Gysi, Berlin und die Mäuse: Kurzer Lehrgang linker Wahlwerbespots

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Mit Musik unterlegte Bilder der Stadt, dann ein junger Gregor Gysi, der aus dem Umriss von Berlin auftaucht und sogleich von einer „Lehre aus der SED-Herrschaft“ spricht: dass nämlich „ein Land ohne Opposition verkommt“. So beginnt 1990 der erste Wahlwerbespot der Berliner PDS. Der eigentliche Spitzenkandidat der Offenen Liste, Peter Zotel, hatte einen kleinen Gastauftritt am Schluss – und erinnerte dabei ein wenig an die früheren Reporter der Aktuellen Kamera. Seither hat sich viel verändert, nur Gysi ist fast immer mit dabei. Eine kleine Spotgeschichte der Berliner Linken:

Abgeordnetenhauswahlen vom 2. Dezember 1990

Berlin ist in dem ersten PDS-Spot vor allem Ostberlin, es sind Bilder einer gerade erst begonnenen Transformation und in allem liegt die Ahnung, dass es noch Jahre große Unterschiede geben wird: das Kranzler als Gegenstück zum verfallenen Konsum. Die PDS schreibt sich Alternativpolitik, Gleichstellung von Ost und West sowie Bürgerdemokratie auf die Fahnen - und das mit einigem Erfolg, vor allem wenn man die Zeitumstände berücksichtigt. Die ersten Gesamtberliner Wahlen seit 1946 fanden parallel zur Bundestagswahl statt. Seit 1989 hatte im Westteil ein rot-grüner Senat regiert, die Alternative Liste war jedoch im November 1990 wegen der Räumung besetzter Häuser aus der Koalition ausgestiegen. Im Osten amtierte seit Mai 1990 eine Große Koalition unter dem SPD-Politiker Tino Schwierzina. Die „Doppelregierung“ wurde nach der Wahl von einer Großen Koalition unter Eberhard Diepgen abgelöst. Die CDU hatte sich auf 40,4 Prozent verbessert, die SPD war um fast sieben Zähler auf 30,4 Prozent abgestürzt. Die Grünen traten getrennt in Ost- (Bündnis90/UFV) und West-Berlin (AL) an - beide rückten ins Abgeordnetenhaus ein, wo sie eine gemeinsame Fraktion bildeten. Die PDS erreichte 9,2 Prozent der Stimmen.







Abgeordnetenhauswahlen vom 22. Oktober 1995

Seit 1990 hatte eine Große Koalition in der Hauptstadt regiert, in der linken Opposition mühten sich Renate Künast und Gesine Lötzsch als Fraktionsvorsitzende am Berliner Filz ab. Im Werbespot der PDS zu den Wahlen von 1995 steht wieder Gregor Gysi vor der Kamera und redet über die sprichwörtlichen Mäuse. Trotz der wachsenden Unzufriedenheit sollte es aber bei der Landesregierung bleiben - mangels alternativer Mehrheitsoptionen nach der Wahl. Die CDU mit Spitzenkandidat Eberhard Diepgen verlor gegenüber den vorherigen Wahlen drei Punkte, blieb mit 37,4 Prozent jedoch stärkste Partei. Die SPD büßte mit der Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer fast sieben Punkte ein und kam auf 23,6 Prozent, wobei nicht zuletzt die bundespolitischen Querelen um SPD-Chef Rudolf Scharping eine Rolle gespielt haben dürften. Die FDP schaffte nicht erneut den Sprung über die Fünfprozent-Hürde, die Grünen verbesserten sich auf 13,2 Prozent. Drittstärkste Kraft wurde jedoch die PDS, die gegenüber 1990 ein knappes Drittel hinzugewann und mit 14,6 Prozent 34 Mandate eroberte.







Abgeordnetenhauswahlen vom 10. Oktober 1999

Auch nach den Wahlen von 1999 blieb es bei einer Großen Koalition - vor allem die SPD unter Spitzenkandidat Walter Momper hatte die Erwartungen enttäuscht. Nicht zuletzt schlug die bundespolitische Negativstimmung durch: vom angekündigten rot-grünen Politikwechsel war im Herbst danach wenig zu spüren, Oskar Lafontaine war bereits zurückgetreten, der Jugoslawienkrieg hatte begonnen. Die CDU unter Eberhard Diepgen konnte sich auf 40,8 Prozent verbessern, die SPD verlor erneut und kam auf 22,4 Prozent. Damit lagen die Sozialdemokraten nur noch fünf Punkte vor der PDS, die sich auf 17,7 Prozent verbessern konnte. Die Grünen rutschten wieder unter zehn Prozent, die FDP blieb außerparlamentarische Opposition. Was die PDS dabei geritten hat, einen beinahe ins Esorterische, jedenfalls aber irgendwie Naturmystische neigenden Unterwasserfilm zu zeigen, wäre im Rückblick ebenso interessant zu erfahren wie die parteiinterne Danach-Analyse: Sollten es etwa durchs blaue Nass schwimmende Menschen gewesen sein, die den Ost-Sozialisten ein neuerliches Ergebnisplus bescherten? War die Nacktheit eine Reminiszenz an die FKK-Kultur ind er DDR? Sollte man beim Zuschauen etwa denken, mit der PDS werde es einen Sprung ins kalte Wasser geben? Und wo war 1999 Gregor Gysi?







Abgeordnetenhauswahlen vom 21. Oktober 2001

2001 war er dann wieder da: als Protagonist eines Spots, in dem die Geschichte eines politischen Albtraums erzählt wird, der PDS-Star aus dem Fenster klettert, mit einem Trabbi durch die Stadt fährt und am Ende von einer jungen Dame in Pink und Rot erlöst wird. Die fünfte vorgezogene Wahl in Berlin seit 1945 war notwendig geworden, nachdem die Große Koalition wegen der Bankenaffäre zerbrochen war. Im Juni 2001 waren auf Antrag der SPD und der Grünen mit Hilfe der Stimmen der PDS die CDU-Senatoren abgewählt worden. Klaus Wowereit wurde Regierender Bürgermeister einer rot-grünen Minderheitsregierung unter PDS-Tolerierung, die im Herbst Neuwahlen herbeiführte. Nicht zuletzt Dank der schlechten Performance des CDU-Spitzenkandidaten Frank Steffel wurden die Sozialdemokraten mit 29,7 Prozent stärkste Partei, die CDU stürzte um 17 Prozent ab und landete nur knapp vor der PDS, die mit dem Spitzenkandidaten Gregor Gysi auf 22,6 Prozent kam. Die Liberalen schafften die Rückkehr ins Abgeordnetenhaus, die Grünen blieben stabil. Wowereit bildete schließlich einen rot-roten Senat, Gysi übernahm die Führung des Wirtschaftsressorts, trat aber bereits nach einem halben Jahr wegen der so genannten Bonusmeilen-Affäre zurück. Aus dem Albtraum, mit CDU-Stimmen Regierender Bürgermeister zu werden, war eine eher kurz währende Wachphase als Wirtschaftssenator geworden. Was immer man vom Rückzug Gysis hält, dessen Gründe damals ein wenig vorgeschoben erschienen, so war die Übernahme des Amtes zuvor doch sicher ein wesentlicher Aspekt bei der Bildung der rot-roten Koalition, die in der PDS stets umstritten war und doch fast zehn Jahre halten sollte.







Abgeordnetenhauswahlen vom 17. September 2006

Fünf Jahre nach dem Start stellte sich der rot-rote Senat zur Wiederwahl, die trotz deutlicher Verluste der PDS gelang. Spitzenkandidat der PDS war Harald Wolf, der Gysi als Wirtschaftssenator beerbt hatte. Dass der Fraktionschef im Bundestag nicht als Hauptfigur im Wahlkampfspot auftreten konnte, war verständlich. Was man von der Idee des Filmchens selbst nicht gerade sagen konnte: Eine Anspielung auf die Sprache der Werber und Gestalter, ein kostümierter Bär und die Ansage: Berlin solle "richtigrot" wählen. Angesichts der politischen Schwierigkeiten der ersten Legislatur in der Berliner Landesregierung, der Fehler und politischen Kröten, die von der PDS geschluckt worden waren, ließ sich nun allerdings auch kaum auf die inhaltliche Bilanz setzen - und da man nicht mehr Opposition war, musste die "Was sich ändern muss"-Rhetorik auch im Schrank bleiben. Im Prinzip machte der Spot die PDS zu einer Art Selbstzweckangebot, man sollte die Partei wählen, weil sie eben diese Partei war. Punkt. Die Sache ging ziemlich in die Hose: Während sich die Sozialdemokraten noch einmal verbesserten, sackten die Sozialisten um 9,2 Punkte auf 13,4 Prozent ab. Welchen Stellenwert der Rücktritt Gysis dabei spielte, oder die Tatsache, nun nicht abermals mit ihm als Zugpferd anzutreten, ließ sich schwer sagen. Dass es generell mit dem Enttäuschungsphänomen bei linken Regierungsbeteiligungen zu tun hatte, war unübersehbar. Und auch die Regel, dass kleinere Koalitionspartner bei Wahlen die Verlierer sind, hatte sich bestätigt.







Eher Ausdruck der konfliktreichen Lage denn als belastbare Ursache für die Wahlniederlage der Linkspartei, war die konkurrierende Kandidatur der Wahlalternative. Der Antritt in Berlin sorgte seinerzeit für viele Diskussionen und eine Aufmerksamkeit, die der Linkspartei nicht gefallen konnte. Aber das war kein rein Berliner Phänomen, der "Zug der Fusion" (Dietmar Bartsch) war gerade ins Rollen gekommen, in der WASG gab es nicht nur Begeisterung über ein Zusammengehen mit der PDS, und auch bei den Frühjahrswahlen 2006 in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz spielte das eine in Form medial hochgeschriebener Querelen eine Rolle. In Berlin freilich kam alles zusammen: die kulturellen Unterschiede, die politischen Differenzen, die umstrittene Regierungsfrage angesichts der Bilanz von Rot-Rot und eben auch eine vergleichsweise gut organisierte Opposition in der Wahlalternative, welche nicht nur meckern, sondern der Bundes-WASG auch die Stirn bieten konnte. Ob der Wahlantritt deshal auch politisch sinnvoll war, ist eine Frage. Wäre er ausgeblieben, hätte die Linkspartei aber kaum besser abgeschnitten: Mit Lucy Redler an der Spitze kam die WASG-Berlin nur auf 2,9 Prozent, hinterließ aber trotzdem einen bleibenden Eindruck in den Annalen des Hauptstadt-Wahlkampfs. "Die kapitalistische Proiftgier macht aus Berlin die Hauptstadt der Arbeitslosen", mit diesen Worten ging es damals im Video-Podcast der Spitzenkandidatin los.







Abgeordnetenhauswahlen vom 18. September 2011

20 Jahre nach Gysis erstem Auftritt in einem Wahlwerbespot zur Berlinwahl sieht nicht nur der Fraktionsvorsitzende ein wenig anders aus. Die Ästhetik der kleinen Filmchen hat sich geändert, Videos als Mittel zur politischen Kommunikation gibt es im Internet zuhauf, dort finden auch die eigentlichen Bewegtbild-Kampagnen statt – der TV-Werbespot hat virale Konkurrenz bekommen. Es gibt heute sogar einen Spot, in dem Gysi sich den offiziellen Spot anschaut, Wahlwerbung mit Wahlwerbung sozusagen. In dem Streifen, der da geguckt wird, spielt die Linke - "auf jeden Fall ist sie speziell" - ein bisschen mit ihrem nicht nur guten Image, auch mit der von ihr als unberechtigt angesehen Kritik, für Dinge verantwortlich gemacht zu werden, für die sie gar nichts kann. Dann wird die Haben-Seite der rot-roten Bilanz aufgeführt. Und am Ende läuft Harald Wolf durch Berlin, der als Wirtschaftssenator für die Erfolge „ziemlich verantwortlich“ sei. Und, wie findste, wird Gysi dann gefragt? „Finde ich gut.“







auch erschienen auf lafontaines-linke.de

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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