Gescheiterte Boygroup

FDP Christian Lindner muss den Kopf für seinen Chef hinhalten, den das nicht retten wird. Mehr noch: Der Rücktritt legt die tiefe Existenzkrise einer Partei im freien Fall offen

„Politische Führung sollte Ängste ernst nehmen“, hat Christian Lindner einmal gesagt. „Sonst verliert sie irgendwann ihren Führungsanspruch.“ Das war im Frühjahr, in Fukushima war gerade ein Atomkraftwerk explodiert, und bei den Liberalen gab es ein großes Stühlerücken. Inzwischen hat die neue Parteispitze, welche die FDP aus der Westerwelle-Krise führen sollte, selbst den Anspruch auf die Führung verloren. Und auch diesmal geht es darum, dass Ängste nicht ernst genommen wurden.

Der Mitgliederentscheid über den Euro-Rettungsschirm ESM war ein Ausdruck dieser Befürchtungen. Hinter dem Vorhang des euroskeptischem Populismus’ ging es dabei auch um Fragen, die über das Thema Finanzkrise hinausreichen – um die Existenzbegründung einer Partei, die jenseits neoliberaler Stumpfheiten kein programmatisches Angebot mehr hat. Der „Rebell“ Frank Schäffler offerierte zwar ein schlechtes, aber er hatte immerhin eines. Dass Lindner, Philipp Rösler und Daniel Bahr, die als Trio der Erneuerung angetreten waren, selbst keinen eigenen konzeptionellen Befreiungsschlag formulierten und sich zugleich arrogant über das basisdemokratische Wollen hinwegsetzten, es sogar torpedierten, offenbart die tiefe Krise der FDP: Die Boygroup ist inhaltlich und als Führungsmannschaft gescheitert.

Nach Lindner, der zwar aus eigenem Antrieb handelte, vielleicht sogar im Konflikt mit Rösler, der de facto aber für den verantwortlichen Parteichef den Kopf hinhielt, wird auch Rösler weichen müssen. Wann das geschieht und welche gelb-blauen Dominosteine als nächste fallen, ob die Partei mit Rainer Brüderle eine Zukunft in der Vergangenheit sucht und wie Angela Merkel auf die neuerlichen Turbulenzen einer Partei reagiert, von der ihre Kanzlerschaft vorläufig noch abhängig ist – all das ist mehr eine Frage der Zeit, nicht mehr eine des Ergebnisses. SPD und Piraten haben sich als Verwalter des liberalen Nachlasses bereits anempfohlen.

„Es gibt den Moment, in dem man seinen Platz freimachen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen“, hat Lindner seinen Rücktritt begründet. Es ist ein Ausstieg bei voller Geschwindigkeit. Die Bewegungsrichtung der FDP wird er damit nicht aufhalten können – die Liberalen bleiben im freien Fall.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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