Fauler Deal, fehlender Druck: die Linke und die Hartz-Spitzenrunde

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Knapp ein Jahr nach dem Karlsruher Hartz-Urteil trifft sich am Montagabend in Berlin eine Spitzenrunde, um – wie es in den Nachrichten heißt – „Kompromissmöglichkeiten“ in der umstrittenen Reform auszuloten. Auf dem Tisch des Berliner Treffens liegen die Themen Regelsätze, Bildungspaket sowie Mindestlohn für die Zeitarbeit, an ihm werden Vertreter von Union, FDP, SPD und Grünen sitzen. Die Linke ist nicht eingeladen und deshalb auch ein bisschen empört: Man störe offenbar „zu sehr beim trauten Kungeln der Hartz-IV-Parteien“, kritisierte die Parlamentsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann. Und Klaus Ernst nannte das Spitzengespräch „eine Farce“.

Nun wäre eine Beteiligung der Linken auf der Ebene parlamentarischer Anerkennung zwar einerseits geboten (in einem anderen Zusammenhang hat die Partei dies bereits mit Hilfe der Karlsruher Drohkulisse durchgesetzt). Andererseits aber müsste die Linke ja sogar froh sein, nicht an einem „faulen Deal“ mitwirken zu müssen, der erstens weit von ihren eigenen Vorstellungen einer Hartz-Reform liegen wird, auf den sie zweitens nur geringen Einfluss hat und der drittens ein politischer Bumerang werden könnte.

Wenn es aber richtig ist, wie Enkelmann meint, dass „Dank des Drucks von links“ sich SPD und Grüne ein bisschen in allen drei zentralen Fragen – Regelsatz, Bildungspaket, Mindestlohn – bewegt haben, hätte man mit entsprechender Mobilisierung vielleicht noch mehr erreichen können. Davon war in den vergangenen Wochen aber nicht viel zu spüren – weder bei der Linken noch bei den in Frage kommenden Bündnispartner.

Wo sind eigentlich die Gewerkschaften gewesen in den vergangenen Monaten? Jetzt, wo es zu spät ist, kommt DGB-Chef Michael Sommer, erklärt, was er sich „im Interesse der Betroffenen“ wünscht, was „eine Einigung in unserem Sinne“ wäre – und beklagt dann, dass es zwar “Gespräche gibt, aber keinerlei Bewegung“. Genau die hätte es geben müssen, mitorganisiert von DGB und Co., auf der Straße, in den Betrieben. Schließlich ging es ursprünglich auf Seiten von SPD und Grünen ja auch mal um einen generellen gesetzlichen Mindestlohn. Was nützt es nun, da nur noch einer für die Zeitarbeit in Rede steht (und die Grünen einen für die Weiterbildungsbranche verlangen, weil da ihre Wähler tätig sind), „der Opposition zu entschiedener Härte“ zu raten?

In der Linkspartei ist diskutiert worden, ob man sich überhaupt auf diesen politischen Verhandlungsprozess habe einlassen dürfen, und ob es klug gewesen ist, einen eigenen Vorschlag in die Hartz-Gespräche einzubringen, der – als Kompromiss ins Spiel gebracht – von der eigenen Beschlusslage zunächst abwich. In einem Positionspapier hat die Fraktion für die „Unterarbeitsgruppe Regelsatz“ inzwischen nicht nur eigene Mindestvorschläge genannt, sondern auch gefordert, „zunächst vorläufige Regelsätze festzusetzen und parallel eine Expertenkommission“ auf den Weg zu bringen, um die Ermittlung des Einkommens von Millionen Menschen ein wenig aus der parteipolitisch begrenzten Mühle herauszuholen. Eine Debatte, in der das auch jenseits des Tellerrandes der Fraktion eine Rolle spielte, kam aber nicht in Gang.

Eine zentrale Frage, die mit der Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils von 2010 verbunden war, nämlich wie weit der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum nutzen will, welchen Rahmen der „Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“ eine Gesellschaft auch für die als „unerlässlich“ ansieht, die vom Erwerbsmarkt ausgeschlossen sind, ist in einem parteipolitischen Stellungskrieg geronnen, dessen Winkelzüge von einer Mehrheit der Bevölkerung weder verstanden wird, noch bei ihr auf besonders großes Interesse stößt. Die „Basarisierung“ einer politischen Entscheidung und ihre Verlagerung hinter die Kulissen des von haushaltspolitischen Interessen geprägten Föderalismus ist von der gesellschaftlichen Linken nicht durchbrochen worden.

In der gegenwärtigen Debatte, bisweilen inszeniert als Zweikampf zwischen Ursula von der Leyen und Manuela Schwesig, jedenfalls aber als einer zwischen rot-grüner Opposition und schwarz-gelber Regierung, tauchen jene, um die es geht, kaum mit eigenen Ansprüchen, Wünschen und Fragen auf. Was ein akzeptables Existenzminimum ist, wird von anderen diskutiert. Der Anspruch, der sich im Protest gegen Stuttgart 21 zeigte und bis weit in die Feuilletons bejubelt wurde, die Idee der politischen Selbstermächtigung, jenes urdemokratische „um uns selber müssen wir uns selber kümmern“, bleibt in der Realität unerfüllt.

Kritik an den „Hartz-IV-Parteien“ und ihren absehbaren Reformdeal ist nötig. Eine Regelsatzerhöhung um vielleicht zehn Euro (es wurden kurz vor dem Spitzengespräch weitere Sonderauswertungen vorgelegt, die in diese Richtung weisen), ein konditionierter Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche, ein paar Schulsozialarbeiter und ein Bildungspaket, in dessen Gutschein noch das Vorurteil sichtbar ist, Hartz-Eltern würden mit Staatskohle doch nur die falschen Dinge kaufen – all das ist viel zu wenig. Allerdings wird sich auch das Anti-Hartz-Lager, das weiter reicht als die Linkspartei, fragen müssen, warum es einmal mehr nicht gelungen ist, mehr Druck aufzubauen.

(auch erschienen auf lafontaines-linke.de)

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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