Ein, zwei, viele Thesen - zur Debatte in der SPD

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Der „Neuanfang“ der SPD ist eine langwierige Angelegenheit. Ein kleiner Überblick der Debatte zur die Zukunft der Sozialdemokratie:

Am Abend des historischen Wahldebakels im vergangenen Jahr hatte Frank-Walter Steinmeier von der „Neuordnung der Partei“ gesprochen. Wochen später verkündete Sigmar Gabriel abermals „einen neuen Antritt“ - das war vor dem November-Parteitag. Und nun, 113 Tage nach der Stunde Null, verspricht Fraktionsvize Hubertus Heil immer noch, „dass wir jetzt Fahrt aufnehmen werden“.

Nun mag Raserei ja tatsächlich nicht die beste Fortbewegungsart sein, wenn man als Partei zur Besinnung kommen will. Bei der aktuellen Geschwindigkeit ist mit einem Ergebnis der Selbstfindung allerdings erst in einer fernen Zukunft zu rechnen. Wenn die Sozialdemokratie diese denn überhaupt ernsthaft betreibt.

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Zum Beispiel Hartz IV: Die SPD will nun, wie ihre Arbeitsmarktexpertin Elke Ferner ankündigte, einen längeren Diskussionsprozess über die Reformen in Gang setzen und bis zum Sommer abschließen. „Wir müssen überprüfen, ob das, was wir mit den Arbeitsmarktreformen bezweckt haben, auch tatsächlich eingetreten ist.“ Muss man das wirklich noch? Ist nicht längst offen zutage getreten, was hier erst ermittelt werden will? Oder sollen solche retrospektiven Prüfaufträge nur verschleiern, dass man über die zukünftigen Ziele noch gar nichts weiß? Dass die Strömungen und Machtzirkel in der SPD um die Kontrolle über den Prozess der „Erneuerung“ ringen, um diesem dann ihren programmatischen Stempel aufzudrücken?

Zum Beispiel Afghanistan: Steinmeier verhandelt mit der schwarz-gelben Kanzlerin im Stile eines Noch-Außenministers über das Afghanistan-Mandat – noch bevor die versprochene Basis-Debatte zu einem Ergebnis geführt hat oder auch nur ein Meinungsbild der Mitglieder erkennbar wäre. Gabriels Konter liest sich so: „Die SPD ist in der Opposition. Wir sind keine Regierungspartei im Wartestand. Diese neue Rolle müssen Partei und Bundestagsfraktion annehmen.“

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Spötter und Skeptiker meinen ohnehin, was da als „Aufbruch“ verkauft werde, sei gar keiner. Aber wer gehört eigentlich alles dazu, zu diesem „Aufbruch“. Die Klausurtagung des SPD-Vorstandes, die am Montag zu Ende geht, will ein Arbeitsprogramm beschließen und sechs „Zukunftswerkstätten“ einrichten. Ergebnisse und konkrete Vorschläge werden für die kommenden Wochen erst einmal nicht erwartet – der „Neuanfang“ der SPD, er zieht sich. Ein wenig erweckt die sozialdemokratische Führung dabei auch den Eindruck, die Partei finge mit der Debatte jetzt erst richtig an.

Dabei sind die aktuellen 12 Thesen zur Erneuerung der SPD von Sigmar Gabriel nun wahrlich nicht die ersten seit dem Wahldebakel. Und wenn die Sozialdemokratie so gut mit Wählerzuspruch ausgestattet wäre wie mit Thesenpapieren, wären die 20-Prozent-Zeiten ja auch längst vorbei.

Das ging bereits kurz nach dem Wahldebakel los, als die 14 Thesen zu Lage und Zukunft der SPD zur Diskussion gestellt wurden. Außerdem gelangte eine interne Streitschrift mit der Überschrift SPD neu erfinden! an die Öffentlichkeit. Vor ein paar Tagen hat Björn Böhning für eine „neue Willkommenskultur“ plädiert und zu diesem Zweck 13 Thesen zur Parteireform verfasst. (Aus der Geschichte der SPD wissen wir, dass es auch mit höheren Ziffern geht: die 53 Thesen zum Projekt Moderner Sozialismus von 1989 etwa oder die 63 Juso-Thesen Für eine Linke der Zukunft.)

Längere und programmatisch gefärbte Texte aus den vergangenen Monaten findet man auch anderswo. Das auf freitag.de initiierte Projekt Linke Mitte ist ebenso Teil dieser „sozialdemokratischen Debatte“ wie Kontroversen, die ohne ein „Zentrum“ auskommen müssen. Eine Replik auf den Text von Matthias Machnig und Karsten Rudolph zur Neuvermessung der SPD in den Blättern für deutsche und internationale Politik kann dabei schon einmal in der Freitag-Community zu lesen sein. Auch die Zeitschriften aus dem sozialdemokratischen Spektrum haben sich nicht erst seit dem Herbst mit der Krise der SPD beschäftigt. Wer sich einen Überblick verschaffen will, kann den Stand der Debatte unter anderem bei der spw Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, bei der Berliner Republik oder in der Neuen Gesellschaft Frankfurter Hefte nachlesen.

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Auch sollte man, wenn von der SPD als „atmender Partei“ die Rede ist, an die zahlreichen Initiativen erinnert werden, die sich nach dem Wahldebakel im Internet tummelten, vor allem auf Mitsprache der Mitgliedschaft drängten und in der Regel parteilinke Positionen vertraten, ohne selbst Teil der institutionalisierten Parteiflügel zu sein: von der Online-Aktion der Göttinger SPD Starke Basis über die Juso-Initiative SPD erneuern und den Frankfurter Appell Ich will meine Partei zurück bis zum Aufruf Wir brauchen die SPD zurück aus Arbeitnehmerkreisen der Südwest-SPD. Schon etwas länger aktiv ist die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten in der SPD und die Gruppe Mein Herz schlägt links. Nicht zu vergessen der Kasseler Ratschlag von linken Sozialdemokraten, dessen Initiatoren unter SPD von unten firmierten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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