Es gibt keinen Schalter, den man einfach umlegen kann

Im Gespräch Kai Burmeister von der IG Metall über die Arbeit von morgen, grüne Produkte und die ­Konversionserfahrungen in der Rüstungsbranche

Der Freitag: Die SPD hat mit ihrem

Kai Burmeister: Ich finde es völlig richtig, dass die SPD sich über die Arbeit von morgen Gedanken macht. Gleichzeitig stimmt es natürlich, dass im Deutschlandplan sehr ambitionierte Ziele aufgestellt werden. Manche Idee scheinen aber wohl vor allem deshalb utopisch, weil sich die Öffentlichkeit an ein kurzfristiges ökonomisches Denken gewöhnt hat: schnelle Profite statt nachhaltiger Orientierung. Dieser Turbokapitalismus macht es politisch nicht einfacher, den Unternehmen soziale und ökologische Verantwortung abzutrotzen. Um den für 2020 gesteckten Zielen näher zu kommen, braucht es mehr Mitbestimmung für die Beschäftigten und eine Zähmung des Finanz- sektors. Der Staat muss einen Rahmen setzen, der über das engere Feld der Industriepolitik hinausreicht.

Zur Zeit hat man den Eindruck, die Politik zielt eher auf ein „Weiter so“. Unternehmen ­werden mit viel Geld gerettet, um Arbeitsplätze zu erhalten – statt in einen sozialen und ­öko­lo­gischen Umbau zu inves­tieren.

Wenn der Pleitegeier über der ­Firma kreist, muss reagiert werden. Es macht ja keinen Sinn, ­industrielle Strukturen erst vor die Hunde gehen zu lassen – und dann komplett von vorn anzufangen. Das geht gar nicht und wäre ­zudem sozial verheerend. Schließlich geht es um Hunderttausende Arbeitsplätze, die lassen sich nicht alle von heute auf morgen in ­grüne Jobs der Zukunft verwandeln. Es gibt da kein Schalter, der nur umgelegt werden müsste.

Aber die Probleme – Klimawandel, Strukturkrisen – sind nicht erst seit gestern bekannt.

Sie werden auch schon seit Jahren angepackt. Vielleicht nicht immer richtig, vielleicht nicht immer schnell genug. Aber die IG Metall diskutiert schon seit Jahrzehnten über Konversionsstrategien und macht sich für eine ökologische Wende in der Industriepolitik stark. Wir reden hier von ­gesell

schaftlichen Aufgaben, die nicht in einer Legislatur zu ­bewältigen sind, sondern deren Umsetzung sich über Dekaden zieht.

Und bei der viele Widerstände zu überwinden sind.

Natürlich. Es gibt Produkte, die die Umwelt schädigen, mit denen sich aber viel Geld verdienen lässt. Der Staat könnte mit Anreizen gegensteuern, was politisch aber nicht leicht durchsetzbar ist. Es gibt sinnvolle Produktideen, denen es noch an der Marktreife fehlt. Hier braucht es öffentliche Unterstützung, die aber Geld kostet. Die Erfahrung zeigt, dass Strukturwandel bei den Beschäftigten ernstzunehmende Ängste auslöst: Wie geht es für mich weiter? Außerdem ist nicht alles, was ökologisch ist, auch sozial. Man kann auf den neuen ökologischen Märkten eine Dumpingstrategie fahren, die Mitbestimmung blockieren, die Leute in den Stress treiben. Dann haben wir zwar ein gutes Produkt, aber noch längst nicht gute Arbeit.

Umgekehrt kann es keine gute Arbeit geben, wenn die Produkte schlecht sind – wie in der Rüstungsbranche. Die Gewerkschaften machen sich für Abrüstung stark. Auf der anderen Seite hängen Jobs an der Produktion von Panzern.

Stimmt, mit diesem Widerspruch leben wir. Die Arbeiterbewegung hat sich immer gegen Kriege eingesetzt. Andererseits haben die in der Rüstungsindustrie Beschäftigten das berechtigte Interesse, über einen Job ihr Leben zu finanzieren. Moralische Vorwürfe nach dem Motto „Wie kannst du nur in dieser Branche arbeiten?“ helfen nicht weiter. Wer Panzer produziert, ist nicht automatisch für die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Im Gegenteil: Gerade in diesem Sektor gibt es eine lange Tradition von Konversionsbemühungen.

Man denkt an die betrieblichen Arbeitskreise „Alternative Fertigung“ in den achtziger Jahren. Was ist daraus geworden?

Es gab erfolgreiche Projekte, wo der Übergang von der Rüstungsproduktion zu ziviler Verkehrstechnik, Meerestechnik oder den erneuerbaren Energien gelang. Vielfach wurden aber Erwartungen enttäuscht. Gute Ideen wurden nicht umgesetzt, weil es die Unternehmen nicht wollten oder es an staatlicher Unterstützung fehlte. Die „Friedensdividende“, die beim Umstieg von militärischer auf zivile Produktion herausspringt, wurde von der Politik nicht wirklich erkannt. Hinzu kamen technologische Schwierigkeiten, und bei mancher Innovation fehlte es am nötigen Marketing. Unter dem Strich gab es in der Rüstungsindustrie einen drastischen Stellenabbau. Von 400.000 Arbeitsplätzen im Jahr 1990, davon 280.000 in den alten Bundesländern, sind rund 80.000 übrig. Da kann ich es verstehen, wenn beim Wort „Konversion“ heute nicht immer gleich Jubel in den Betrieben ausbricht. Trotz der zwiespältigen Bilanz ist die Grundidee richtig, mit einem Mix aus ziviler und militärischer Produk­tion Arbeitsplätze zu sichern.

Rüstungsgüter werden von Staaten nachgefragt, der Bedarf verändert sich mit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Regierungen. Man könnte zynisch ­sagen: Die verstärkte Out-of-Area-Orientierung der Bundeswehr ­sichert Jobs, weil neue Fahrzeuge, Schiffe, Drohnen bestellt werden.

Deshalb wäre es ja auch so immens wichtig, dass beispielsweise viel breiter über die Auslandseinsätze diskutiert wird. Sind militärische Strategien der Konfliktbewältigung überhaupt sinnvoll? Wie groß ist der tatsächliche Verteidigungsbedarf? Man ändert nicht viel, indem man die eigene Rüstungsproduktion kurzerhand stilllegt – dann würden eben importiert. Konversion in der Rüstungsbranche ist zu allererst eine politische Frage und längst nicht mehr allein auf nationaler Ebene zu beantworten.


Das Gespräch führte ­ Tom Strohschneider

Kai Burmeister, Jahrgang 1976, ist Leiter des Arbeitskreises Wehrtechnik und Arbeitsplätze beim Vorstand der IG Metall. Der studierte Volkswirt ist SPD-Mitglied und Vorsitzender des Fördervereins der SPW, der Zeitschrift der Parteilinken

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