Seit 9.30 Uhr an diesem Mittwoch saß das Kabinett zusammen; um 9.56 Uhr kam eine Nachrichtenagentur mit der Eilmeldung, die Bundesregierung habe die Neuregelung der Grundsicherung für Hartz-IV-Empfänger bereits beschlossen. Viel zu bereden hatte die Ministerrunde nicht mehr, die eigentlichen Verhandlungen finden ohnehin woanders statt. Genau hierin liegt eines der Probleme dieser Reform.
Ursula von der Leyen steht unter Zeitdruck. Das Bundesverfassungsgericht hat für die transparente Neuberechnung der Regelsätze eine Frist bis zum Jahresende gesetzt. Nach der Verabschiedung im Kabinett muss das umstrittene Projekt noch durchs Parlament und den Bundesrat. Dort liegt die größte Hürde für die Neuberechnung, denn Schwarz-Gelb hat in der Länderkammer keine Mehrheit mehr. Die abschließende Beratung im Bundesrat ist für 17. Dezember vorgesehen, für ein eventuell nötig werdendes Vermittlungsverfahren gibt es also wenig Zeit. Die Arbeitsministerin drückt deshalb auf die Tube.
„Direkt nach dem Kabinettsbeschluss möchte ich die Regierungs- und Oppositionsfraktionen sowie Ländervertreter einladen“, hat die CDU-Politikerin angekündigt, „um Gemeinsamkeiten und Lösungswege auszuloten.“ Von der Leyen folgt damit einer Forderung der SPD, die gerade noch einmal „ein Spitzengespräch der Fraktionsvorsitzenden, unseres Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier und der Ländervertreter bei der Bundeskanzlerin“ angemahnt hatte.
"Auf dem Rücken der Schwächsten"
Was allerdings Sozialdemokraten wie Parteivize Manuela Schwesig als „historische Chance“ für einen Pakt von Bund, Länder und Kommunen verkaufen, die ein Gesamtpaket für Bildung und soziale Teilhabe schließen sollen, ist nicht allzu weit von jenem „Geschacher auf dem Rücken der Schwächsten“ entfernt, als das SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles eben noch die politische Festlegung des schwarz-gelben Koalitionsausschusses auf die „Anhebung“ der Regelsätze um fünf Euro sowie ein „Bildungspaket“ für Kinder kritisiert hatte.
Spitzengespräche könnten ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren nicht ersetzen, klagt die Linkspartei nun ganz zu ihrem Recht – schließlich blieben mit ihr (und den Grünen) bei einer „Einigung“ die nominell kleinsten Oppositionsfraktionen außen vor, und damit zwei Parteien, die inzwischen in Umfragen ein gutes Drittel der „Wähler“ auf sich vereinen. Linken-Chefin Gesine Lötzsch warnte die SPD deshalb vor „Alleingängen“ und einem „faulen Kompromiss“. Mit kleineren Änderungen am Bildungspaket sei es nicht getan, die „rote Linie“ für einen Kompromiss ziehe ihre Partei bei einer Anhebung des Regelsatzes auf 400 Euro, die dann auch die Kindersätze steigen ließe.
Das ist weit entfernt von den fünf Euro der Koalition, aber selbst von denen ist bei den Sozialdemokraten inzwischen nicht mehr viel die Rede. Eine eigene Hausnummer nennt die SPD nicht, wer es wie Nahles dennoch tat, wurde zurückgepfiffen. Offenbar fürchtet die Partei, dass man ihr vorhalten könnte, dass die Sozialdemokraten – solange sie regierten – niedrigere Regelsätze stets für auskömmlich hielten. Außerdem hat Schwarz-Gelb bei der Neuberechnung an Stellen die Schere angesetzt, die in der Öffentlichkeit auf viel Verständnis stoßen: etwa die Herausnahme von Alkohol aus der Berechnung des Grundbedarfs. Der Opposition stehe frei zu sagen, weist von der Leyen der SPD den Weg aufs populistische Glatteis, sie wolle, „dass Glücksspiele wieder in den Regelsatz mit eingerechnet werden oder Pauschalreisen. Das kann man alles fordern. Man muss nur begründen, warum es zum Existenzminimum gehört.“
Logische oder politische Herleitung?
Die bisher von der SPD geäußerten Forderungen, beziehen sich denn zum Teil auch auf ganz andere Baustellen als Hartz. Man hat Gegengeschäfte ins Gespräch gebracht, bei denen die Frage aufkommt, wie ernst es die Sozialdemokraten mit ihrer Kritik meinen, das Maß der Grundsicherung für Erwerbslose dürfe nicht „politisch“ bestimmt werden, sondern müsse sich – wie es die Karlsruher Richter verlangten – auf nachvollziehbare und logische Herleitungen stützen.
Einmal abgesehen davon, dass es sich bei einer Frage wie der Regelsatzhöhe so oder so um eine der „politischen“ Herleitung, der "gesellschaftlichen Anschauungen" und also auch der (veränderlichen) Kräfteverhältnisse handelt, die Kritik also nicht besonders klug ist: Worin besteht die Logik, eine Zustimmung zum schwarz-gelben Hartz V von zum Beispiel gleichzeitigen Verhandlungen über Mindestlöhne (Sigmar Gabriel) oder einem Programm für Schulsozialarbeiter abhängig zu machen (Manuela Schwesig)? Beide Ziele kann man mit guten Gründen befürworten. Aber denen, die mit fünf Euro mehr abgespeist werden, hilft es nicht.
Wenigstens die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen fordert, die Regelsätze müssten „nicht nur bei den Kindern, sondern generell angehoben werden“. Der Düsseldorfer Arbeitsminister Guntram Schneider glaubt, die Hartz-IV-Reform werde „auf jeden Fall im Vermittlungsausschuss“ von Bundesrat und Bundestag landen. Noch ist allerdings nicht ausgemacht, ob die SPD in der Länderkammer die Anrufung des Vermittlungsausschusses durchsetzen kann – denn auch sie hat dort keine Mehrheit und müsste sich Verbündete suchen. Abgesehen davon gilt gerade der Vermittlungsausschuss nicht gerade als demokratisches Paradebeispiel – eher als „Dunkelkammer“ für Gesetzesdeals. Wenig transparent seien die dort getroffenen Entscheidungen, sagen Kritiker und weisen darauf hin, dass mehr als einmal in der Vergangenheit bereits die Zustimmung eines Landes erkauft wurde.
Kommentare 8
Quer durch alle Parteien laufen eigentlich nur Ablenkungsmanöver, da der eigentliche Auftrag des Verfassungsgerichts unterlaufen wird.
Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Logik der Berechnung? Die Anwälte derer, die das fordern, können schon mal die Messer schärfen.
Auch wenn ich dem Artikel in weiten Teilen zustimmen würde, besteht meiner Ansicht nach durchaus ein logischer Zusammenhang zwischen Hartz und dem Mindestlohn. Schließlich sehen sich Langzeitarbeitslose in der Situation, dass sie de facto gezwungen werden, jedweden Job anzunehmen und somit keinerlei Verhandlungsspielmacht gegenüber den Arbeitgebern haben, wenn sie nicht sogar diese geringen Leistungen verlieren wollen. Ein ausnahmsloser bundesweiter Mindestlohn würde gewährleisten, dass diese Zwangslage nicht völlig ungebremst von seiten der Arbeitgeber ausgenutzt werden kann, was ja ganz offensichtlich geschieht, wenn man sich einmal den Boom des Niedriglohnsektors ansieht.
Nur leider dürfte die Realität eben wohl so aussehen, dass es durchaus darum geht, Löhne zu drücken, sei es aufgrund eines verfehlten Verständnisses des Arbeitsmarktes oder der immer offensichtlicher werdenden skandalösen Hörigkeit eines Gutteils des Parteienspektrums gegenüber Wirtschaftsinteressen jeder Art. Der SPD wäre also eher vorzuwerfen, dass sie dieses üble Spiel so lange selber betrieben hat.
Auch wenn ich dem Artikel in weiten Teilen zustimmen würde, besteht meiner Ansicht nach durchaus ein logischer Zusammenhang zwischen Hartz und dem Mindestlohn. Schließlich sehen sich Langzeitarbeitslose in der Situation, dass sie de facto gezwungen werden, jedweden Job anzunehmen und somit keinerlei Verhandlungsspielmacht gegenüber den Arbeitgebern haben, wenn sie nicht sogar diese geringen Leistungen verlieren wollen. Ein ausnahmsloser bundesweiter Mindestlohn würde gewährleisten, dass diese Zwangslage nicht völlig ungebremst von seiten der Arbeitgeber ausgenutzt werden kann, was ja ganz offensichtlich geschieht, wenn man sich einmal den Boom des Niedriglohnsektors ansieht.
Nur leider dürfte die Realität eben wohl so aussehen, dass es durchaus darum geht, Löhne zu drücken, sei es aufgrund eines verfehlten Verständnisses des Arbeitsmarktes oder der immer offensichtlicher werdenden skandalösen Hörigkeit eines Gutteils des Parteienspektrums gegenüber Wirtschaftsinteressen jeder Art. Der SPD wäre also eher vorzuwerfen, dass sie dieses üble Spiel so lange selber betrieben hat.
Moin Daniel B.,
eine zielführende Antwort auf Hartz und Entlohnung muß zunächst die Gründe analysieren, die zu dem jetzigen Zustand geführt haben.
Was ist das Ziel? Grob umrissen sind es folgende Punkte:
1) Möglichst annähernd alle in die Lage zu versetzen, ein befridigendes Einkommen selbst zu erwirtschaften
2) Denen, die das nicht können jedoch wollen, ein befriedigendes Einkommen durch die Gesellschaft transferieren
Wären die unter 2) nur ein kleiner Rest, wir hätten keine Probleme damit. Weder ist der Anteil derer mit Arbeit annähernd 100 %, noch ist deren Einkommenshöhe durchgehend befriedigend. Damit ist 2) einfach nicht mehr zu bewältigen.
Warum ist die Zielerreichung so schwierig? Hier liegen mehrere Ursachen vor. Ein Hauptproblem ist der Arbeitsmarkt. Es wird nun nicht reichen, einfach die Bruttolöhne zu erhöhen. Der Arbeitsmarkt funktioniert im Prinzip wie jeder andere Markt auch: Preisanhebungen für zu gegenläufigen Mengenreaktionen. Das ist sowohl theoretisch nachvollziehbar als auch empirisch nachgewiesen.
Es hat in der Vergangenheit in einem erheblichen Umfang eine Substitution von Arbeit durch Kapital stattgefunden. Der technische Fortschritt hat das ermöglicht. Und erwird das auch weiterhin; somit werden bei Anhebungen der Löhne weitere Substitutionen stattfinden. Oder manche Produktionen werden eingestellt bzw. reduziert.
Befriedigender Bruttolohn durch Arbeit ist insgesamt nur noch eine Wunschvorstellung aber nicht realisierbar. Wir benötigen befriedigende Einkünfte durch Kapitalerträge für so gut wie alle.
Tut mir leid, aber ihre Behauptung, dass der Arbeitsmarkt 'funktioniert wie jeder andere Markt auch' ist bestenfalls irreführend. Zum einen ist ein allgemeiner Mindestlohn ja keineswegs etwas exotisches - es gibt sehr viele Länder, in denen eine solche Regelung existiert. Und das auf den ersten Blick erstaunliche dabei ist, dass eine klare negative Auswirkung auf die Beschäftigungslage eben nicht nachgewiesen werden konnte. 'Auf den ersten Blick' deshalb, weil die Lohnhöhe selbstverständlich nicht davon abhängt, wieviel ein Arbeitgeber zahlen zu können meint, sondern zumindest auch davon, wieviel er zahlen muss, um Arbeitskräfte unter den Bedingungen eines funktionierenden Marktes anwerben zu können.
Aber eben dieser 'funktionierende Markt' ist unter der Bedingung des de-facto-Arbeitszwangs eben nicht mehr gegeben. Die von Ihnen durchaus treffend skizzierte Verknappung von Arbeit tut da nur ein übriges, um die Position der von Hartz betroffenen als 'Marktteilnehmer' zu einer reinen Phantasie zu machen. 'Gute Arbeit für alle' dürfte allerdings kaum mehr Realität werden, aber das jetzt praktizierte 'Arbeit um jeden Preis' trägt vor allem dazu bei, die Qualität der vorhandenen Jobs zu beeinträchtigen.
Daniel B. schrieb am 24.10.2010 um 01:07
Sicher war der von mir aufgestellte Satz, 'der Arbeitsmarkt ist ein Markt wie andere' eine vereinfachende Summierung, die lediglich ein wahrscheinliches Ergebnis beschreibt. Im Detail kann das nicht reichen und es sind auch andere Punkte zu berücksichtigen.
Irreführend ist er jedoch nicht, da die Untersuchungen dazu mehrheitlich ihn bestätigen. Näheres dazu hier: de.wikipedia.org/wiki/Mindestlohn , speziell auch hier: www.wu.ac.at/inst/vw1/gee/papers/gee!wp25.pdf , Tabelle 4 S. 16.
Entscheidend ist die Frage, ob und wie sich eine hohe Mindestlohnfestsetzung derzeit in der BRD auswirken würde. Eine geringe Anhebung dürfte ja bereits brutto kaum das Kernproblem treffen, netto erst recht nicht.
Meiner Ansicht nach würde eine starke Anhebung wegen der Struktur der Produktionen bei uns kaum positive Effekte ergeben, aber in den Bereichen der gering qualifizierten Tätigkeiten umso stärkere negative Effekte. Zu beachten sind auch die Auswirkungen von Verlagerungen von Tätigkeiten in das Ausland, die neben dem technischen Fortschritt erheblich sind. Hinzu kommen die Relationen der Entgelthöhen in der EU, die Wanderungen von Arbeitnehmern recht einfach auslösen können.
Wirklich? 1. Sind Sie sich vielleicht nicht ganz im klaren, was für 'Lohnhöhen' teils schon üblich sind. 2. Werden wir kaum morgen nach Peking zum Frisör fliegen. 3. Zeigt Ihr Glauben an die recht einfachen 'Wanderungen' vor allem ein Problem, das auch insgesamt durchscheint - ein mangelndes Verständnis, das es bei Thema Arbeit so sehr wie sonst kaum irgendwo um den Menschen als soziales Wesen geht - genau deshalb haben die Rezepte der Kartoffelmarkttheoretiker ja auch meist so wenig mit der Realität zu tun. Mal ganz abgesehen davon, dass in solchen Fällen zusätzlich meist auch noch gerne die Rolle von (Markt-) Macht ignoriert wird.
An dem müßigen Wettbewerb, mit irgendwelchen Links die jeweilige Einschätzung des Mindestlohns zu untermauern möchte ich mich jetzt übrigens nicht beteiligen - da Wikipedia zu bringen ist allerdings nicht unbedingt beeindruckend.
Aber ein kurzes Wort zu dem Ziel 'befriediegender Einkünfte durch Kapitalerträge für alle' kann ich mir dann jetzt doch nicht mehr verkneifen. Wie kann man sowas jetzt (schon wieder) ernsthaft propagieren? Als ob wir nicht ohnehin schon eine Schwemme vagabundierenden Kapitals auf der verzweifelten Suche nach Rendite hätten, die in immer kürzeren Abständen zur Blasenbildung und darauf folgenden Krisen führt.
Was das längerfristige Ergebnis ist, wen man sich einbildet als Volkswirtschaft vom Ritt auf diesem Tiger insgesamt doch profitieren können, sehen Sie derzeit sehr schön, wenn Sie mal einen kurzen Blick nach Irland, Island, GB oder eben auch in die USA werfen. Wie man da auf die Idee kommen kann, dass man den Finanzsektor mit allen verheerenden politischen Nebenwirkungen sogar noch weiter aufblähen sollte, ist einfach nicht nachvollziehbar.
Ich habe den Eindruck, wir reden aneinander vorbei. Wer sagt denn was von Peking? Ich schrieb EU.
Sicher kenne ich etliche übliche Lohnhöhen. Deswegen zielte ich ja auf erhebliche Anhebungen ab - die jedoch Mengenwirkungen haben werden. Mit Kartoffeln hat das überhaupt nix zu tun. Auch nicht mit sozialen Wesen.
Sie verwechseln offensichtlich auch Kapitalerträge aus Produktionen mit Finanzkasinos. Dividenden sind etwas anderes als Aktienhandel. Zinsen haben auch nichts mit Spekulationsgewinnen zu tun.
Es geht auch nicht um Aufblähung, erst recht nicht um Blasen. Es geht um Teilhabe an Kapitalerträgen.