Harakiri in Schwarz-Rot

SPD Christoph Matschie hat nichts begriffen. Wenn die Thüringer Sozialdemokraten überleben wollen, müssen sie die CDU-Pläne ihres Landesvorstands stoppen

Als Christoph Matschie sich Anfang der Woche von der abstrusen Forderung verabschiedete, er müsse Ministerpräsident in einer rot-rot-grünen Regierung werden, deuteten viele den Schritt des SPD-Landeschefs als Vorbote einer Einigung im Koalitionspoker mit der Linken. Immerhin sah es so aus, als ob bei dem 48-Jährigen nach wochenlanger Hybris doch noch die Vernunft gesiegt habe. Eine Art Eingeständnis der Wahlniederlage der Sozialdemokraten, die Ende August nur Dritter geworden waren – mit nicht einmal 20 Prozent. Späte Einsicht, aber immerhin.

Im Licht der jetzt vom SPD-Landesvorstand getroffenen Entscheidung, Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufzunehmen, wird nun ein anderes Motiv sichtbar: Matschie ruderte von einem grotesk überzogenen Amtsanspruch zurück, um den Einstieg ins schwarz-rote Bündnis vorzubereiten. Der Sozialdemokrat hat die Sondierungsgespräche mit Linken und Grünen nicht wegen politischer Differenzen scheitern lassen, sondern aus Karrierismus. Matschie hätte in einem rot-rot-grünen Bündnis nie die Rolle spielen können, die er für sich in Anspruch nimmt. Die Tatsache, dass er den Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein offenbar bereits darum gebeten hatte, als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt zur Verfügung zu stehen – dann aber nicht einmal die Antwort abwartete, spricht Bände. Hier hat ein Sozialdemokrat seine Partei hinters Licht geführt. Und die Wähler, denen er einen Politikwechsel versprochen hatte.

Erinnerung an Hessen

Apropos Wortbruch: Die Entscheidung, mit der CDU zu verhandeln, erinnert ein wenig an den Harakiri-Kurs jener Sozialdemokraten, die in Hessen ein rot-grün-rotes Bündnis torpedierten. Wessen Geschäft sie dabei neben dem ihren betrieben, war offensichtlich. In Thüringen habe noch in der letzten Sondierungsrunde am Mittwoch neben Matschie vor allem Mit-Verhandler Matthias Machnig durch „inhaltsleere Fokussierung auf Personal- und Machtfragen viel politisches Geschirr im rot-rot-grünen Lager zerschlagen“, sagt einer, der bei der Sondierung beraten hat. Machnig ist ein alter Weggefährte von Franz Müntefering. Der SPD-Chef musste Anfang der Woche zurückziehen. Wogegen er lange kämpfte, findet die SPD in Ordnung: rot-rote Bündnisse. Ein Zusammenhang? Jedenfalls macht man sich so seine Gedanken.

Den Grund für Münteferings Abgang hat Matschie offenbar noch nicht realisiert. Wer in diesen Tagen als Sozialdemokrat eine große Koalition anstrebt, obwohl es eine Alternative gibt, ist entweder dumm, hat einen superschlauen geheimen Plan oder handelt mutwillig. Nach vier Jahren großer Koalition auf Bundesebene ist die SPD bei der Wahl pulverisiert worden. Auch regional hat man die Erfahrung längst gemacht: In Erfurt beteiligte sich die SPD von 1994 bis 1999 an einer Regierung mit der CDU – nach den dann folgenden Wahlen gab es eine absolute Mehrheit für die Christdemokraten. Damals sackten die Sozialdemokraten derart ab, dass sie sich seither auf Landesebene nicht mehr erholen konnten und stets hinter der PDS beziehungsweise der Linken zurückblieben. Matschie, das darf man an dieser Stelle anmerken, ist seither Landesvorsitzender.

Letzte Chance für die Basis

Aber wie lange noch? Die Sozialdemokraten werden sich die Hochzeit mit der CDU von einem Parteitag absegnen lassen müssen. Die Basis, die sich Anfang 2008 für Matschie und gegen seinen zur Linkspartei hin offenen Gegenspieler Richard Dewes entschieden hatte, steht nun vor einer neuen Situation. Es geht nicht mehr um die Frage, ob man rot-rote Koalition eingehen darf oder nicht. Es geht um die Zukunft der SPD im Freistaat, wo die Sozialdemokratie in Gotha und Eisenach ihre symbolischen Wurzeln hat.

Will die SPD in Thüringen nicht dasselbe Schicksal erleiden wie im benachbarten Sachsen, ebenfalls mal eine Hochburg, hat sie jetzt nur noch eine Chance: Sie muss Matschie und den Landesvorstand stoppen. Jene Jusos, die in der Nacht bereits protestierten, liegen richtig: „Schwarz-Rot ist unser Tod“.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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