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Kursfragen Regierungsamt und Oppositionsbank: Die Linke diskutiert ihre Wahlstrategie und das Verhältnis zu Rot-Grün

Im Sommer wurde viel über den Zweitwagen und das Zweitgehalt von Linkenchef Klaus Ernst, aber wenig über die politischen Forderungen der Linkspartei berichtet. Dies führte schon am Rande der Klausur der Bundestagsfraktion im September zu öffentlicher Kritik aus den eigenen Reihen. Kurz darauf beklagte Fraktionschef Gregor Gysi in mehreren Interviews zu viel „Selbstbeschäftigung und Passivität“, worauf ihm die Vorsitzende Gesine Lötzsch widersprach, weil der Eindruck entstehen konnte, dies sei eine Kritik an der neuen Doppelspitze. Es roch nach Streit, nach fehlender Strategie. Manche Zeitung erklärte die Partei gleich wieder für „überflüssig“.

Wenn Lötzsch nun dagegen – kurz vor dem Programmkonvent am kommenden Wochenende in Hannover – „Anlass für Optimismus“ sieht und von einer „Erfolgsgeschichte“ der Linken spricht, dann hat das zweifellos mit den medialen Eigengesetzlichkeiten zu tun, die nach froher Botschaft verlangen. Einigermaßen stabile Umfrageergebnisse in einer Zeit, in der die großen Debatten – Atom, Zuwanderung – alles andere als einen automatischen Resonanzboden für die Partei darstellen, müssen sicher auch nicht zur großen Krise umgedeutet werden.

Dass die Linke dennoch Probleme hat, würde aber heute niemand aus der Führungsriege mehr bestreiten. Sie liegen nicht einmal unbedingt bei der Partei selbst. Um nur zwei zu nennen: SPD und Grüne können in der Opposition Akzeptanzvorteile ausspielen, sie werden gegen jede kritische Erinnerung als das politische Gegengewicht zu Schwarz-Gelb wahrgenommen – und von Umfragen derzeit auch für schwer genug befunden. Ihre größten bundespolitischen Erfolge errang die Linkspartei im Aufschwung seit 2005, ihre Wahlergebnisse waren getrieben von der Empörung über die mangelnde Gerechtigkeit bei der Verteilung des Wohlstands. Mit der Krise ab 2008 wucherte dann jenes Bedürfnis nach „Sicherheit“ und „Führung“, das eine als wenig wirtschaftskompetent eingeschätzte Partei wie die Linke kaum bedienen kann.

Widersprüchliche Wirkung

Natürlich gibt es über die Frage, wie man wieder in die Offensive kommt, bei der Linken unterschiedliche Meinungen. Deshalb entfalten Strategiepapiere eine widersprüchliche Wirkung. Sie kommunizieren einerseits dem „Draußen“, dass eine Partei sich den Problemen stellt und nach Auswegen sucht. Sie werden andererseits aber zur Folie der Auseinandersetzungen im „Inneren“. Im Fall der Linken führt das über den Umweg medialer Interpretation regelmäßig dazu, dass die offensive Botschaft vom defensiven Bild der Zerstrittenheit überlagert wird. Zumal in Zeiten einer Programmdebatte (siehe Kasten), in der aktuelle taktische Fragen mehr noch als sonst davon bestimmt werden, dass sie als Vehikel für Grundsatzentscheidungen missverstanden werden. Ein Dilemma, das Lötzsch auf der Pressekonferenz am Dienstag zu der Bitte veranlasste, die Partei nicht nur über ihre Strömungen wahrzunehmen. Dort sei nur ein kleiner Teil der Basis organisiert.

Als vor ein paar Tagen ein gemeinsames Papier von Lötzsch, Gysi und Ernst an die Presse gelangte, richtete sich die Aufmerksamkeit trotzdem vor allem auf die Frage, ob darin womöglich ein Strategiewechsel der Realos in Richtung einer rot-rot-grünen Option 2013 nachzulesen sei. Der Eindruck wurde von Zeitungen mit knappen Zitaten aus dem Reformerlager verstärkt. Auf dem linken Flügel betonte umgehend Parteivize Sahra Wagenknecht, „dass wir keinen Kurswechsel brauchen“. Auch Oskar Lafontaine meldete sich zu Wort und sprach von einer „Minderheit in der Partei, die glaubt, dass sich die Strategie der Linken ändern muss, weil die SPD nicht mehr in der Regierung ist“. Andere kritisierten die „verkürzte parlamentarische Sichtweise“ und „Schlafmützigkeit“ des gesamten Papiers.

Sechs Wahlen, ein roter Faden

Nun sind auf den fünfeinhalb Seiten vor allem die bekannten politische Zielmarken aufgelistet: Stopp der Rente mit 67, Nein zu Hartz IV, Abzug aus Afghanistan. Ergänzt von Punkten, zu denen die Linke ihre Vorschläge endlich weiterentwickeln will. Die Frage möglicher Bündnisoptionen ist ausdrücklich konditioniert, und „ein rein auf Koalitionsarithmetik orientiertes Zugehen auf SPD und Grüne“ wird als „kontraproduktiv und demobilisierend“ abgelehnt.

Dass bei einigen trotzdem der Eindruck zu großer Nähe zu den beiden anderen Oppositionsparteien entstand, illustriert die schwierige Gemengelage in der Linken. Eine Vorlage zur Wahlstrategie 2011 wurde auf der Vorstandssitzung am vergangenen Wochenende auch deshalb noch nicht beschlossen, weil man sich darüber uneins war, ob Rot-Grün nicht vielleicht doch viel stärker angegriffen werden müsste.

Mindestens sechs Landtagswahlen wird es im kommenden Jahr geben. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg kämpft die Linke mit der Fünf-Prozent-Hürde. Die SPD werde hier einen „Rausdrängungswettbewerb“ führen, sagen die Bundesgeschäftsführer Caren Lay und Werner Dreibus in ihrem Papier voraus. In Bremen geht es für die Linke um den Wiedereinzug in die Bürgerschaft, in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern um erneute Regierungsbeteiligungen, und in Sachsen-Anhalt erstmals sogar um das Ministerpräsidentenamt. Die Linkenspitze will trotzdem einen „roten Faden“ spannen – eine Schwierigkeit dürfte darin bestehen, gegenüber der SPD mal auf Konflikt, und mal auf Kooperation zu setzen, ohne dass dies in der Öffentlichkeit, in der die Wahlkämpfe im bundespolitischen Kontext erscheinen, als Widerspruch aufgefasst wird.

„Linke Eigenständigkeit“, lautet deshalb das Motto – doch der Weg von der Kritik- zur Konzeptpartei ist noch lang. Auf ihm wird der „Motor für den Politikwechsel“, zu dem die Linke werden will, noch ein paar Mal ins Stottern geraten. Gegen den Anspruch, selbst treibende Kraft zu sein, spricht das nicht. Und gegen erwartbare Trabant-Vergleiche hat Lötzsch schon einmal vorgebaut. „Unser Motor läuft“, sagt die Linkenvorsitzende, „und wir wollen noch ein bisschen höher schalten“.

Der lange Marsch der Linken zum neuen Programm

Das erste Programm der 2007 gegründeten Linkspartei bezeugt den vorläufigen Charakter bereits im Titel: Die Eckpunkte waren einige Monate vor der Fusion auf getrennten Parteitagen von PDS und WASG bestätigt worden und spiegelten das bis dahin angehäufte Maß an Gemeinsamkeit wider. Mit 19 Seiten vergleichsweise knapp, galt das Papier als ausreichend stabiles Fundament für die Neubegründung einer Partei. In einer Nachbemerkung waren allerdings zehn offene Fragen aufgeführt als Anregung für die folgenden Debatten zur Programmatik der neuen linken Partei.

Diese Diskussionen fanden zwar sowieso statt, zunächst aber blieben sie das Grundrauschen einer Linken, die mit ihren verschiedenen Traditionen, Kulturen, Zielhorizonten und Fraktionen oft wie eine Sammlungsbewegung erschien. Der Start der offiziellen Programmdebatte zog sich hin, eine Kommission wurde bereits Ende 2007 ins Leben gerufen, der erste Entwurf für das Programm ließ allerdings bis März 2010 auf sich warten. Der enge Wahlkalender und die Sorge, eine grundsätzliche Auseinandersetzung über Ziel und Strategie könne die fragile Strömungsbalance der Partei (zer-)stören, spielten dabei eine Rolle.

Mit Regionalkonferenzen und dem Programmkonvent am Sonntag in Hannover geht die Programmdiskussion der Linken nun in eine erste heiße Phase. Der 25-seitige Entwurf wird kontrovers diskutiert, unter anderem die Frage nach der Reformfähigkeit des Kapitalismus, der symbolisch wichtigen Friedenspolitik und der roten Linien für Regierungsbeteiligungen sind umstritten. Der Linkenvorstand will im kommenden Jahr einen überarbeiteten Entwurf vorlegen, ein Programmparteitag im Herbst 2011 das Papier beschließen. Das letzte Wort haben dann die Mitglieder in einer Urabstimmung.

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