In der Krise? Die Linke und der "Herbst der Entscheidungen"

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Seit sich Anfang September die Bundestagsfraktion der Partei zu einer Klausur im Brandenburgischen traf, ist von einer Krise der Linken die Rede. „Wir stagnieren“, hieß es am Scharmützelsee, von "extrem schwierigem Fahrwasser" war die Rede. Hinter den Genossen lag ein Sommer des Missvergnügens, Aufbruch war angesagt. Der Herbst sollte ein heißer werden und die Partei in die Offensive tragen.

Bisher ist davon nicht viel zu sehen. Heute, ein paar Wochen später, steht die Linke immer noch dort, wo Gregor Gysi sie zum politischen Jagen tragen wollte. Die Republik hat inzwischen eine der größten Anti-Atom-Demonstrationen erlebt, die hitzige Debatte über die Thesen von Thilos Sarrazin, den schier unaufhaltsamen Widerstand gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Die Kanzlerin ruft zum „Herbst der Entscheidungen“, Hartz Fünf, die Gesundheitsreform, der Umbau der Bundeswehr - und die Linke?

Gregor Gysi kann immer noch keinen Raumgewinn vermelden: Es habe zu viel Selbstbeschäftigung gegeben, hat er jetzt wieder erklärt, die Partei stagniere. Dabei geht es um mehr als nur Umfrageergebnisse. Die Demoskopie bildet die Probleme der Linken gar nicht vollständig ab, sondern mehr das Echo der öffentlichen Kommunikation über eine Partei. Interne Querelen, die von nicht wenigen beklagte Performance der neuen Doppelspitze nach der Ära Oskar Lafontaine, das immer wieder reproduzierte Bild einer programmatisch zerrissenen Organisation - all das bestimmt die Berichterstattung und ist sicher auch ärgerlich für die Genossen. Es ist aber nicht die „Krise der Linken“. Die entscheidenden Veränderungen liegen außerhalb der Partei, und das macht es ihr keineswegs leichter, darauf zu reagieren.

SPD und Grüne können Opposition offenbar lauter und wirkungsvoller, beide Parteien haben dabei vor allem aufmerksamkeitsökonomische Vorteile: Wenn die Sozialdemokraten sich einmal um die eigene Achse drehen, ist schon von einem Kurswechsel die Rede. Die Grünen brauchen noch weniger zu tun, und werden trotzdem von einem zum nächsten Umfragerekord getragen. Es liegt darin ein Mechanismus, der momentan der Özdemir-Künast-Partei nutzt - und der für die Ernst-Lötzsch-Linke noch gefährlich werden kann: Das Dauerreden über Hochs und Tiefs verstärkt die mediale Eigendynamik von Trends.

Die Linke hat außerdem damit zu kämpfen, dass die beherrschenden Debatten dieser Tage kein automatischer Resonanzboden für ihre Ziele sein. Der Atomkonflikt ist ein rot-grüner Erbschaftsstreit mit Schwarz-Gelb; Stuttgart 21 das Fanal eines aufbegehrenden Bürgertums, dass sich formaldemokratisch nicht genügend respektiert fühlt. Die Linke ist zwar vor Ort engagiert, spielt aber in der Wahrnehmung dieser Konflikte nur eine untergeordnete Rolle. Im Streit um die Integration stehen sich traditionell Union und Grüne gegenüber. Die andauernde Islam-Debatte und die Äußerungen des CSU-Vorsitzenden werden womöglich auch den Ort im politischen Koordinatensystem nach rechts verschieben, zu dem „Protestwähler“ streben - die bisher auch von der Linken integriert worden waren.

Es ist für die Linke zudem weit schwerer als in der Vergangenheit geworden, sich als Nein-zu-Raus-aus-Partei zu profilieren. Der Afghanistankrieg ist weitgehend vom Radar der öffentlichen Auseinandersetzung verschwunden. Und der an die „Krisenbewältigung“ angeschlossene Sozialabbau kann sich zurzeit eher der Zustimmung einer schweigenden „Mitte“ sicher sein, deren Angst vor eigenem Abstieg eher zum Ressentiment und zur Abwehr nach unten neigt, als dass sie zu Solidarität führt oder sich zum gesellschaftspolitischen Widerspruch formen ließe. In der Diskussion über Hartz, Gesundheitsreform etc. findet die Linke nur am Rande statt.

Drittens: Ihre größten bundespolitischen Erfolge hatte die Partei im Aufschwung seit 2005 errungen, ihre Wahlergebnisse waren dabei auch getrieben von der Empörung über die mangelnde Gerechtigkeit bei der Verteilung des wachsenden Wohlstands. Mit der Krise wucherte dann jenes Bedürfnis nach „Sicherheit“ und „Führung“, das eine Partei wie die Linke derzeit noch kaum bedienen kann. Weder wird Linken das Gespenst "Wirtschaftskompetenz" zugeschrieben (was über ihr dahingegehendes Können nichts besagt), noch hat die offenkundige Pleite neoliberalen Denkens automatisch in der breiten Masse die Bereitschaft erhöht, sich auf grundlegende Alternativen einzulassen.

Nun legt ausgerechnet Rot-Grün zu, obgleich nicht vergessen sein kann, dass es diese Parteien waren, die einst mithalfen, die Gerechtigkeitslücke in diesem Land scchneller aufreißen zu lassen. Sich darüber zu beklagen, wird die Linke aber kaum in die Offensive bringen. Zum „Motor linker Politik“, zu dem Fraktionschef Gysi seine Partei jetzt machen will, gehört mehr als der Vorwurf, die SPD hätte die Karre erst in den Dreck gefahren und die Grünen hätten dazu geklatscht. Wer hat‘s erfunden? Mit dieser Frage kann die Linke nicht mehr punkten.

Linkenchefin Gesine Lötzsch hat Gysis Kritik an Selbstbeschäftigung und Ausruhen auf früheren Erfolgen jetzt zurückgewiesen. Mag sein, dass das ein Beitrag zur Profilbildung gegen einen omnipräsenten „heimlichen Vorsitzenden“ ist. Eine Änderung der Strategie der Linken habe Lötzsch, heißt es in Meldungen, abgelehnt. Erst müssten die Wahlziele erreicht werden, Hartz IV zu überwinden, die Rente mit 67 zu verhindern und den Afghanistan-Krieg zu beenden, heißt es in der Meldung. „Dann können wir uns auch neue Ziele suchen.“

Zwischen Zielen und der Strategie, diese zu erreichen, besteht aber ein Unterschied. Wenn die Linke nicht länger nur korrigierend ins Steuer greifen will, sondern den Kurs wirklich mitbestimmen möchte, muss sie sagen, wo es langgehen soll. Das schafft man nicht allein mit dem (eher nach innen wirkenden) neuen Programm einer demokratisch-sozialistischen Partei, das den Bogen spannt zwischen gestaltendem Mitregieren und treibender Opposition. Sondern vor allem mit einer in der Gesellschaft diskutierten, neuen und populären linken Idee vom besseren Leben. Diese verlangt mehr als immer bloß bei den Forderungen der anderen zehn Euro drauf zu legen. Dass die Linke als Partei bei der derzeitigen rot-grünen Umfragemehrheit als Machtfaktor eines Regierungswechsels, der erst noch zum Politikwechsel werden müsste, nicht gebraucht wird, steht all dem nicht entgegen. Eher zeigen die ungeahnten demoskopischen Bewegungen nicht zuletzt der Grünen, wie unvorhersehbar die Spielräume sind, die in einer sich verändernden Gesellschaft auch parteipolitisch zu besetzen sind.

Angst vor dem Wachstum? Die Linkspartei muss sich nicht von denen in die Krise reden lassen, die sie ohnehin für „überflüssig“ halten. Sie muss nur endlich auf die veränderte Situation reagieren.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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