Eine Frage der Solidarität

General Motors Werke bleiben erhalten – doch die Opelaner sollen bluten. Es ist ein Tod auf Raten. Nicht nur die Belegschaften müssen jetzt um mehr kämpfen als um ihre Jobs

Es war ziemlich genau vor einem Jahr, da ließ der Betriebsratsvorsitzende der deutschen GM-Tochter wissen: „Von einem VEB Opel halte ich wenig.“ Klaus Franz wird heute anders darüber denken. Jedenfalls täte er gut daran.

Damals fürchtete Opel wegen der Schieflage des Mutterkonzerns GM um seine Existenz und bat den Staat um Hilfe. Es ging um eine Bürgschaft von „etwas mehr als einer Milliarde Euro“, wie es damals hieß. Ein direkter Einstieg schien möglich, war aber politisch nicht gewollt. Ein paar Monate später war der Bedarf öffentlichen Kapitals auf 3,3 Milliarden Euro angewachsen. In einer "Treuhand" ließ die Regierung ihre Interessen von eingefleischten Marktliberalen vertreten. Im Spätsommer 2009 bot sie bereits 4,5 Milliarden Euro an Krediten und Bürgschaften – wenn sich GM für Magna als Käufer entscheiden würde.

Ob es mit dem österreichisch-kanadischen Zulieferer besser ausgegangen wäre, sei einmal dahingestellt. Die neue Lage nach der Kehrtwende von General Motors ist jedenfalls schlechter: In Deutschlands soll jede fünfte Stelle wegfallen, die vier Werke tragen damit die Hauptlast der europaweit avisierten Kürzung. Die Zusage, zunächst wohl alle Standorte zu erhalten, ist kein Trost, sie soll vor allem die Chancen von GM erhalten, doch noch Steuergeld zu bekommen. Europachef Nick Reilly will 3,3 Milliarden Euro staatliche Stütze – da sind geschlossene Werke kein hilfreiches Argument.

Allein das Versprechen, sie erst einmal nicht zu schließen, nützt aber auch niemandem. Ein tragfähiges unternehmerisches Konzept gibt es von GM noch nicht. Experten halten die Rasenmäher-Methode, mit der europaweit Stellen gestrichen werden, für hoch gefährlich. Während Auslastung und Ausstoß der Werke sich verschlechtern, bleiben die Kosten hoch. Der Konzern fährt der Konkurrenz bei Modellpalette und Qualität hinterher. Die Marke ist am Boden. Und die ökologisch hoch problematischen Schrottprämien können den Blick auf die enormen Überkapazitäten in der gesamten Branche auch nicht mehr lange verstellen.

Verzicht am laufenden Band

Kurzum: Opel ist in seiner jetzigen Form kaum zu retten. Das gilt umso mehr, wenn man es für notwendig erachtet, sich schnellstmöglich aus der Logik einer Wirtschaftsweise zu befreien, in der um des Überlebens Willen "gewachsen" werden muss, und sei es mit falschen Produkten. Und die unter Nachhaltigkeit allenfalls die Verringerung des Benzinverbrauchs um ein paar Liter versteht, freilich nur solange sich damit Profit erzielen lässt. Von neuen Mobilitätskonzepten und Produktstrategien ist Opel zurzeit weiter entfernt als andere Autobauer.

Das sind nicht die besten Voraussetzungen für die Proteste, die der Betriebsrat nun angekündigt hat. Die Belegschaften, die schon seit Jahren Verzicht am laufenden Band üben, und dadurch ihre Zukunft doch nicht haben sicherer machen können, werden abermals um Jobs kämpfen müssen. Dabei brauchen die Kollegen in den Werken und die Gewerkschaften jede Unterstützung.

Solidarität mit den Kollegen in Eisenach, Rüsselsheim, Bochum, Kaiserslautern und anderswo heißt aber auch: den Gewerkschaften und Betriebsräten eine selbstkritische Debatte über ihren Magna-Kurs und die bisherige Strategie der Zugeständnisse abzuverlangen. Die Opel-Krise muss auch von den Arbeitnehmervertretern endlich als gesellschaftliche angegangen, der aktuelle Kampf um Arbeitsplätze mit dem Ziel eines hegemoniefähigen Projekts des Umsteuerns verbunden werden.

Jobgarantien sind nicht genug

Utopisch? Vielleicht. Aber gerade Opel hat gezeigt, was passiert, wenn Chancen für jenen „Systembruch“ verstreichen, den die Claquere der ungebremsten Konkurrenz bereits wittern, wenn nur von einem Staatseinstieg oder öffentlichen Finanzhilfen die Rede ist. (Freilich nur so lange, wie es gerade nicht um Werke geht, die in ihrem Wirkungsbereich etwas als Ministerpräsident liegen.)

Bei aller realistischen Einschätzung der Lage sollte sich niemand auf vermeintlich „realistische“ Ziele beschränken lassen. Es geht bei Opel mehr als um Opel. Die Frage öffentlicher Beteiligungen muss genauso im SPiel gehalten werden wie die einer demokratischen Wirtschaftssteuerung. Solidarität heißt im Fall Opel auch, über die Nützlichkeit von Produkten und neue Strategien von Mobilität zu diskutieren. Und auf eine massive Umverteilung von Arbeit zu dringen.

Wenn Bund und Länder jetzt über Staatshilfen für das GM-Unternehmen entscheiden, sind Jobgarantien und Beteiligungen als Gegenleistung das Mindeste. Aber sie sind keineswegs genug.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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