Historischer Schnitt? SPD, Linkspartei und ein Zwischenruf von Jörges

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Hans-Ulrich Jörges gilt gemeinhin als gescheiter Kopf. 1995 prognostizierte er in der längst untergegangenen Woche schwarz-grüne Bündnisse, als noch kaum jemand darüber sprach. Der Titel des Beitrags sollte später einem klugen Buch über die deutsche Linke als Titel dienen: „Grün schlägt Rot“. Von einem „Triumph der Hellsichtigkeit“, wie es unlängst die Welt getan hat, muss man vielleicht nicht sprechen. Aber die aktuellen Entwicklungen im deutschen Parteiensystem lassen die Studie von Philip Gorski und Andrei Markovits von 1997 und Jörges Prognose zwei Jahre zuvor doch zumindest als analytisch ziemlich treffsicher erscheinen. Ob das der letzte Zwischenruf des Stern-Autors auch für sich beanspruchen kann? Jörges hält die „Zeit für eine Neuordnung der Linken“ für gekommen: „Die SPD sollte dem vitalen Teil der Linkspartei die Aufnahme anbieten. Der „kommunistische und querulatorische Rest“ hingegen „möge zurückbleiben“.

Nun sind solche Überlegungen nicht unbedingt neu. Die Idee einer „organisatorischen Versöhnung“ der SPD mit der Linkspartei kommt meist als Wiedergutmachung früherer Fehler daher: dass die Sozialdemokraten im Osten nach der Wende nicht für SED-Mitglieder offen war zum Beispiel. Man kennt auch die Einladungen der SPD an die so genannten Pragmatiker. „Wer demokratische Politik als demokratischer Sozialist machen will, ist bei der SPD besser aufgehoben“, hat Sigmar Gabriel vor gar nicht allzu langer Zeit die Tür demonstrativ aufgehalten. Doch solche Äußerungen sind mehr als Provokation gemeint, sie zielen auf die innerlinken Konflikte, in denen das Lager der Reformer oft dem Verdacht ausgesetzt ist, einer sozialdemokratischen Anpassung das Wort zu reden. Wenn Sigmar Gabriel die „Vernünftigen“ einlädt, stärkt er damit die aus seiner Sicht „Unvernünftigten“. Andererseits haben inzwischen ja auch einige von denen, die aus Enttäuschung über die Schröder-SPD zur fusionierten Linken fanden, den Weg zurück in die Sozialdemokratie angetreten – und sie hatten ihre Gründe. Eine Massenbewegung war das jedoch nicht.

Könnte es eine solche werden? Oder besser: Warum glaubt Jörges, das überhaupt vorschlagen zu müssen? Er sieht die „politische Substanz“ der Linken aufgezehrt, sie habe mit ihrem Ruf nach Mindestlöhnen, gegen Hartz IV und die Rente mit 67 „das gesamte Parteienspektrum nach links getrieben“. Dort (wieder) angekommen, lägen zwischen der „gewendeten SPD“ und den „pragmatischen und einigungswilligen Kräften“ in der Linkspartei kaum noch gravierende Differenzen. Außer in der Außenpolitik – aber, meint Jörges, der SPD könnte ohnehin ein starker pazifistischer Flügel gut tun. Die Sozialdemokratie habe in ihrer Geschichte immer schon „von der Integration konkurrierender Strömungen profitiert“. Wie das aussieht und welche Geräusche dabei entstehen, kann man gerade gut beobachten: beim Streit um den Sarrazin-Deal der SPD-Spitze, in dem mit Andrea Nahles die Vertreterin des Vorstandes nun ins Abseits geraten ist, die einmal als dem linken Flügel zugehörig galt. Oder, damit das Bild etwas voller wird, bei der Diskussion um die „Erneuerung“ der SPD, in der programmatisch und personell nur eine Seite auf dem Vormarsch ist.

Jörges Ruf nach einer „Neuordnung der politischen Linken, nach einem strategischen, ja historischen Schnitt“ mag so betrachtet mehr dem Zwang zur journalistischen Originalität geschuldet sein, als einem analytischen Scharfsinn. Die “Operation am roten Herzen” mag sie falsch beantworten, der Text stellt aber die richtigen Fragen: Gibt es Platz und Bedarf für eine Partei, welcher der “demokratische Sozialismus” mehr ist, als eine Traditionsfloskel? Was heißt das für ihre Programm? Und welche machtpolitischen Optionen zur Durchsetzung ihrer Ziele kommen unter den gegenwärtigen Bedingungen eigentlich noch in Frage? Dass die Diskussion darüber weder als Personalsstreit (siehe hier) noch mit fragwürdigen "Selbstverpflichtungen" (siehe hier) zu führen ist, muss die Linke noch lernen.

auch erschienen auf lafontaines-linke.de

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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