koalition werben will. Kann sie als Opposition wirklich so viel mehr erreichen? Wäre ihre Glaubwürdigkeit gefährdet? Wollen die anderen Parteien nicht?Dass etwas unwahrscheinlich ist, sollte einer Partei nicht als Ausrede dienen, die gerade die Vergesellschaftung von Banken fordert. Die Krise zwingt nicht nur die Linkspartei zur Neujustierung ihrer Forderungen. Man kann nicht für alle Zeiten darauf hinweisen, die Grünen und die SPD würden mit ihrer Linksblinkerei nur leere Versprechen abgeben, die nach dem Wahltag umgehend gebrochen würden. Was ist mit den Wahlversprechen der Linken? Abgesehen davon steht der Oppositionskurs im Bund im Widerspruch zu Bündnisüberlegungen auf Landesebene. Diese Überlegungen sind durch den Abgang von Kaufmann und Wechselberg nicht gerade befördert worden. Ausgerechnet zwei Exponenten der Regierungslinken haben mit ihrem Abgang der SPD ein neues Argument geliefert, warum man mit der Linkspartei nicht kooperieren kann. Sie könnten im Herbst jenen Sozialdemokraten als lebende Beweisstücke dienen, die bereits in Hessen eine Zusammenarbeit torpediert haben. Schon frohlockt SPD-Chef Franz Müntefering, Lafontaine „und seine Sache“ hätten „den Höhepunkt überschritten“ .Bartsch beruhigt sich damit, dass selbst am Tag des Kaufmann-Übertritts „mehr Sozialdemokraten zur Linken als umgekehrt“ gekommen seien. Und auch Lafontaine sieht seine Partei in dieser Konkurrenz um die Enttäuschten „im Vorteil“. Aber was ist das für ein Vorteil? Für die Linkspartei sind zwei Austritte zahlenmäßig natürlich kein Problem. Wie sehr sich allerdings eine auf innerparteiliche Konflikte orientierte Berichterstattung in Umfragewerte niederschlagen kann, das kann die Linkspartei beim früheren SPD-Chef Kurt Beck erfragen.