Michael Sommer wird in den vergangenen Tagen die Zeitungen aufmerksam gelesen haben. Nach seiner Warnung vor „sozialen Unruhen“ schieden sich über den DGB-Vorsitzenden die Geister – auch in den Einzelgewerkschaften. Während der IG-Metall-Chef Berthold Huber in die gleiche Kerbe schlug und Sommer vor Kritik in Schutz nahm, ätzte Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der IG BCE, gegen die geschichtslosen und unverantwortlichen Unkenrufe von der Spitze des Dachverbandes. „Jeder muss sich darüber bewusst sein, was er so in die Mikrofone tutet“, so Schmoldt in der Süddeutschen Zeitung.
IG BCE gegen drittes Konjunkturprogramm
Nun mag man über die Äußerungen Sommers unterschiedlicher Auffassung sein. Der Riss innerhalb des Gewerksch
ungen Sommers unterschiedlicher Auffassung sein. Der Riss innerhalb des Gewerkschaftsbundes ist aber keineswegs bloß eine geschmäcklerische Frage. Auch politisch gehen die Auffassungen der Einzelorganisationen über das Vorgehen in der Krise bisweilen stark auseinander – etwa bei der Forderung nach einem dritten Konjunkturprogramm. Während Verdi schon länger für ein weiteres Nachfrage-Paket plädiert, blieb der DGB zunächst zurückhaltend – schloss sich der Forderung kurz vor dem Kanzlertreffen in der vergangenen Woche jedoch an. Wieder war es daraufhin die IG BCE, die die Einigkeit störte. Eine solche Maßnahme zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei kontraproduktiv, ließ Schmoldt verlauten: „Diejenigen, die auch keine Antwort wissen, versuchen nun, sich mit Forderungen nach einem dritten Paket in Szene zu setzen.“Ein Grund für die Watsche liegt auf der Hand: Während es vor allem der öffentliche Sektor und der Automobilbau waren, die bisher von Konjunkturmaßnahmen profitierten, haben Branchen wie Chemie und Bergbau kaum etwas von den Hilfen zu erwarten – auch nicht von einem dritten Paket. Schmoldt weist ein weiteres Konjunkturprogramm unter anderem mit dem Hinweis auf die dann nötige Neuverschuldung des Bundes zurück und erinnert an die Maastricht-Kriterien der EU. Einmal abgesehen davon, dass diese in der Krise inzwischen kaum noch das Papier wert sind, auf dem sie stehen, kritisieren Gewerkschaften wie Verdi die wirtschaftspolitische Selbstbeschneidung durch Schulden-Tabus schon länger.Irritation über MindestlohnAuch auf einem anderen Gebiet schert die IG BCE aus: dem Mindestlohn. „Mit Irritation“ reagierte die Chemie-Gewerkschaft auf die Ankündigung der SPD, im Wahlkampf einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn zu fordern – dieser geht Schmoldt und Kollegen zu weit, weshalb sie zu einem Argument greifen, dass man sonst von der Union kennt: „Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn birgt große Gefahren für das deutsche Modell der Tarifautonomie.“Da verwundert es kaum, dass die IG BCE nicht gerade zu den Freunden der Linkspartei zählt, die sich schon länger als die SPD für einen gesetzlichen Mindestlohn stark macht. Die Gewerkschaft hatte schon bei den Bundestagswahlen 2005 gegen das damalige Fusionsprojekt polemisiert; vor der Hessen-Wahl Ende 2008 wurde ein gewerkschaftlicher Wahlaufruf gegen die Linke von IG-BCE-Mitgliedern lanciert. Auch in anderen Organisationen wird peinlich darauf geachtet, die Linkspartei nicht über Gebühr zu loben – selbst wenn sich gewerkschaftliche Forderungen in deren Programmen am ehesten finden lassen. Da man allerdings für die Durchsetzung auf parlamentarischer Ebene die Sozialdemokraten braucht, will man diese nicht verärgern.Gemeinsamkeit mit der SPD wird wieder betont Zwar gilt offiziell die immer wieder postulierte Überparteilichkeit. Im Wahlkampf ist die Nähe der Gewerkschaften zur SPD aber kaum zu übersehen. Bisweilen klemmt der sozialdemokratische Transmissionsriemen noch, so etwa auf dem jüngsten GEW-Kongress. Da geriet dem Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier das Lob über die Mitwirkung der Gewerkschaften bei der Abfassung des SPD-Wahlprogramms zu überschwenglich – worauf die Angesprochenen sich in der die Legende wahrenden Pflicht sahen, besonders harsch das Trennende zu betonen. „Man sollte nie vergessen, dass wir gemeinsame Wurzeln und vor allen Dingen eine gemeinsame Aufgabe haben“, lobte jedoch Sommer kurz darauf die SPD und wollte auch von den bitteren Erfahrungen der rot-grünen Regierungsperiode nicht mehr viel wissen: „Die Partei hat sich wieder gefunden.“Vor diesem Hintergrund klingen die Dementis aus den Gewerkschaften nicht mehr so recht überzeugend, mit denen vor einiger Zeit auf Gerüchte über Geheimabsprachen zwischen DGB und Sozialdemokraten reagiert wurde. Medien berichteten zudem über ein Treffen zwischen der IG Metall und SPD-Staatssekretären, auf dem das wegen der Agenda 2010 angeschlagene Verhältnis repariert und ein stärkeres Vorgehen gegen die Linkspartei verabredet worden sein soll. Gewerkschaftschef Berthold Huber beschied unlängst, er habe den Eindruck, „dass sich die Sozialdemokratie nachhaltig neu orientiert“. In der IG Metall stößt die neue Liebe zur Partei von Gerhard Schröder und Franz Müntefering nicht nur auf Beifall. Gewerkschafter empören sich hinter vorgehaltener Hand über eine „engste Abstimmung mit der SPD“ und „Gefälligkeitspresseerklärungen“, auch vergehe kaum eine Veranstaltung der Organisation mehr ohne Auftritt eines SPD-Ministers.Viele SPD-Promis auf Mai-KundgebungenAuch bei den traditionellen Kundgebungen zum 1. Mai wird in diesem Jahr aufmerksam die große Zahl prominenter Sozialdemokraten registriert, die von den Gewerkschaften als Redner eingeladen wurden: Franz Müntefering in Wuppertal, Frank-Walter Steinmeier in Ludwigshafen, Peer Steinbrück im Ruhrgebiet, Andrea Nahles in Hamm und so weiter. Die Versöhnung, die im vergangenen Jahr begonnen hat, als erstmal seit fünf Jahren wieder ein SPD-Vorsitzender auf der zentralen DGB-Kundgebung sprach, geht weiter – auch wenn die Sozialdemokraten offiziell eher zurückhaltend von „Distanz in der Annäherung“ reden. Der Aufruf der SPD zum 1. Mai ist da schon weitaus deutlicher: „Gemeinsam mit den Gewerkschaften demonstrieren wir am 1. Mai für eine soziale und gerechte Wirtschaftsordnung, Gute Arbeit und Mitbestimmung.“