Geistige Orientierung: Vor dem Bundeswehrgelöbnis am 20. Juli

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Während die Parteien über die Zukunft der Wehrpflicht streiten, bereitet die Bundeswehr ihr zentrales „Gelöbnis“ vor, das in diesem Jahr wieder vor dem Reichstag stattfinden wird. Der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping klopft sich immer noch dafür auf die Ehrenschulterstücken: Er hoffe, er habe „mit der Einführung des Gelöbnisses am 20. Juli“ die Bundeswehr „auf der Seite der geistigen Orientierung zukunftsfähig aufgestellt“. Das sehen die Kritiker des Militärspektakels anders. Abermals soll es Proteste gegen die Propagandaveranstaltung geben. Die wird etwa 625.000 Euro kosten, hat eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ergeben. Über Sinn und Geschichte des Gelöbnisses will das Verteidigungsministerium nicht einmal mehr diskutieren. Anders als in früheren Jahren.

Ihrer Bitte um Information hatte die Linke eine „Vorbemerkung der Fragesteller“ vorangestellt, in der üblicherweise so etwas wie die politische Begründung einer parlamentarischen Erkundigung zu lesen ist. Für die Partei etwa ist „sowohl die Wahl eines öffentlichen Ortes als auch des Datums problematisch. Militäraufmärsche in der Öffentlichkeit erinnern an propagandistische Mittel der Vergangenheit“, heißt es da. Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags habe die Meinung vertreten, “dass das Truppenzeremoniell öffentlicher Gelöbnisse ‚insbesondere von der Wehrmacht‘ übernommen worden sei“. Und weiter: „Zudem lassen sich die Motive der Offiziersopposition,die sich im Anschlag auf Hitler vom 20. Juli 1944 niedergeschlagen haben, nicht als ‚Aufstand des Gewissens‘ zusammenfassen. Die meisten der beteiligten Offiziere hatten sich zuvor an Kriegsverbrechen beteiligt, die Ermordung der jüdischen Bevölkerung unterstützt, den Kommissarbefehl umgesetzt, die Verschleppung und Versklavung der Zivilbevölkerung vor allem in Osteuropa befürwortet und mit betrieben.“

Das Verteidigungsministerium reagierte schroff: „Die pauschalen Verunglimpfungen und Unterstellungen in den Vorbemerkungen werden nachdrücklich zurückgewiesen. Sie entbehren jeder Grundlage. Auf eine Kommentierung wird daher verzichtet.“ Das war nicht immer so. 2006 hatte die Linkspartei schon einmal eine Anfrage zum Thema Gelöbnis und „Tradition der Bundeswehr“ an die Regierung gerichtet – und seinerzeit machte sich das Verteidigungsministerium (unter Führung von Franz Josef Jung) noch die Mühe, die eigene Sichtweise darzustellen. Die Antworten werden den Fragestellern nicht gefallen haben, aber es war immerhin noch so etwas wie eine Auseinandersetzung in der Sache. Auch 2007 begründete die Große Koalition in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Linken zu „Militäraufmärschen in der Öffentlichkeit“ wenigstens noch ihre Position. Zur Gelöbnisformel machte die Regierung seinerzeit unter anderem geltend: „Der Soldat ist nicht länger auf Staatsoberhaupt, Volk oder Heimat verpflichtet, sondern auf die zentralen Grundwerte der demokratischen Verfassung (Recht und Freiheit). Die Dokumentation dieser Verpflichtung gegenüber den Bürgern im öffentlichen Raum entspricht unserer Vorstellung von der Einbindung von Streitkräften in die verfassungsmäßige Ordnung“.

Der Wunsch nach „Einbindung“ und „Dokumentation“ ist derart stark, dass die Zahl öffentlicher Gelöbnisse zuletzt zugenommen hat. Wie das Neue Deutschland berichtet, waren es 2007 noch 134 – im vergangenen Jahr dagegen bereits 180 Gelöbnisse „außerhalb militärischer Liegenschaften“. Für 2006 hatte die Bundesregierung auf eine Anfrage hin 141 Gelöbnisse angegeben.

Apropos Tradition: Was derartige Veranstaltungen zur Pflege der „geistigen Orientierung“ der Bundeswehr und der Öffentlichkeit angeht, besteht Ex-Minister Rudolf Scharping auf Urheberschaft: Das Gelöbnis am 20. Juli habe er „gemeinsam mit der rot-grünen Koalition“ eingeführt.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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