Ein kleines Wunder - wer künftig die neue Linke führen soll

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Wer am Dienstagmorgen Zeitungen las, konnte viel über den Willen zu rascher Einigung auf einen Personalvorschlag für die nächste Führung der Linkspartei lesen – aber auch über die nach wie vor bestehenden Unverträglichkeiten. Gesine Lötzsch wurde da anonym als „politisch bequemste Ossi-Frau, die man nehmen könnte“ bezeichnet; Klaus Ernst bekam als „Machotyp“ schlechte Noten und eine „führende Linke“ wurde mit den Worten zitiert, der Schweinfurther Gewerkschafter wäre als Chef „wohl nur mit einem Parteivizeposten für die Antikapitalistische Linke vermittelbar". Es war Marktgeschrei vor dem großen Personalbasar am Montagabend – eine Wirkung konnte das aber allerhöchstens in Online-Ausgaben entfalten. Als die gedruckten Zeitungen erschienen, war der Handel ja längst vorentschieden.

Nach einer langen Nacht, diversen Runden, in denen die Landesvorsitzenden mal getrennt, mal gemeinsam, dann zusammen mit der geschäftsführenden Parteispitze tagten, und die schließlich am Morgen mit einer Telefonkonferenz des 44 Mitglieder zählenden Vorstands ein Ende fand, stand eine „große Mehrheit“ für einen Personalvorschlag, in dem sich einiges von den aktuellen Problemen der Linken abbildet. Was da Berücksichtigung finden und welche Proporze beachtet werden musste, man will das eigentlich gar nicht alles wissen. Gregor Gysi nannte es am Mittag, als die neue Riege der Öffentlichkeit vorgestellt wurde (nur Katja Kipping musste arbeiten), sicher nicht ohne Grund „ein kleines Wunder“.

Die Linkspartei wechselt einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Parteispitze aus. Die Namen sind teils bekannt, teils eher nicht - und schnell genannt, weitere Informationen zu den Biografien findet, wer den Links folgt. Vorgeschlagen sind: Gesine Lötzsch und Klaus Ernst als Führungsduo, als stellvertretende Vorsitzende sollen Katja Kipping, Sahra Wagenknecht, Halina Wawzyniak und Heinz Bierbaum kandidieren.Die Bundesgeschäftsführung sollen Caren Lay und Werner Dreibus übernehmen, die Schatzmeisterei der Linkspartei Raju Sharma. Und Ulrich Maurer wurde erneut als „Mitglied im Geschäftsführenden Parteivorstand mit besonderer Verantwortung für die Parteibildung“ nominiert.

Zwei Neuerungen

Man könnte nun viel an dieser Liste herum interpretieren: Welche Landesverbände keine Berücksichtigung finden, welche Strömung wie vertreten ist und so weiter. Vielleicht stimmt ja auch, was im Neuen Deutschland heute zu lesen ist, dass nämlich neben den Quoten Ost-West sowie Mann-Frau noch eine dritte berücksichtigt werden musste: die „Nah-Fern-Quote – für Nähe oder Distanz gegenüber Lafontaine“. Zwei Neuerungen sollten aber besondere Beachtung finden.

Mit einem doppelten Bundesgeschäftsführer hat die Linke das Prinzip der Quote auf ein eigenartiges Niveau getrieben. Was nicht an den Kandidaten liegt – Caren Lay und Werner Dreibus. Sondern an den Schwierigkeiten, die man sich ausmalen kann, weil „Geschäftsführung“ ja nicht nur politischen Kriterien folgt – diese aber hier die Oberhand gewonnen haben. Die Unzufriedenheit mit Dietmar Bartsch, dem eine gewisse Einseitigkeit zu Gunsten der ostdeutschen Landesverbände vorgeworfen wird, verfestigt sich nun in einer Doppel-Geschäftsführung, mit der es keine Erfahrungen gibt.

Immerhin soll die Regelung wohl nur vorübergehend in Anspruch genommen werden. Zur Begründung sagte Gysi, man wolle in der gegenwärtigen Lage zwei gleichberechtigte Ansprechpartner für die Partei haben. Da stellt sich die Frage, warum auch die schon damals ein wenig seltsam anmutende Installation von Parteibildungsbeauftragten verlängert wird – Ulrich Maurer behält seinen für den Westen zuständigen Posten, Halina Wawzyniak betreut den Osten. Und gemeinsam sollen sie die „Vereinigung der Partei von unten“ befördern, Projekte anstoßen und so weiter. Also eigentlich das, was die Bundesgeschäftsführer schon machen.

Eine weitere Neuerung ist das „strömungspolitische Betätigungsverbot“, nach dem, wer in der engeren Parteiführung amtiert, nicht zugleich für einen der Flügel der Linken aktiv sein darf. Als politischer Anspruch im Sinne von „Überparteilichkeit“ und Verantwortung für die gesamte Linke ist das nachvollziehbar. Wie es durchgesetzt werden soll, bleibt aber offen. In den offiziellen Verlautbarungen taucht der Ukas nicht auf, es handelt sich wohl eher um eine Mahnung. Gysi hat in der Pressekonferenz erklärt, man habe „noch nicht über Sanktionen nachgedacht“. Worin die bestehen könnten und wer sie auf welcher Grundlage verfügt, wurde nicht mitgeteilt. Lediglich, dass man dies bitte nicht als „Lex Wagenknecht“ verstehen dürfe.

Erste Reaktionen

Die ersten Reaktionen geben einen Vorgeschmack auf das, was die Linkspartei bis zum Parteitag im Mai noch an Strecke zurückzulegen hat. Kaum hatte das Tableau, das im Mai vom Parteitag bestätigt werden muss und für das mindestens zwei Satzungsänderungen nötig sind, die Runde gemacht, wurde der von Gysi, Gesine Lötzsch und Klaus Ernst verbreitete Optimismus gestört. Berlins Linksfraktionschef Udo Wolf hätte „es besser gefunden, wenn wir zuerst die künftige politisch-strategische Ausrichtung der Linken beschrieben und danach das Personal ausgesucht hätten, das dazu passt“. Nun sieht er „eher die Gefahr, im wechselseitigen Blockadeprozess der Strömungen zu verharren". Landeschef Klaus Lederer wird mit den Worten zitiert: „Ernst und Maurer haben in der Vergangenheit nicht unbedingt Integrationskraft an den Tag gelegt.“ Außerdem bekomme „die Partei ihre Spitze vor die Nase gesetzt und kann nur Ja oder Nein sagen“.

Klaus Ernst hat bei der offiziellen Kür schon vorausschauend darauf reagiert und angekündigt, „mit allen Landesverbänden ins Gespräch“ zu kommen. Das neue „Führungsteam“ werde sich für die ganze Partei verantwortlich fühlen. Gysi bekannte, für Ernst in den nächtlichen Runden „gestritten zu haben“. Und auch, dass Lothar Bisky, Dietmar Bartsch und Oskar Lafontaine über ihn in die Personalfindung einbezogen gewesen seien. Etwas anderes hatte bestimmt niemand erwartet.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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