Klüger formuliert: Gysi, das ARD-Sommerinterview und die NATO

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Die Linke hat mit den notorischen Sommerinterviews nicht die besten Erfahrungen gemacht, jedenfalls als Oskar Lafontaine noch für die Partei von ARD und Co. vernommen wurde (hier und hier). In diesem Jahr saß Gregor Gysi auf dem roten Sessel, übrigens der einzige Nicht-Parteichef in der diesjährigen Reihe: Traut man Gesine Lötzsch oder Klaus Ernst einen solchen Auftritt nicht zu? Besonders schwierige Fragen muss man von Ulrich Deppendorf und Rainald Becker ja kaum fürchten. Den fleischgewordenen Worthülsen gelingt es in knapp zwanzig Minuten nie, ein einigermaßen interessantes Gespräch mit Gysi zu führen. Nur an einer Stelle werden einige aufhorchen: Als Gysi auf die außenpolitischen Ziele der Linken angesprochen wird und meint, „nein, nein. Raus aus der NATO haben wir nicht gesagt“. Das sei im Programmentwurf „viel klüger formuliert. Bei uns steht drin, dass wir die Auflösung der NATO wollen. Dazu brauchen wir allerdings die Zustimmung der USA, Kanadas und vieler anderer Länder. Das dauert noch länger.“ Und weil es wahrscheinlich sehr sehr lange dauert, bliebe die Bundesrepublik zunächst im nordatlantischen Bündnis.

„Verstehen Sie, das ist eine andere Zielstellung“, versucht Gysi den ARD-Journalisten die Feinheiten der sicherheitspolitischen Diskussion in seiner Partei näher zu bringen. „Der Warschauer Vertrag ist weg, wir wollen ein neues Sicherheitssystem in Europa schaffen, mit neuen Ansätzen, statt der alten NATO.“ Richtig ist, dass die Linke nicht den Austritt aus der NATO fordert. Aber vor allem die „Linke“ in der Linken bewacht mit großer Sorgfalt die friedenspolitischen Positionen, auf dass es da nicht zu einer Aufweichung komme, zumal man hinter einer solchen stets das Ziel vermutet, die Partei auf Bundesebene regierungsfähig zu machen. So kann man Gysis Äußerungen in dem Sommerinterview durchaus als Versuch verstehen, ein wenig die Luft aus dem Thema zu lassen: Die Partei bleibt bei ihrer Auflösungsforderung, aber für die unmittelbare, das heißt mittelfristige Politik – Bundesebene 2013! – müsse das ja gar nicht so entscheidend sein, weil eine Umsetzung nicht in den Arbeitsplan einer Legislaturperiode zu pressen ist. Oder in einer Form, mit der sowohl die beiden früheren NATO-Kritiker SPD und Grüne als auch die Linkspartei leben können. Zum Beispiel könnte ein rot-rot-grünes Bündnis in Berlin in den Koalitionsvertrag einen Prüfauftrag schreiben, in dem das Militärbündnis kritisch hinterfragt und die Suche nach einer neuen internationalen Sicherheitsarchitektur als mögliche Alternative bezeichnet wird.

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Die Frage ist, ob die Linkspartei mit so etwas leben kann. Man darf auf die Reaktionen auf Gysis Sommerinterview gespannt sein. Und auf die Programmdebatte, in der die wichtige Frage zu klären wäre, wie eine Ersetzung der NATO „durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands“ zu bewerkstelligen sein könnte. Dazu findet man in dem bisherigen Entwurf nicht sehr viel. André Brie hat vor längerer Zeit einmal die Auflösung aus der NATO als „historisch und politisch die ehrlichste Variante” bezeichnet. Er war dabei allerdings auch der Meinung, dass damit „konstruktiv und alternativ nichts gewonnen” wäre, da die USA „ihre derzeitige zerstörerische Politik allein und bilateral fortsetzen”. Auch die Etablierung „eines alternativen Sicherheitssystems in Europa und mit den USA und Russland sowie entsprechenden Entwicklungen weltweit”, sah Brie skeptisch und hielt Alternativen „derzeit” für nicht durchsetzbar. Aber genau deshalb, so damals der ungeliebte „Vordenker“, müsse der Streit darum unter Linken weitergeführt werden: „mit Mut und Fähigkeit gleichermaßen zum sehr weitreichenden Ziel und zum mühevollen Weg und seinen vielen kleinen Schritten”.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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