Jahn folgt Birthler: Bundestag wählt neuen Stasi-Beauftragten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wer hätte gedacht, dass Norbert Lammert im Bundestag noch einmal zustimmend aus einer Rede zitieren würde, die auf einem Plenum des Zentralkomitees der KPdSU gehalten wurde? Am 28. Januar 1987 hatte Michail Gorbatschow in Moskau von „tiefgreifenden Reformen“ gesprochen – nach Ansicht des CDU-Bundestagspräsidenten offenbar eine Etappe auf jenem Weg, auf dem viel später auch Marianne Birthlers Tätigkeit als Bundesbeauftragte liegen sollte. Von der Perestroika über die Erstürmung von Dienststellen der DDR-Staatssicherheit und die Wiedervereinigung bis zur Verabschiedung des Stasi-Unterlagengesetzes: die Traditionslinie, die Lammert hier zog, sieht vom Ende der Geschichte her betrachtet vielleicht wie ein gerader Strich aus. Man könnte sie aber auch für eine unziemliche Inanspruchnahme einer Forderung ansehen, die in ihrem historischen Kontext doch eher etwas anderes wollte.

Die Frage, ob Gorbatschow 1987 schon im Blick hatte, gar wollte, wohin die Umwälzungen in den realsozialistischen Staaten führten und welche Formen die Aufarbeitung in der Bundesrepublik nehmen würde, war natürlich gar nicht das Thema des Parlamentspräsidenten. Lammert führte lediglich in die Wahl von Roland Jahn als Nachfolger Birthlers an der Spitze der Unterlagenbehörde ein. Der saß auf der Empore des Bundestags neben Joachim Gauck und dessen Nachfolgerin, die anerkennende Worte und Dank für ihre Arbeit zu hören bekam. Dass Lammerts Lob für Birthler nicht parteiübergreifend geteilt wird, machte die Linksfraktion dadurch deutlich, dass in ihren Reihen, während andere teils stehend applaudierten, die Hände still lagen.

Ob das Verhältnis zwischen der Linken und dem Bundesbeauftragten mit Roland Jahn besser wird, anders jedenfalls, ist kaum vorherzusagen. Jedenfalls hat die Fraktion in dieser Woche nach einem Treffen mit dem früheren DDR-Oppositionellen und späteren Journalisten deutliche Worte des Respekts gefunden. Gregor Gysi, der mit Birthler nicht nur politisch über Kreuz lag, hatte sich mit Blick auf die Wahl Jahns „ziemlich sicher“ gezeigt, „dass er auch aus unserer Fraktion durchaus zahlreiche Wahlstimmen erhalten wird“. Jahn selbst wurde mit den Worten zitiert, er habe der Linken deutlich gemacht, „dass ich sie in einer besonderen Verantwortung sehe, weil sie als Nachfolgepartei der SED hier ganz besonders herausgefordert ist. Ich hoffe, dass sie mich auch mitwählt und mich unterstützt in meiner Arbeit als Bundesbeauftragter.”

Viertel nach elf am Freitag verkündete Parlamentsvize Wolfgang Thierse dann ein Ergebnis, das Jahns Wunsch nach linker Zustimmung zu seinem Amtsantritt zumindest zum Teil erfüllt: Im nicht ganz voll besetzten Bundestag (577 gültige Stimmen) erhielt der 57-Jährige 535 Ja-Stimmen bei 21 Nein-Voten und 21 Enthaltungen.

Die deutliche Mehrheit erscheint zuvörderst als eine, mit der eine Biografie gewürdigt wird. Der Jenenser hat in der DDR gegen ein autoritär-paranoides Regime opponiert, er wurde unter skandalösen Umständen aus dem Land geworfen und er hat sich in der Bundesrepublik weiter kritisch mit der SED beschäftigt. All das verdient Beachtung. Nur: Was sagt es wirklich über Jahns Eignung als Birthler-Nachfolger aus, was über seine Pläne, seine Haltung zum Umgang mit Akten, was über den Zeitplan für die Übergabe der Unterlagen ans Bundesarchiv, zu den DDR-Forschungskontroversen? All das kam am Freitag im Bundestag nicht zur Sprache: Die Wahl fand wie üblich ohne Aussprache statt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden