„Durchsichtige Tricks“, beklagt die Regierungsseite, „skandalöse Vorgänge“ sieht die Opposition: Am Tag vor der Abstimmung über die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung hat sich der atompolitische Konflikt zwischen SPD, Grünen und Linken auf der einen und der Koalition auf der anderen Seite noch einmal zugespitzt. Dabei geht es weniger um Inhalte – da liegen beide Lager schon längst unversöhnlich gegenüber; sondern um die parlamentarischen Gepflogenheiten, mithin um die Frage, wer hier wie versucht etwas durchzusetzen.
Die Anträge von Schwarz-Gelb
11. und 12. Änderung des Atomgesetzes – hier und hier
Errichtung eines Energie- und Klimafonds - hier
Kernbrennstoffsteuergesetz – hier
Die Woche hatte entsprechend begonnen. Bereits nach der Sitzung des Umweltausschuss am Montagnachmittag war von einem Eklat die Rede. Durch vorzeitige Beendigung der Sitzung, beklagten danach Vertreter der Opposition, habe man weder über die geplante Atomsteuer noch über Einrichtung eines Fonds zum Ausbau der Öko-Energien ausreichend diskutieren geschweige denn abstimmen können. Auch über die Änderungen des Atomgesetzes sei nur kurz und nicht abschließend beraten worden. „Ich weiß nicht“, kündigte da bereits der Linken-Obmann im Ausschuss, Ralph Lenkert an, „wie jetzt am Donnerstag noch eine ordnungsgemäße Abstimmung stattfinden soll.“
Protestkette
Aktion der Anti-Atom-Bewegung am Donnerstag - hier
Treffpunkte und die Route – hier
Mehrheit gegen Laufzeitverlängerung – hier
Am Dienstagabend trat der Umweltausschuss erneut zusammen – zum selben Thema. Wiederum zürnte danach die Opposition und ging diesmal noch einen Schritt weiter. Die Beratungsrechte der rot-grün-roten Minderheit in dem Gremium seien „erheblich verletzt worden“, empörte sich am Mittwochmorgen der grüne Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck, so etwas habe er in all den Jahren im Bundestag „noch nicht gesehen“. Letztlich hätte auch nach zwei Sondersitzungen „nicht einmal ein Mindestmass an sachlicher Beratung sichergestellt werden“ können, kritisierte auch der SPD-Abgeordnete Matthias Miersch.
Die Vertreter der Koalition hatten beschlossen, dass Geschäftsordnungsanträge ab einer bestimmten Zeit nicht mehr zulässig sein und dass Sachanträge der Opposition nicht zur Abstimmung kommen sollten Geschäftsordnungsanträge der Opposition ab einer bestimmten Zeit nicht mehr zuzulassen und Sachanträge nicht mehr abzustimmen. Unter diesen Bedingungen halten SPD, Grüne und Linke es nicht für tragbar, an der bisher für Donnerstag geplanten Abstimmung über die Atomnovelle festzuhalten. „Selbstverständlich werden wir die Absetzung beantragen“, so Beck. Ein entsprechender Geschäftsordnungsantrag hat allerdings wegen der schwarz-gelben Mehrheit wenig Aussicht auf Erfolg. Eher unwahrscheinlich ist auch, dass der Bundespräsident, der die Novelle am Schluss unterzeichnen muss, ähnlich viel Kritik an der Missachtung von Oppositionsrechten hat, dass dadurch seine verfassungsrechtliche Prüfung negativ ausfallen würde.
Bundesrat oder nicht?
Ja: Papier-Gutachten für die Umwelthilfe - hier
Ja: Wieland-Gutachten für die Umwelthilfe - hier
Ja: Gutachten für die Grünen-Fraktion - hier
Nein: Gutachten für das Atomforum - hier
Nein: Gutachten von Rupert Scholz - hier
Nein: Schorkopf-Stellungnahme - hier
Es geht bei aller parteipolitischen Dramaturgie nicht bloß darum, Union und FDP als Atom-Lobbyisten vorzuführen. Das ist kaum noch nötig. Die Opposition hat vielmehr Fragen, die ihr die Bundesregierung bisher nur unzureichend beantwortet hat. Für eine parlamentarische Beratung einer so wichtigen Entscheidung wie die Laufzeitverlängerung wäre das aber nötig. Und: Da sich bereits andeutet, dass auch mehrere Abgeordnete der Union dem Gesetz ihre Zustimmung verweigern könnten, würden sich die Antworten womöglich auch auf den Ausgang der Abstimmung auswirken.
Zum Beispiel wollte die Opposition wissen, welche Funktion der Vertrag mit den Energieversorgungsunternehmen hat. Ein entsprechender Fragenkatalog – bereits in der letzten Sitzungswoche an die Koalition übermittelt – wurde „eher zufällig“ beantwortet, wie es Beck ausdrückt. Die Opposition hatte nun wichtige Nachfragen – etwa diese: Welche Konsequenzen hat es, wenn der Bundestag den Ausstieg aus dem Atomausstieg beschließt – später unter anderen Mehrheitsverhältnissen jedoch die Rechtslage erneut verändert und die Laufzeitverkürzung wiederherstellt würde? „Die Bundesregierung ist in ihrer schriftlichen Antwort ausgewichen“, klagt Beck.
Atomausstieg vom 14. Juni 2000 – hier
Atomgesetz – hier
Schwarz-Gelb sieht das natürlich anders und wirft nun seinerseits der Opposition vor, „demokratische Abstimmungsprozesse durch massive Obstruktionspolitik“ behindert zu haben. Die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, die unlängst damit aufgefallen war, den Klimawandel anzuzweifeln, sprach von einem „durchsichtigen und abgekarteten Spiel“. SPD, Linke und Grüne, so Marie-Luise Dött, hätten durch „unsachliche Zwischenrufe und undiszipliniertes Verhalten“ versucht, das Gesetzgebungsverfahren auszuhebeln. Das hält der Grüne Beck wiederum für einen schlechten Witz: Es wäre jederzeit möglich gewesen, am Dienstagabend alle 20 Änderungsanträge der Grünen zu beraten und trotzdem zu einer Beschlussempfehlung zu kommen. Im Finanzausschuss sei dies parallel beim Thema Finanzmarktrestrukturierung auch gelungen – dort hatte Schwarz-Gelb selbst 33 Änderungsanträge vorgelegt.
Nachtrag Die Linksfraktion hat ein weiteres formales Argument gegen die Beratung der Atomnovelle am Donnerstag ins Spiel gebracht: "Die Beschlussempfehlungen zur Brennelementesteuer sowie zum Sondervermögen, Energie- und Klimafonds lagen den Abgeordneten nachweislich erst nach Mitternacht, also am Mittwoch, vor", erklärte Parlamentsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann. Damit wäre laut Geschäftsordnung des Bundestages "frühestens am Freitag die abschließende Behandlung dieser Teile des Gesetzespaketes möglich".
(Startseitenfoto: Patrick Sinkel / AFP / Getty Images)
Kommentare 5
Alles Nebenkriegsschauplätze.
Das eigentliche Problem, die Frage nach der sicheren Lagerung der übriggebliebenen Radionuklide - vulgo des "Atom-Mülls" - ist nicht gelöst und wird auch nicht gelöst. Es gibt nur diese Zwischenlösungen, aber dauerhaft, dass sagt bloß niemand. Ein Verschiebebahnhof zwischen Abklingbecken und Aufarbeitung resp. Zwischenlagerung.
Da dieses ein wirklich schwerwiegendes Problem und technologisch extrem anspruchsvolles Thema ist (Glaskokillen? Salzstock? Ionentransport von Radionukliden in Salzlösungen? Differenzierung und differenzierte Lagerung von Alpha-, Beta- und Gammastrahlern? Haltbarkeit der Umhüllung über zehn Halbwertszeiten?), beschäftigt man sich lieber mit blödsinnigen Fragen, über die es sich im Grunde gar nicht zu streiten lohnt, solange das Grundproblem der "Entsorgung" (ein wunderschöner Euphemismus für das Entledigen von Müll) weiter besteht.
Also: Wohin mit dem radioaktiven "Müll" der anfällt?
Wenn es darauf eine wissenschaftlich, technologisch und finanztechnisch haltbare Antwort gibt, dann ist der Rest ein Klacks!
Auf N24 wird die Bundestagsitzung live übertragen, es spricht im Moment der ehemalige Bundesumweltminister Trittin, der in seiner Rede daruaf hinwies, dass er den ehemaligen Umweltstaatssekretär Mappus aus Baden Würtemberg, der heute dort Regierungschef ist, und den ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Koch in sein Ministerium zitieren musste, um diese auf eklatante Sicherheitsmängel in Phillipsburg und Biblis hinzuweisen und die Abschaltung der AKW zu erwingen. Wer Interesse hat, einschalten.
wer mag, kann dazu auch meinen Blogeintrag lesen:
blog.marco-buelow.de/
>>Also: Wohin mit dem radioaktiven "Müll" der anfällt?
Manchmal wäre es schöner, nicht recht zu behalten:
Das ungelöste Abfallproblem war ein wesentliches Argument der Anti-Kernkraftbewegung der 70er Jahre.
Mit jedem Laufzeitjahr wird das Problem vergrössert.
in den 80er Jahren gab es in Österreich eine Volksabstimmung. Das Kernkraftwerk Zwentendorf wurde aufgrund dieser Abstimmung nicht in Betrieb genommen. Die dortige Regierung hatte für den Fall der Ablehnung das bekannte Schreckenszenario an die Wand gemalt: Mindestens würden die Lichter ausgehen, wenn nicht mehr...
Die Mehrheit der Stimmberechtigten liess sich davon nicht beeindrucken. Österreich hat das ganz gut überlebt.
Unser Grundproblem ist das Demokratiedefizit.
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Die wichtigste Energiequelle ist übrigens die rationelle Nutzung von Energie.
Moin GeroSteiner,
das sehe ich ganz ähnlich. Sowohl die Aufbereitung als auch die weitere Bearbeitung/Lagerung des Restmülls hätte bereits in den 60ern von Regierung und KKW-Betreibern eindeutig gelöst werden müssen. Die Aufbereitung im Ausland ist m.E. ebenfalls keine brauchbare Gestaltung, wenn man die dabei auftretenden realen und juristischen Probleme berücksichtigt.
Es wäre sicher auch lohnend, wenn man gezielt über Forschung und Entwicklung sich der Frage gewidmet hätte, ob man den Restmüll noch irgendwie anders bearbeiten kann als ihn lediglich in Fässern in der Erde zu versenken.
Nichts vernünftiges davon ist in 50 Jahren auf den Weg gebracht worden. Das ist ein eklatantes Versagen der Politik und der Betreiber.