Franziska Drohsel redet schnell. Die Juso-Vorsitzende sitzt im fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses in Berlin und durch den Raum fliegen die Sätze. Etwa dieser: „Wenn man vergesellschaftet, dann auch richtig.“ Die Journalisten kommen kaum mit ihren Notizen nach und revanchieren sich mit gemeinen Fragen. Ob sie denn wolle, dass jetzt auch noch andere Kreditinstitute als die Hypo Real Estate verstaatlicht werden. Und wie sie denn darauf käme, dass es der Staat besser machen würde, nach all den Erfahrungen mit den Landesbanken? Zu 50 Prozent enteignen oder gleich komplett? Nennen Sie doch mal eine Zahl, Frau Drohsel! Die 28-Jährige tut der Schlagzeilenindustrie diesen Gefallen nicht. „Soll ich etwa sagen, wir wollen den gesamten Bankensektor verstaatlichen? Ich weiß doch, dass das jetzt nicht ansteht.“
Jetzt nicht, aber doch vielleicht irgendwann. Das ist es, worüber die Juso-Vorsitzende eigentlich reden will. Über die großen Linien, darüber, was sein könnte. „Was ist heute links?“, fragt ein in der kommenden Woche erscheinendes Buch mit dem Namen der Juso-Vorsitzenden Drohsel auf dem Titel. „Für eine Linke der Zukunft“, sind die 63 „Thesen zu jungsozialistischer Politik“ überschrieben, die, obschon im vergangenen Jahr beschlossen, den Hauptteil bilden – ergänzt um Diskussionsbeiträge vor allem aus der Partei. Am Wochenende wollen die Jusos bei einem Kongress in Berlin die Debatte über „Vision und Zukunft“ weiterführen. „Linkswende 09“ steht auf dem Einladungsflyer.
Anker in die eigene Vergangenheit
Die „Thesen“ und die „Linkswende“ sind es, die nicht nur an Zukünftiges, sondern auch an frühere Zeiten denken lassen. Bei den „Thesen“ erinnert man sich an die „Herforder“ von 1980, einem der wichtigsten Programmbeitrag aus der Stamokap-Periode der Juso-Geschichte. Und vor 30 Jahren haben die Jusos schon einmal eine „Linkswende“ vollzogen – hin zum „sozialistischen Richtungsverband“ innerhalb der Sozialdemokratie. Zwei historische Bezüge wie symbolische Anker, ausgeworfen in die eigene Vergangenheit.
Und heute? Die Jusos verstehen sich noch immer als „linker Stachel im Fleisch der SPD“. Die Partei von Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier sei Drohsel „nicht links genug“. Kurz darauf antwortet sie auf die Frage, wer heute links sei, dass sie dazu „auch unsere Parteiführung“ zählt. In ihrem Vorwort zum Buch steht, jungsozialistische Politik bedeute „das Bewegen in Widersprüchen“. Man ahnt, was damit auch gemeint ist: Kompromisse zu machen zwischen dem eigenen Anspruch, innerhalb der SPD kritisch im Richtungsstreit aufzutreten; zugleich aber auch den Anforderungen des Wahlkampfes zu genügen, was bei der Sozialdemokratie derzeit unter anderem heißt, Geschlossenheit zu demonstrieren.
Erste SPD-Reihe fehlt in Berlin
Geschlossenheit? Auf dem Linkswende-Kongress am Wochenende in Berlin lassen sich die sozialdemokratischen Promis an ein paar Fingern abzählen. Gesine Schwan ist dabei und Martin Schulz, den man schon nicht einmal mehr zu den bekannteren SPD-Politikern zählen kann. Vielleicht eher noch als Ernst-Dieter Rossmann, der Sprecher der Parlamentarischen Linken und Niels Annen, einer der Vorgänger Drohsels an der Juso-Spitze. Ob nicht auch Müntefering oder Steinmeier eingeladen wurden? Bei der Frage weicht Drohsel aus, will es erst nicht mehr so genau wissen und flüchtet sich schließlich in die Behauptung, die „Einladungspolitik“ der Jusos sei geheim. Als jemand das Wort „Absage“ einwirft, lacht die Juso-Chefin verlegen.
Gründe dafür könnte man sich jede Menge vorstellen. Die 28-Jährige hält es zum Beispiel einen großen Fehler, jede Zusammenarbeit mit der Linkspartei auf Bundesebene auszuschließen. Sie kommt auch nicht mit jener Standartantwort, die in Wahlkampfzeiten andere SPD-Linke auswendig aufsagen können: Landesebene ja, wenn man den Ministerpräsident stellt, Bundesebene auf gar keinen Fall. Drohsel kann sich die Kooperation mit der Linkspartei durchaus vorstellen und sagt, sie sei Realistin genug, um zu wissen, dass sie mit ihrer Haltung in der SPD eine „absolute Minderheit“ darstelle und man dies auch „bis zum Herbst nicht mehr ändern“ könne.
"Jetzt klingen Sie wie Lafontaine"
In der Tat drängt sich der Eindruck auf, Drohsel stehe der Linkspartei in vielem sehr nahe. Etwa, wenn die Juso-Vorsitzende darüber spricht, warum man jetzt die Finanzmärkte hart regulieren müsse. Wie es sein könne, dass Milliarden für die Banken aber kein Geld für Hartz-IV-Empfänger verfügbar sei. Warum Mindestlohn und Bildungsgerechtigkeit ganz oben auf ihrer Prioritätenliste stehen. Und dass die öffentliche Daseinsvorsorge unter gesellschaftliche Kontrolle gehöre, je früher je besser.
„Jetzt klingen Sie aber genau wie Oskar Lafontaine“, wirft jemand ein. „Meinen Sie?“, gibt Franziska Drohsel zurück und zuckt mit den Schultern. Kurz darauf sucht sich die Juso-Vorsitzende dann wieder demonstrativ vom Linken-Chef abzugrenzen. Ist der wirklich die gesamte Partei? Wem nützt die Abgrenzung? Und was wäre überhaupt die „linkere Regierung“, von der Drohsel spricht? Eine Ampelkoalition mit Westerwelles FDP etwa?
Das Verhältnis zur Linkspartei ist und bleibt ein Knackpunkt sozialdemokratischer Strategie. Auch bei der SPD-Linken. Warum gibt in dem Juso-Buch niemand aus der Linkspartei eine Antwort auf die Frage, was heute links ist? Weil niemand gefragt wurde. Und warum wird auch niemand aus dieser Partei im Programm zum Linkswende-Kongress aufgeführt? Weil niemand eingeladen wurde. Aber warum? Wo doch der Zweck der Veranstaltung auch darin bestehen soll, die „nicht optimale Bündnisfähigkeit“ der SPD zu verbessern. Nur in die Zivilgesellschaft hinein? Wer wenn nicht die Jusos könnten sich die Freiheit nehmen, mit der Linkspartei die Fragen zu klären, die zweifellos zu klären sind?
Man werde selbstverständlich, sagt die Juso-Vorsitzende einen ihrer schnellen Sätze, die Debatte mit linken Grünen und der Linkspartei weiterhin führen. In einem Wahlkampfjahr wie diesem ist das offenbar nicht so einfach.
Franziska Drohsel (Hg.): Was ist heute links? Thesen für eine Politik der Zukunft, Campus Verlag Frankfurt, 250 Seiten, 17,90 Euro.
Kommentare 14
Tja, was fällt einem dazu ein. Linke in SPD, Bündelgrünen und bei der Linken sind eben immer noch viel zu sehr damit befasst, sich voneinander abzugrenzen, als endlich an einem gemeinsamen Projekt für dieses Land zu arbeiten. Dabei haben doch alle etwas einzubringen. Was uns fehlt ist eine echte Streitkultur, die unterschiedliche Positionen ernst nimmt, einen Dialog organisiert und gemeinsam nach Lösungen sucht... Wenn uns das nicht gelingt, dann haben wir zurecht keine Chance gegen das neoliberale Projekt von Merkel, Westerwelle und Seehofer.
es ist ein politischer unsinn, wenn eine vermeintlich linke partei oder deren mediale stellvertreter immer wieder sich gegen eine linkere oder ganz linke oder vermeintlich linke abgrenzen oder glauben abgrenzen zu müssen, nur weil es opportun erscheint im interesse der öffentlichen meinung oder anstehender wahlentscheidungen. wenn zudem die vertreter der medien, wie hier des (linken?) freitag von den inhalten gerne absehen im interesse des hinweisens auf formen (hier das schnelle reden) oder hinweisen auf "zu" linke positionen (nahe an ganz links z.b.) erreichen alle linken zusammen nichts, als dass sich die profiteure des status quo die hände reiben können. dabei meint dooch links (siehe blog rapp im freitag vom 5.2.2009) nichts anderes, als anstrengungen, den status quo im wirtschaftlichen und politischen sinne der grossen mehrheit der bevölkerung (und eben nicht nur der nationalen) zu verbessern. s.
zuersteinmal: wie sollte in einem von den Jusos vorgestellten Buch zur Frage was links sei, die Meinung der Linkspartei einbezogen werden? Es ist nunmal eine Stellungnahme, vor allem auch für die Parteimitglieder, es geht um kein wissenschaftliches Werk, das ausgewogen sein müsste. Hätte man die Linken mit einbezogen, wäre wieder das typische "ich bin viel linker als du, du bist doch ein opfer des kapitalismus" etc. gekommen. wer sind in den Kreisen der polit. Jugendorganisationen bewegt, erhält des Öfteren den Eindruck, dauernd streite man sich darum wer der linkeste sei. Ein Positionierung der Jusos finde ich da sehr wichtig, ich bin auf eine (hoffentlich erscheinende) Antwort von 'solid gespannt.
Bei dem Juso Kongress im letzten Jahr waren Vertreter der anderen linken Parteien durchaus anwesend. Es waren Julia Seeliger von den Grünen und Jan Korte von der Linkspartei. Zusammen mit Franzi Drohsel veranstalteten sie eine Podiusdiskussion zum Thema: "Das Projekt „Rot-Rot-Grün“: Parlamentarischer Arm einer linken Bewegung oder institutionalisierte Gewissensberuhigung?" . Es war eine sehr gute Diskussion, die vielen Jusos die Scheuklappen von den Augen genommen hat. Das solch eine Zusammenkunft kurz vor dem Wahlkampf in diesem Jahr nicht angestrebt wurde ist zwar wahr, aber leider sehr schade.
Wenn man sich anschaut wie die Bundespolitiker der SPD oft auf den Bundeskongressen der Jusos empfangen wurden, ist es kein Wunder, dass sie zu diesem Kongress nicht erscheinen werden. Schlechte Publicity in diesem Jahr muss halt vermieden werden ... (auch wenn ich diesen Umgang mit Politik nicht unterstützen möchte)
Ich kann Samstag nur zustimmen, wenn er schreibt, dass das ständige Gefühl sich abgrenzen zu müssen im Sinne des Ziels der Gemeinwohlorientierung kompletter Unsinn ist. Hält man die Option Rot-Rot(-Grün) nicht offen, brauch man auch keine linke Politik proklamieren. Denn mit wem soll man sie durchsetzen wenn nicht mit den Linken?
Ich werde beim Kongress an diesem Wochenende anwesend sein und versuchen in meinem Blog davon so umfassend wie möglich zu berichten. Man darf gespannt sein, inwieweit sich die Jusos (in diesem "Superwahljahr") von der SPD abgrenzen.
Also Martin Schulz aks Vorsitzenden der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament gehört für mich schon zu den Spitzenkräften der SPD. So einen könnten wir auch in der Bundespolitik gebrauchen.
Alles nur Show! In 10 Jahren sitzt die Drohsel im Bundestag für die SPD und wird alles vergessen haben, was sie heute erzählt. Ist alles auch vollkommen unfundiert!
Dieser Vorwurf lässt sich immer leicht in den Raum werfen. Ich glaube nicht, dass du dir die Mühe gemacht hast(oder machen wirst), die neuen Themen zu lesen. Falls ich mich Irre: http://www.jusos.de/uploads/media/Fuer_Linke_Zukunft_fertig.pdf
Darüber hinaus kannst du dir auch das Buch von Franziska Drohsel mal angucken. Danach freu ich mich auf eine fundierte Kritik deinerseits!
da kann ich Robert nur zustimmen. Genau solche Sprüche lieber ich immer an Wahlkampfständen. Weißt du, da probieren es Leute wirklich mal über den Tellerrand hiaus zu gucken und sich mal für eine gute, linke Politik einzusetzen und dann kommen immer wieder Leute wie du die sie mit Sätzen wie "du wirst auch mal einer aus dem establishment", "du bist doch auch nur ein Wolf im Schafspelz!". Produktiv sind solche Sätze nicht. Mut machen sie den wenigen, die sich trauen den Mund aufzumachen auch nicht. also: wozu das Ganze?
David Noack kann man da nur zustimmen, wohl fast alle bisherigen Juso-Vorsitzende haben sich früher
oder später für einen Posten bei den "Erwachsenen" verkauft, egal, wie links sie sich vorher auch gaben.
Daher spielt es keine Rolle, was F. Drohsel auf irgendwelchen Kongressen der Jusos erzählt, in ein paar
Jahren ist es Schnee von gestern, den sie selbst dann mit einem verschämten Lächeln als Jugendsünde
bezeichnen wird...
Und ich kann, aus anderer Intention heraus vielleicht, da David Noack zustimmen. Wie schnell hat sich Drohsel Ende 2007/Anfang 2008 von der Roten Hilfe verabschiedet, als es etwas stürmisch wurde, Kampagnen zur Diffamierung gerieten. Wir haben das damals sehr intensiv auf der SZ-Community diskutiert. Ja, Heinrich Böll hatte diese Erfahrung auch schon machen müssen, andere ebenfalls bis aktuell hin zu Peymann. Nur haben die Genannten und andere nicht gekuscht; Drohsel schon.
Wohin wohin....... es gibt noch Arbeiter ..... wo ist die Linke für die Arbeiter ?
Hier mal ein Bericht vom ersten Tag der Linkswende:
http://www.freitag.de/community/blogs/suhelen/linkswende-09---tag-01/?searchterm=linkswende
Das verstehe ich als Hinweis auf die berühmte "Breite in der Spitze" bei der SPD. Aber mal ehrlich: Würde sich hierzulande jemand an Martin Schulz erinnern, wenn nicht zufällig in diesem Jahr Europawahlen wären? Zwei Drittel der Deutschen wissen ja nicht einmal, dass der Urnengang überhaupt stattfindet - behauptet jedenfalls eine Umfrage aus dem Hause Bertelsmann.
Show oder nicht? Wir sollten in zehn Jahren nochmal über David Noacks Vorhersage reden. Aber wie war das eigentlich mit den anderen Spitzen-Juso? Seit dem Jahr der "Linkswende" 1969 gab es 17 Vorsitzende, von denen sieben auch Bundestagsabgeordnete wurden, fünf davon bis 1980 - dem Jahr, in dem Gazprom-Schröders Amtszeit als Juso-Chef endete. Zumindest in den Jahren danach kann man kaum von einem Automatismus nach dem Motto "vom Juso-Vorsitzenden zum Bundestagsabgeordneten" sprechen. Die nächste Juso-Vorsitzende, die in den Bundestag einzog, war Andrea Nahles - das war 1998.
"Das verstehe ich als Hinweis auf die berühmte "Breite in der Spitze" bei der SPD. Aber mal ehrlich: Würde sich hierzulande jemand an Martin Schulz erinnern, wenn nicht zufällig in diesem Jahr Europawahlen wären? Zwei Drittel der Deutschen wissen ja nicht einmal, dass der Urnengang überhaupt stattfindet - behauptet jedenfalls eine Umfrage aus dem Hause Bertelsmann."
recht hat er