Gute Stimmung? Nicht im Jobcenter

Konjunktur Optimistische Firmen, Konsumenten in Kauflaune: Bevor die Rezession richtig begonnen hat, soll sie schon vorbei sein? I wo: Die Leute sind klüger als die Schlagzeilen

Die Produktion optimistischer Daten schreitet planmäßig voran: Der Ifo-Geschäftsklimaindex legt abermals und unerwartet deutlich zu. Experten korrigieren ihre Wachstumsprognosen nach oben. Und die Konsumenten geben ihren Konjunkturpessimismus mehr und mehr auf, teilt das für die Kauflaune der Deutschen zuständige Institut mit. Ist die Krise schon vorbei, bevor sie richtig begonnen hat?

Von wegen. Wer bei den Expertenberichten nicht schon nach dem ersten Absatz mit dem Lesen aufhört, gewinnt einen ungefähren Eindruck: Geringe Inflation und niedrige Preise „überlagern im Moment offenbar mögliche Ängste um den Arbeitsplatz“. Die wird alsbald wieder deutlich auf Konsumfreude und Nachfrage drücken. Die Planungen der Unternehmen, berichtet das Ifo-Institut, bleiben „klar auf Beschäftigungsreduzierung ausgerichtet“. Die Katze kommt bald aus dem Sack.

In dieser Woche berichtete die Financial Times Deutschland, ein Jobabbau in größerem Stil werde derzeit noch durch „eine Art Stillhalteabkommen zwischen Industrie und Regierung verhindert“. Nach der Wahl „wird sich die Botschaft ändern. Das ist ganz normal“, wird MAN-Boss Hakan Samuelsson zitiert. Dann wird dreierlei zusammentreffen: Das Ende der „Zurückhaltung“ der Unternehmen; der Wegfall der im Wahlkampf gespannten „Schutzschirme für Arbeitsplätze“ und das ohnehin zeitversetzte Reagieren des Jobmarktes.

Absehbar ist, dass Maßnahmen, die bisher noch die Konjunktur stützten, nicht auf ewig verlängert werden. Dafür fehlt nach fatalen Entscheidungen wie der zur Schuldenbremse das Geld. Und nach der Wahl wohl auch der Wille. Mit entsprechenden Folgen für Arbeitsmarkt, Nachfrage und auch die jetzt viel beschworene „Stimmung“. Ifo-Orakel Klaus Abberger, der Mann, der die Firmenstimmung berechnet, fragt sich nicht ohne Grund, „ob das Ganze nachhaltig ist und die Wirtschaft alleine gehen kann oder ob es danach zu einem Rückschlag kommt“.

Zum Beispiel die Abwrackprämie, die nach IG-Metall-Angaben rund 200.000 Jobs gerettet hat. Mal vom ökologischen und verkehrspolitischen Irrsinn dieser Stützungsmaßnahme abgesehen – für den Konsum war der Bonus mitentscheidend. Durch die Prämie wurden im ersten Halbjahr rund 36 Milliarden Euro für den Autokauf ausgegeben, 23 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, wie das Statistische Bundesamt berichtet. Die strukturellen Probleme in einer enorm wichtigen Branche wurden so allenfalls verschoben – auf nächstes Jahr.

Ähnliches steht bei der Kurzarbeit bevor, die bisher noch wie eine Sicherungsleine wirkte. Gesamtmetallchef Martin Kannegiesser wird nicht müde zu betonen, die Firmen könnten ihre „Arbeitskräfte nicht horten“. Die Wortwahl verrät viel über sein Menschenbild. Wenn der Absatz über längere Zeit sinke, „dann hilft auch Kurzarbeit nicht mehr. Diese Entscheidung steht in vielen Unternehmen noch aus.“ Mag sein, dass die „Stimmung in der Wirtschaft“ auch deshalb besser wird, weil man sich nach der Wahl keine Zurückhaltung mehr auferlegen muss. Schließlich kostete die Kurzarbeit die Unternehmen rund fünf Milliarden Euro, die man dann ebenso einsparen kann wie die Arbeitskräfte.

Die Leute scheinen das besser zu wissen als mancher Leitartikler. Nur ein Viertel der Deutschen glaubt, dass das Schlimmste der Krise schon vorbei ist. Zwei Drittel erwarten, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland binnen Jahresfrist steigen werden, 45 Prozent rechnen mit einem gravierenden Anstieg. Man kann zwar nicht behaupten, dass dies zu gesteigertem Interesse an gesellschaftlichen Alternativen geschweige denn zu höherer Protestbereitschaft geführt hat. Durchhalteparolen, wie sie dieser Tage in den Zeitungen zu lesen sind, verfangen bei den Menschen aber offenbar auch kaum noch.

Wer den Ifo-Index, also die aufs profitable Geschäft orientierten Erwartungen auf den Managementfluren, trotzdem noch für „das wichtigste Stimmungsbarometer in Deutschland“ hält und weiterhin glaubt, es sei jetzt „nicht der Moment für Trübsal“ – dem sei in den kommenden Wochen ein Besuch im Jobcenter empfohlen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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