Heiliger Kurswechsel!

SPD Vor dem Parteitag führt Frank-Walter Steinmeier unfreiwillig ein wenig Erneuerungsgymnastik auf. Doch seine angebliche Renten-Revision ist eine Zeitungsente

Es mag ein wenig simpel sein, jedem SPD-Vorderen der vergangenen Jahre den Willen zu Selbstkritik und Umdenken abzusprechen. Andererseits kommt die Skepsis nicht von ungefähr. Sie ist vor allem bei den Sozialdemokraten selbst verbreitet. Und so muss die alte und neue Führung beim Dresdner Parteitag ein Scherbengericht fürchten.

Man kann das in Zahlen fassen: Nur die Hälfte der SPD-Anhänger halten Sigmar Gabriel für eine gute Lösung an der Parteispitze. Von Andrea Nahles als designierter Generalsekretärin sind noch weniger Genossen überzeugt. Frank-Walter Steinmeiers Beliebtheit dürfte in der SPD noch einmal darunter liegen.

Da passte es dem Architekten der Agenda 2010 sicher gut, dass er am Donnerstag große Schlagzeilen machte. Von einem „Kurswechsel in der Rentenpolitik“ ist die Rede, Steinmeier höchstpersönlich habe sich von der Rente mit 67 „distanziert“. Auch die Basis fordert in zahlreichen Anträgen an den Parteitag die komplette Rücknahme der „Reform“. Wird jetzt wieder alles gut?

Das Interview mit der Berliner Zeitung, das als Quelle für Steinmeiers angeblichen Schwenk herhalten muss, ist kein Beleg – sondern die Nachricht eine Ente. Dabei musste das Blatt den SPD-Mann sogar zum Jagen tragen: Ganz am Ende des Gesprächs wird Steinmeier gefragt, ob er die Sorge hat, dass die Rente mit 67 gekippt werden könnte. Er verneint das zwei Mal bis ihm der blassrote Teppich ausgerollt wird: „Im Gesetz zur Rente mit 67 steht für 2010 eine Überprüfungsklausel. Werden Sie als Oppositionsführer das Thema im Parlament auf die Tagesordnung setzen?“, wird er gefragt. Darauf sagt Steinmeier, er werde sich an das Gesetz halten. Potzblitz.

Ähnliches Revolutionäres liest man übrigens im Leitantrag zum SPD-Parteitag, der in seiner abschließenden Fassung vielleicht zu etwas kritischerer Retrospektive neigt – sicher aber nicht zum vorwärtsgewandten Angriff. Zur Rente mit 67, heißt es da, werde man sich „im nächsten Jahr konkret verhalten, wenn die Bundesregierung den Bericht zu der Anhebung der Regelaltersgrenze gibt“. Heiliger Kurswechsel!

Übrigens: Nach der Überprüfungsklausel im Rentengesetz muss die Bundesregierung ab 2010 regelmäßig einen Bericht über die Lage älterer Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt vorlegen. Damit soll evaluiert werden, "ob die Anhebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung der Entwicklung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation älterer Arbeitnehmer weiterhin vertretbar erscheint und die getroffenen gesetzlichen Regelungen bestehen bleiben können". Durchgesetzt hatte das damals der Arbeitnehmerflügel der SPD. Was seinerzeit ein Zugeständnis an die Parteilinke war, kann Steinmeier nun gegen die Forderung nach Totalrevision der Rentenpolitik in Stellung bringen: überprüfen ja, zurücknehmen nein.


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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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