Freundliches Desinteresse: Kein GelöbNix am 20. Juli in Berlin

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Am Dienstag werden 400 Rekruten vor dem Reichstag "feierlich vereidigt". Der Wehrbeauftragte des Bundestages hat kurz vor dem Gelöbnis auf dem Berliner Parlamentsrasen mehr Rückhalt für „unsere Truppe“ gefordert. Die Soldaten müssten „spüren, dass ihre Arbeit durch die deutsche Bevölkerung wertgeschätzt und anerkannt ist“. Worin die Tätigkeit von Soldaten besteht, sagt der FDP-Mann Hellmut Königshaus an dieser Stelle nicht. Es hätte vielleicht erklärt, warum die Begeisterung zurzeit nicht so ist, wie es man es sich unter der politischen Glaskuppel des Berliner Betriebs wünscht. Die Mutter eines toten Soldaten hat jetzt sogar den Verteidigungsminister angezeigt, in Umfragen sprechen sich seit langem Zwei Drittel gegen den Kriegseinsatz am Hindukusch aus.

Dass man die Demoskopie nicht mit der Wirklichkeit verwechseln darf, wissen all jene, die auf Demonstrationen gegen den Afghanistankrieg trotzdem unter sich blieben. Und für einen verbreiteten Antimilitarismus spricht es auch nicht. Selbst die linke Szene hat Schwierigkeiten mit der Mobilisierung. Nicht zuletzt deshalb wird es in diesem Jahr bei der umstrittenen Bundeswehr-Tradition wohl keine größeren Proteste geben. Schade, denn gerade aus Berlin sind die schönsten Bilder von Gelöbnis-Störungen noch in Erinnerung: Trillerpfeifen vor dem Schloss Charlottenburg, nackte Haut im Bendlerblock, falsche Scharping-Töchter und echte Wettrennen mit den Feldjägern.

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In den vergangenen Jahren schien der Protest-Höhepunkt allerdings bereits überschritten. Nun erklären das Büro für antimilitaristische Maßnahmen und die Deutsche Friedensgesellschaft: Man verzichte. „Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass Antimilitarismus kaum zur Massenmobilisierung taugt. Die 70-Prozent-Mehrheiten, die sich in Umfragen gegen den Afghanistan-Krieg aussprechen, zeigen sich nicht auf der Straße. Selbst innerhalb der linksradikalen Szene ist die Mobilisierung zu einer GelöbNIX-Demonstration kein Selbstläufer.“ Der Komisskopp-Aufmarsch sei zwar eine „Herausforderung für die antimilitaristische Szene“, heißt es. Und das mit enormen Sicherheitsvorkehrungen „geschützte“ Gelöbnis sage gerade wegen der alleinigen Verfügungsgewalt des Militärs über den symbolischen „Platz der Republik“ mehr „über den Zustand dieser Gesellschaft“ aus, als die offizielle Politik selbst zugeben wolle. Aber: Größere Kundgebungen „gegen den deutschen Militarismus sind nicht drin“.

Die Deutsche Friedensgesellschaft will daraus allerdings keine endgültigen Schlüsse ziehen. Erstens, weil es am Dienstag vor dem Reichstag ja doch noch zu – unangemeldeten – Protesten kommen könnte. Und zweitens, weil Gelöbnis-Proteste anderswo durchaus noch ein wenig Konjunktur haben: In Stuttgart stemmen sich derzeit immerhin gleich zwei Bündnisse gegen die Strategie der Normalisierung des Militärischen in der Öffentlichkeit und rufen zu Aktionen gegen ein für den 30. Juli geplanten Gelöbnis auf. Die Mobilisierung sei zwar auch hier „schwierig“, heißt es bei den Organisatoren. Da sich aber auch Gewerkschaften, Grüne Jugend und Jusos beteiligen wollen, erhofft man sich „wenigstens eine breitere Wirkung unseres Aufrufs als in früheren Fällen“.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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