Der Presseandrang im Karl-Liebknecht-Haus war beachtlich – und sicher hätte Gesine Lötzsch keineswegs betonen müssen, dass man den geschäftsführenden Vorstand nicht bloß zusammengerufen habe, damit die Medienschar vor Ostern noch einmal in der Berliner Linken-Zentrale aufeinandertrifft. Es war ein versucht freundlicher Kontrapunkt zur Meldungslage. Und nach dem heftigen Streit der vergangenen Wochen durfte man von der Krisensitzung durchaus klärende Entscheidungen, eine Art Aufbruch erwarten.
Nach dem Auftritt der Linkenvorsitzenden und ihres Co-Chefs Klaus Ernst machte sich aber eher Enttäuschung breit. Dreieinhalb Stunden hatte der geschäftsführende Vorstand getagt. Und dass im Ergebnis weder ein Rücktritt noch ein Sonderparteitag verkündet wurde, war einigen dann wohl nicht genug an „Nachrichtenwert“. Zumal in den letzten Tagen der Ton in der Parteispitze eine Schärfe angenommen hatte, die selbst im konfliktfrohen Berlin Parteibetrieb eher unüblich ist. Wie von einem Schwungrad war die Diskussion bei der Linken nach den Wahlniederlagen im Südwesten beschleunigt und schließlich aus der normalen Bahn katapultiert worden: Empfehlungen, „die Klappe zu halten“, wurden mit Rücktrittsforderungen gekontert, gegenseitige Vorwürfe waren Vorstandsmitgliedern zum „vergifteten Klima“ geworden – und irgendwann stand das komplette Führungsgremium dann vor einem ziemlichen Scherbenhaufen.
Ist nun also alles gut? Die „Verständigung“ vom Mittwoch soll zwar mehr sein als einer jener Appelle an respektvollen Umgang und konstruktive Debattenkultur, die man auch in den vergangenen Wochen schon hören konnte. Wo entlang der Ausweg aus der Situation allerdings konkret verlaufen soll, bleibt erst einmal unklar. Dem „breiten Diskussionsbedarf über unsere programmatische und strategische Aufstellung“ soll nun Raum gegeben werden – aber das galt ja auch bisher schon. Die Linkenspitze will jetzt „gemeinsam und in einer fairen und konstruktiven Atmosphäre die nächsten Etappen für die Partei inhaltlich“ vorbereiten – was vor einem halben Jahr schon ihre Aufgabe war. Und dass dem geschäftsführenden Vorstand „im besonderen Maße eine Integrationsfunktion zukommt“, dürfte eigentlich auch keine neue Erkenntnis sein.
Pizza bei der Partnertherapie
Vielleicht war die Lage in den letzten Tagen auf eine zwischenmenschliche Weise eskaliert, die jene „mutigen Schritte“, die am Dienstag Fraktionsvorsitzende aus vier Ländern angemahnt hatten, zu einer noch nicht wieder bewältigbaren Herausforderung machten. Die Krisensitzung, bei der es immerhin Pizza gegeben haben soll, geriet daher nicht zuletzt zur Partnertherapie. Worauf zunächst Lötzsch und Ernst, dann auch der Vizevorsitzende Matthias Höhn und vor allem Schatzmeister Raju Sharma großen Wert legten: Erstmals seit dem Aufflammen der Personaldebatte sei man „unter die Oberfläche“ des Konfliktes gegangen, habe sich gegenseitig klargemacht, wie öffentliche Äußerungen wirken und welche Folgen das Gefühl der Verletzung auch im sich gern betonhart gebenden Geschäft der Politik haben kann.
Nun kann man durchaus der Meinung sein, für die Erkenntnis, dass Feuer weh tut, müsse nicht erst ein Haus angezündet werden. Aber die Neigung, das Löschwasser mit Benzin zu verwechseln, war in dem Gremium bereits seit Amtsantritt zu angelegt – länger noch: seit der nächtlichen Einigung auf ein Personaltableau, mit dem Anfang 2010 vielfältige Interessen, Ansichten, Traditionen und diverse Quotenerfordernisse ausbalanciert werden sollten. Dass die Führung einer Linkspartei, die Fusionsergebnis und Sammlungsbewegung ist, die aufgrund regionaler Disparitäten mit teils sehr verschiedenen Vorstellungen von Programmbreite und Strategie leben muss, nicht einfach werden würde, war abzusehen. Dass die Doppelspitze keine leichte Chance haben würde, dem Vergleich mit den Vorgängern Oskar Lafontaine und Lothar Bisky standzuhalten, ebenso. Und nachdem sich die gesellschaftliche Diskurslage seit dem vergangenen Herbst zu Ungunsten der Linken änderte, riss nicht nur die Kette der wahlpolitischen Erfolge ab, sondern wirkte – Stichwort: Kurs bestimmen! – zum Treibsatz für die Debatte zwischen den innerparteilichen Flügeln.
Keinen Milimeter
Bis Ende April will der Vorstand „eine Vorlage erarbeiten“. Es soll dann wieder mehr um Inhalte gehen. An denen mangelt es nicht einmal, die Programmdebatte der Partei hat das gezeigt. Weit mehr umstritten ist der Weg, auf den man sich machen will. „Die strategische Debatte in der Linken“, hieß es bereits im vergangenen Sommer in einem Papier aus der Bundestagsfraktion, werde vereinfacht gesagt vom Konflikt zwischen Regierungsbefürwortern und Oppositionsbefürworter „überlagert und zum Teil blockiert. Wollen wir diese Situation verändern, müssen wir die Interessen beider Lager in der Strategiefindung berücksichtigen. Notwendig ist eine strategische Perspektive, in der die jeweiligen zentralen Anliegen aufgehoben sind und zwar so, dass sie gemeinsam eine sinnvolle Perspektive ergeben.“
Sieht man das als den zentralen innerparteilichen Konflikt an, ist die Linke in den vergangenen Monaten, besser gesagt: in Zeit seit der Bundestagswahl 2009, keinen Milimeter weiter gekommen. „Flügel brauchen einen Körper“, sonst schlagen sie wild durcheinander, hat Klaus Ernst am Mittwoch gesagt. Doch ein politisches Zentrum fehlt der Linken auch nach diesem Krisentreffen. Die derzeitige Parteiführung ist für eine solche Rolle verbrannt – und dass außerhalb von ihr besonders viele Kandidaten bereitstehen, denen man die Aufgabe zutraut, lässt sich auch nicht gerade behaupten. „Der Personalkompromiss“, hat Sachsen-Anhalts Landeschef Höhn am Mittwoch vor den Kameras erklärt, „muss halten.“
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