Jeder in seine Richtung

Schulpolitik Die neue Pisa-Studie hat eine alte Debatte neu entfacht: Wie viel Zentralismus braucht gute Bildung?

Wenn hierzulande die Abkürzung des Programms zur internationalen Schülerbewertung an den Turm einer italienischen Stadt denken lässt, dann ist das gar nicht so weit hergeholt. Schließlich liegt die bedrohliche Neigung des Campanile an einem Fehler im Fundament. Und genau darauf wird gern auch das schlechte Abschneiden Deutschlands beim globalen Schulleistungswettbewerb zurückgeführt: der Bildungsföderalismus verhindere wirkliche Fortschritte.

Auch wenn die vierte Pisa-Auswertung für Deutschland eine Reihe von Verbesserungen gezeigt hat, ist mit der Veröffentlichung der Ergebnisse vergangene Woche die Debatte über das Länder-Klein-Klein in der Bildung wieder entbrannt. Hamburgs Uni-Präsident Dieter Lenzen nannte den Föderalismus eine „unglaubliche Leistungsbremse“, DGB-Vize Ingrid Sehrbrock sieht das bundesstaatliche System „bei den Bildungsreformen an seine Grenzen“ stoßen. Zwar würden alle an einem Strang ziehen, „aber fast jeder in eine andere Richtung“.

Ins Zentrum der Kritik ist unter anderem das „unsinnige Kooperationsverbot“ zwischen Bund und Ländern geraten – einmal mehr. Dabei waren die Kompetenzen in Bildungsfragen erst im Zuge der Föderalismusreform von 2006 neu vereinbart worden. Seither hat der Bund in der Bildung nichts mehr zu sagen – und auch nichts mehr zu finanzieren. Für die Kritiker, längst eine parteiübergreifende Phalanx, hat die Regelung die unselige Kleinstaaterei verfestigt.

Überwältigende Mehrheit

„Kaum jemand hält das Verbot noch für sinnvoll“, meint etwa die SPD-Bildungspolitikerin Ulla Burchardt. Nicht nur in der Opposition ist die Ablehnung weit verbreitet; auch aus Union und FDP dringen längst Initiativen zur Abschaffung des Kooperationsverbotes. Vor dem jüngsten CDU-Parteitag hatte sich Schleswig-Holsteins Landeschef Christian von Boetticher mit dieser Forderung aus der Deckung gewagt. Die sachsen-anhaltischen Liberalen ziehen damit in den kommenden Landtagswahlkampf.

Trotzdem scheint die Bereitschaft zur neuerlichen Verfassungsänderung eher begrenzt. „Im Prinzip gäbe es für die Abschaffung eine überwältigende Mehrheit“, sagt Burchardt. Zudem steht der Bildungsföderalismus bei der Bevölkerung seit längerem schon unter erheblichem Legitimationsdruck. Verschiedenen Umfragen zufolge wollen zwei Drittel oder mehr der Bundesbürger, dass Bildung in Zukunft eine Gemeinschaftsaufgabe ist. Oder besser noch: eine des Bundes.

Wo die einen allerdings auf die schier unübersichtliche Vielköpfigkeit der bundesdeutschen Bildungshydra verwiesen, die allein im Sekundarbereich I in elf der 16 Länder unterschiedliche Schulformen und Bezeichnungen kennt, verteidigen die anderen die Vielfalt als Ausdruck der Freiheit und Chance zur Berücksichtigung regionaler Eigenheiten. Unterhalb der grundsätzlichen Fragen nach dem Bildungsföderalismus wird die Debatte jedoch unübersichtlicher, man könnte auch sagen: technischer.

Umstrittenes Bundesabitur

In Reaktion auf die jüngsten Pisa-Ergebnisse haben fünf Bundesländer angekündigt, in Zukunft einheitliche Abiturprüfungen durchführen zu wollen. Der Vorstoß von Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurde als Schritt auf dem Weg zu einem bundeseinheitlichen Zentralabitur gewertet – und stieß prompt auf Zurückhaltung in anderen Ländern. Berlins SPD-Bildungssenator Jürgen Zöllner verwies auf die bereits bestehenden Prüfungsanforderungen der Kultusministerkonferenz, die schon heute einheitliche Standards festlegt. Außerdem ziehe ein Zentralabitur wegen der unterschiedlichen Ferientermine und des Aufwands, die Aufgaben geheim zu halten, organisatorische Probleme nach sich. Das sehen mehr als 80 Prozent der Deutschen offenbar als geringeres Problem an: Sie wünschen sich einer aktuellen Umfrage zufolge eine einheitliche Reifeprüfung.

Auch Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann hat nun für Angleichungen im deutschen Schulsystem plädiert – dabei gehört der CDU-Politiker zu den bekennenden Anhängern des Bildungsföderalismus. Die Lösung sieht Althusmann denn auch eher zwischen beiden Extremen: einheitlicher – aber nicht einheitlich. Einheitlicher müsse die Bildungslandschaft nicht bloß im Abiturbereich werden, sondern die Verantwortlichen sollten sich „natürlich auch über die Klassen 5 bis 10 unterhalten“. Ein „bundeseinheitliches Schulsystem“ hält Althusmann jedoch für nicht erstrebenswert.

Allein mit einer Abkehr vom Bildungsföderalismus wird man die Herausforderungen wohl auch gar nicht meistern. Trotz föderaler Struktur liegt Kanada in der aktuellen Pisa-Auswertung auf dem dritten Platz. Und das in Bildungsfragen zentralistische Österreich findet sich weit am Ende des internationalen Rankings.

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