Gabriels Versprecher

NRW-Wahl Rot-Grün wirbt für einen Politikwechsel, doch ohne die Linkspartei liegt eine Regierungsmehrheit in Düsseldorf fern. Insgeheim scheint das der SPD-Chef zu wissen

Es war viel von Köchen und Kellnern die Rede in den vergangenen Tagen. Mit einer wahren Interview-Offensive (etwa hier und hier und hier) haben Sozialdemokraten und Grüne versucht, eine Neuauflage von Rot-Grün anzupreisen und vom Makel der Vergangenheit zu befreien. Die SPD treibt dabei die Sorge um, die Wähler könnten sich an die gleichfarbige Agenda erinnern. Und die Ökopartei muss fürchten, ihre Anhänger könnten gegenwärtigen, wie schlecht man sich zu rot-grünen Zeiten behandelt fühlte – im Bund ebenso wie in Nordrhein-Westfalen. Heute ist natürlich alles völlig anders: Renate Künast meint, die Zeiten, zu denen man die Grünen „zum Kellner machen wollte, die sind vorbei“. Und Sigmar Gabriel verspricht, die Frage würde sich nicht stellen: „Wir wollen ja kein Restaurant aufmachen.“

In der Tat: Es geht um mehr. Nichts Geringeres als einen Politikwechsel haben SPD und Grüne angekündigt, eine politische Wende, die im Düsseldorfer Landtag die Voraussetzungen dafür schaffen soll, das Ruder auch auf Bundesebene herumzureißen. Man trete an, so hat es Claudia Roth formuliert, „schwarz-gelbes Durchregieren zu verhindern“. Das gemeinsame Ziel liegt zunächst einmal darin, Projekte der amtierenden Bundesregierung – Kopfpauschale, Steuersenkungen, längere Atom-Laufzeiten – zu blockieren. Ein gewisser Vorrat an gemeinsamen Forderungen (hier und hier) ist auch vorhanden, angefangen in der Bildungspolitik bis hin zum flächendeckenden Mindestlohn.

Behauptungen wie „nur SPD und Grüne geben die richtigen Antworten“ sind vor dem Hintergrund des Wahlkampfs zwar verständlich. Aber sie sind deshalb noch lange nicht richtig. SPD-Chef Gabriel sagt, es gehe beim rot-grünen Retro nicht um die Wiederkehr eines Generationenprojektes, „sondern ohne Pathos um konkrete Politik“. Wenn es wirklich vorderhand um konkrete Politik ginge, müssten SPD und Grüne jedoch auch ein entsprechendes Verhältnis zur Linken pflegen. Und nicht, wie es zurzeit geschieht, viel Mühe darauf verwenden, die „fünfte Partei“ öffentlich als politik-, regierungs- beziehungsweise koalitionsunfähig auszumalen.

Eine stabile Regierung

Wegen inhaltlicher Differenzen? Das glaubt kein Mensch. Wenn die Wahlprogramme von SPD, Grünen und Linken (hier) in Nordrhein-Westfalen keine Vorlage für Sondierungen sind, dann bräuchte man in Zukunft auch gar keine mehr zu verabschieden. Gabriels Hinweis, die Linke würde alles verstaatlichen, was größer ist als eine Currywurstbude, ist der letzte und eher peinliche Versuch, die Abgrenzung noch mit einem inhaltlichen „Argument“ zu untermauern. Weil man fürchten muss, dass so etwas in Zeiten großkoalitionärer Rettungsverstaatlichung nicht zieht, wird die Begründung für das Nein zu Rot-Rot-Grün inzwischen woanders gesucht: Es gehe nicht nur um Inhalte, sondern um Politikfähigkeit, sagt die SPD und Renate Künast sorgt sich um „eine stabile Regierung“.

Ist das schon ein ausreichender Zweck? Und was heißt das eigentlich: ein „Land verlässlich regieren“, wie die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft gerade erst angemahnt hat? Müssten sich nicht zuallererst die Wähler „auf etwas verlassen“ können, zum Beispiel darauf, dass nicht wie 1998 schon einmal ein groß angekündigter Politikwechsels dann doch ausbleibt? Und ist – den Gedanken einmal ohne Rücksicht auf die Frage weitergedacht, ob ein Regierungseintritt auch der Linken gut tun würde – die Partei von Oskar Lafontaine die größte Gefahr für "Verlässlichkeit"?

Mal abwarten, was das rot-grüne Retro vor der Wahl in NRW überhaupt bringt. Bisher haben SPD und Grüne keine Mehrheit – und wenn die Linkspartei in den Landtag einzieht, wird das auch so bleiben. Vielleicht erklärt sich so auch der Freudsche Versprecher von Sigmar Gabriel am Montag beim gemeinsamen Wahlkampf mit den Spitzen der Ökopartei. „Die Wahl ist entschieden, wenn die Wahlbeteiligung hoch ist“, warb der SPD-Vorsitzende versehentlich um eine Koalition, die der Auftritt eigentlich verhindern sollte, „dann hat Rot-Rot-Grün eine eigene Mehrheit.“ In Umfragen hätte sie die schon jetzt.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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