Grüne weiter mit Ausschließeritis

Wahlparteitag Die Grünen haben ihr Wahlprogramm etwas nach links gerückt. Aber das ist nichts wert, wenn die einzige Möglichkeit, die Ziele durchzusetzen, von überall blockiert wird

Anfang Mai lagen die Grünen in den Umfragen der Meinungsforscher von Emnid bei neun Prozent. Man darf davon ausgehen, dass das am Wochenende in Berlin beschlossene Wahlprogramm der Partei der Verbesserung dieses Wertes dienen soll. Eine Hoffnung, die Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner für unberechtigt hält: „Parteiprogramme bekommt eh keiner mit“, Papiere dieser Art seien deshalb „ziemlich egal“.

Das wäre leider auch bei größerem Interesse der Fall. Zwar ist im Wahlprogramm der Grünen gleich zu Beginn vom „Optimismus des Handelns und der Veränderung“ die Rede, davon, dass man „Blockaden wegräumen“ müsse. Aber was nützt die Reformrhetorik, wenn ausgerechnet jene machtpolitische Option verschwiegen wird, die mit den programmatischen Zielen in Einklang steht?

In Berlin haben die grünen Delegierten ein ohnehin schon recht soziales Programm noch ein wenig nach links gerückt. Die Mindestlohn-Forderung wurde mit knapper Mehrheit zugespitzt und im Gesundheitswesen sollen nun sämtliche Medikamentenzuzahlungen und die Praxisgebühr wieder abgeschafft werden. Aber mit wem? Mit den Liberalen etwa, oder in einer rot-grünen Minderheitsregierung?

Garantierente, Erhöhung von Hartz IV auf 420 Euro, Vermögensabgabe, Anhebung des Spitzensteuersatzes, Finanzumsatzsteuer, Abschaffung der Studiengebühren - die wichtigsten Forderungen der Grünen ließen sich nur in einer Koalition mit SPD und Linkspartei durchsetzen. Eine Diskussion über diese Option wollte die Parteispitze nicht einmal zulassen und setzte mit gehörigem Druck durch, dass der prominenteste Antrag in diese Richtung kurzfristig zurückgezogen wurde. Jetzt können sich Künast und Co. darüber freuen, die rot-grün-rote Koalitionsdebatte eingedämmt zu haben.

Aber warum eigentlich? Gefordert wurde in dem Antrag nur Selbstverständliches: Die Grünen sollten sich trotz der geringen Aussichten auf eine Mitte-Links-Mehrheit dieser trotzdem „nicht verweigern“. SPD und Linkspartei hätte man aufgefordert, „die parlamentarische Mehrheit für Mindestlöhne, Bürgerversicherung und Börsenumsatzsteuer nicht weiter zu blockieren“. Einer der Unterzeichner, der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick, hatte zu Beginn der Woche außerdem ein Positionspapier vorgelegt, in dem für eine „ökologisch-soziale Koalition“ geworben wird. Nicht als Ruf aus dem Wolkenkuckucksheim, sondern aus einer eher kritischen und pessimistischen Einschätzung der Krise und ihrem Niederschlag in der Politik heraus. Man müsse es eben trotzdem versuchen, so Schick.

Doch die einzig realistische Option ist ausgerechnet die mit den geringsten Realisierungschancen. Daran sind nicht allein die Grünen schuld und auch nicht nur die SPD, die mit einer Öffnung gegenüber Lafontaines Linken ihrem ebenfalls sozial blinkenden Wahlprogramm mehr Glaubwürdigkeit verschaffen könnte. Die Linkspartei selbst muss sich fragen, was sie sich von den ständigen Erklärungen erhofft, nach denen „SPD und Grüne für uns nicht koalitionsfähig“ seien.

Ob nun „Ausschließeritis“, diese politische Krankheit der Saison, oder Ignoranz gegenüber den realen politischen Mehrheitsverhältnissen - gegen beides scheint bis zum Herbst kein Kraut mehr zu wachsen. Die FDP will die Ampel nicht, die Grünen wollen nicht nach Jamaika. Da sich auch niemand offen für Mitte-Links ausspricht, bliebe nur noch die Fortsetzung der großen Koalition. Ausgerechnet in der schwersten Krise seit Jahrzehnten wird es eine Wahl geben, bei der es in Wahrheit nichts zu wählen gibt.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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